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Full text of "Paganini; eine Biographie"

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Digitized  by  the  Internet  Archive 

in  2011  with  funding  from 

University  of  Toronto 


http://www.archive.org/details/paganinieinebiogOOkapp 


PAGANINI 


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P  AG  ANINI 


EINE  BIOGRAPHIE 

VON 

DS.  JULIUS  KAPP 


MIT  60  BILDERN 


ERSTE  UND  ZWEITE  AUFLAGE 


VERLEGT    BEI    SCHUSTER    &    LOEFFLER 

BERLIN  UND   LEIPZIG 

1913 


Alle  Rechte,  insbesondere  das  der 
übersejsung  vorbehalten 


Copyright  by  Schuster  &  Loeffler 
Berlin  1913 


ML 


Druck  von  Ernst  Klöppel,  Quedlinburg.. 


Seinem  Freunde 

Kurt  von  Neufville 


Zur  Einführung 

Der  „Virtuose"  ist  heutzutage  stark  in  Mi&kredit, 
die  Konzerte,  deren  ursprüngliche  Bestimmung  als 
festlicher  Tummelplafe  weniger  Ausnahmekünstler  doch 
fraglos  die  Unterhaltung  war,  haben,  indem  sie  gleich* 
zeitig  eine  alltägliche,  notwendige  Erscheinung  des  Kunst- 
lebens wurden,  einen  immer  ernsteren  Charakter  ange- 
nommen. Die  auf  allen  Gebieten  sich  jeht  breitmachende 
Halbbildung  hat  auch  das  Konzertpublikum  umgewandelt, 
die  nur  einem  engeren  Kreis  verliehenen  Fähigkeiten, 
ernsten  und  schweren  Musikwerken  mit  Verständnis  fol- 
gen und  dabei  Genu&  empfinden  zu  können,  sind  in  der 
modernen  Gesellschaft  zu  einem  Erfordernis  für  einen  „ge- 
bildeten" Menschen  geworden,  und  wenn  er  sie  eben  nicht 
besifet,  so  mu&  er  wenigstens  so  tun,  als  ob  er  sie  hätte. 
Er  ist  so  gut  erzogen,  die  Suggestion  klangvoller  Namen 
ist  so  stark,  da&  er  geduldig  die  längsten  Klassiker  über 
sich  ergehen  lä&t  und  pflichtschuldig  bei  leichterer  Kost  ver- 
ächtlich die  Nase  rümpft;  das  naive  Empfinden  ist  durch 
die  „Kultur"-Maske  eingeschläfert.  Nur  manchmal  bricht 
es  elementar  durch,  und  so  kommt  es  dann,  dafj  dieselben 
Menschen,  die  tags  zuvor  bei  Beethovenschen  Klängen 
Weihestunden  zu  verleben  oder  in  die  Welt  des  Tristan 

VII 


unterzutauchen  schienen,  sich  mit  gleichem  Behagen  an 
banalsten  Operettenschlagern  ergoßen  und  beim  Dacapo- 
brüllen heiser  schreien;  mit  dem  einzigen  Unterschied 
allerdings,  daß  das  erstere  Pose  oder  Selbstbetrug,  das 
zweite  aber  unverfälschte   Gefühlsäußerung  ist. 

Früher  war  man  ehrlicher  gegen  sich  selbst  und  duld- 
samer gegen  andere.  Die  kleinere  Schar  ernster  Musik- 
freunde erbaute  sich  an  gehaltvollen  Kunstgenüssen,  die 
große  Menge  aber  erfreute  sich  ohne  falsches  Getue  an 
leichterer  Ware  und  ließ  sich  durch  deren  Meister  in  Tau- 
mel versehen.  Der  Virtuose  als  solcher  galt  noch  was, 
und  es  war  nicht,  wie  heute,  jeder  Stümper,  der  nur  über 
einen  gewissen  Grad  von  Kunstfertigkeit  verfügt,  ge- 
zwungen, sich  an  Meisterwerken  zu  vergreifen.  Daß  wir 
das  Nur-Virtuosentum  überwunden  und  aus  den  Konzert- 
sälen verbannt  haben,  ist  gewiß  erfreulich,  doch  wir  sind 
allmählich  in  das  Extrem  verfallen,  was  notwendigerweise, 
da  die  Menschen  sich  eben  nicht  ummodeln  lassen,  zur 
Heuchelei  führen  mußte.  Es  ist  daher  sympathisch  zu  be- 
grüßen, daß  in  neuerer  Zeit,  wo  ja  allgemein  das  Bestre- 
ben hervortritt,  jede  Art  Bevormundung  abzustreifen,  ein 
veredeltes  Virtuosentum  (ein  anderes  wäre  zum  Glück  jeßt 
kaum  möglich!)  wieder  zu  seinem  Recht  kommen  kann, 
daß  die  ungewöhnliche  Einzelpersönlichkeit  sich  aus  der 
endlosen  Flut  tüchtiger  Durchschnittsmusikanten  wieder 
mehr  abhebt,  und  auch  im  Publikum  der  einzelne  größere 
Freiheit  genießt,  seiner  individuellen  Geschmacksrichtung 
zu  folgen,  daß  er  die  blasiert-wohlwollende  Beifallsbezeu- 
gung mit  ehrlicher,  sich  nun  zu  ganz  anderen  Wärmegraden 
steigender  Begeisterung  vertauscht. 

VIII 


Eine  solche  Zeitströmung,  deren  Entwicklung  wir  deut- 
lich erkennbar  miterleben,  lenkt  unwillkürlich  den  Blick 
auf  jene  Zeiten  zurück,  da  einzelne  Künstler  meteorgleich 
durch  alle  Länder  der  Erde  zogen  und  überall,  wohin  sie 
kamen,  die  Menschheit  in  Taumel  versehten.  Staunend 
liest  man  die  Berichte  jener  Vorgänge,  und  in  dem  in- 
stinktiven Gefühl,  dafe  in  unseren  Tagen  derartiges  kaum 
mehr  denkbar  wäre,  sucht  man  der  Rätsel  Lösung,  das 
Geheimnis  dieser  Triumphe  zu  ergründen.  Vor  allem  sind 
es  zwei  Namen,  die  mit  Feuerschrift  am  Virtuosenhimmel 
eingebrannt  sind:  Franz  Liszt  und  Nicolo  Paga- 
n  i  n  i.  Doch  während  die  Künstlergestalt  Liszts  noch  in 
greifbaren  Formen  vor  uns  steht,  ist  die  Erscheinung  des 
großen  Geigers  schon  in  nebelhafte  Schleier  gehüllt.  Mit 
dem  Wort  Paganini  verbindet  sich  für  die  meisten  Men- 
schen unserer  Zeit  weniger  die  Vorstellung  an  eine  be- 
stimmte Persönlichkeit,  als  an  etwas  Unerhörtes,  Spuk- 
haftes, das  durch  sein  seltsames  Wesen  und  seine  un- 
heimliche Virtuosität  die  Welt  in  Staunen  und  Erregung 
verseht  hat.  Man  erzählt  diese  oder  jene  märchenhafte 
Anektode,  Genaueres  wissen  die  wenigsten.  Der  Grund 
hiervon  ist  wohl  der,  da|  wir,  abgesehen  von  Sammel- 
werken der  speziellen  Violinliteratur,  in  deutscher  Sprache 
kaum  eine  umfassendere  Würdigung  dieses  Künstlers  be- 
sten. Zwar  war  ihm  schon  1830  in  dem  Prager  Professor 
S  ch  o  1 1  k  y  ein  Biograph  erstanden,  doch  sein  Buch,  das 
überdies  die  wichtigste  Zeit  von  Paganinis  Leben  nicht 
mehr  berücksichtigt,  ist  in  seiner  wahllosen  und  unüber- 
sichtlichen Materialanhäufung  ungenießbar  geworden.  Er- 
wähnt man  ferner  noch  die  verdienstvolle,  aber  auch  schon 

IX 


vor  mehr  als  dreifeig  Jahren  erschienene  knappe  Skizze 
von  N  i  g  g  1  i ,  so  ist  der  Bestand  an  deutscher  Literatur 
über  Paganini  bereits  erschöpft.  Dafe  trofe  des  nie  ge- 
schwundenen Interesses  für  diesen  Hexenmeister  sowohl 
beim  großen  Publikum  als  vor  allem  bei  der  gewaltigen 
Zahl  der  Geiger,  die  in  ihm  den  König  ihres  Instruments  ver- 
ehren, bisher  niemand  es  unternommen  hat,  Paganinis 
wechselreiches  Leben,  das  wie  ein  spannender  Roman  an 
uns  vorüberzieht,  und  die  Bedeutung  seines  Virtuosentums 
und  seiner  Werke  in  gröfeerem  Rahmen  zu  beleuchten, 
liegt  wohl  daran,  dafe  die  Quellen  zu  dieser  Arbeit  heutzu- 
tage nur  sehr  spärlich  fliessen,  die  Forschungen  sehr 
mühevoll  und  zeilraubend  sind  und  das  Ergebnis  meist 
wenig   ermutigend  ausfällt. 

Ein  glücklicher  Umstand  enthob  mich  dieser  Schwierig- 
keifen und  gestattete  mir,  aus  dem  Vollen  zu  schöpfen:  Pa- 
ganinis noch  unveröffentlichter  gesamter 
N  a  ch  1  a  fe.  Dafe  es  mir  möglich  wurde,  diesen  für  meine 
Arbeit  zu  verwerten  und  dadurch  eine  Menge  authenti- 
schen, unbekannten  Materials  zutage  zu  fördern,  verdanke 
ich  dem  freundlichen  Entgegenkommen  des  bekannten 
Kunstantiguariats  Jos.  Baer  in  Frankfurt  a.  Main,  das 
diese  wertvollen  Schäfee  sein  Eigen  nennt  und  mir  in  lie- 
benswürdigster Weise  zur  Verfügung  stellte,  was  im  Ge- 
gensafe zu  egoistisch-kleinlichen  Bedenken  vieler  Privat- 
sammler wissenschaftlichen  Forschungen  gegenüber  nicht 
rühmend  genug  hervorgehoben  werden  kann.  Dafe  ich  aufeer 
diesem  gänzlich  neuen  auch  das  im  Laufe  der  Jahre  in 
Zeitschriften  und  Zeitungen  angesammelte  umfangreiche 
Material  fast  lückenlos  verwerten  konnte,  ermöglichte  mir 


die  reichhaltige  Sammlung  des  Kellerschen  Musik-Archivs 
der  „B  r  ü  ck  e  "  in  München,  und  wo  selbst  diese  Quellen 
versagten,  namentlich  bei  der  Beschaffung  der  seltenen  Ab- 
bildungen, da  sprang  mit  unermüdlichem  Eifer  ein  selbst- 
loser Förderer  meiner  Arbeit  ein:  Franz  Zelinka  in 
Wien. 

Auch  für  den  dem  Musiker  Paganini  vorbehaltenen 
Teil  meines  Buches  gelang  es  mir,  einen  wertvollen  Beitrag 
zu  erhalten,  der  für  den  Leser  von  besonderem  Interesse 
sein  dürfte,  da  er  der  Feder  des  Mannes  entstammt,  der  als 
der  Wiedererwecker  der  Paganinischen  Technik  gilt:  Pro- 
fessor O.  S  e  v  c  i  k  ,  Leiter  der  Meisterschule  an  der  k.  k. 
Akademie  für  Musik  in  Wien.  Ihnen  allen  nochmals  an 
dieser  Stelle  meinen  wärmsten  Dank! 

Berlin-Westend,  am  1.  Oktober  1913. 

Dr.  Julius  Kapp. 


XI 


Inhalts  -Verzeichnis 


Zur  Einführung VII 

Der  Roman  seines  Lebens 

Der  Aufstieg 1 

Lucca 8 

Quer  durch  Italien 15 

Der  Europäer 30 

An  der  Seine  und  Themse 52 

Der  Absheg      70 

Anhang:  Biographische  Tabelle öö 

Berichte  und  Betrachtungen 

Gerüchte  über  Paganini 101 

Paganini  und  Hektar  Berlioz 110 

Berichte  von  Zeitgenossen 116 

Der  Künstler 

Der  Virtuose 131 

Der  Komponist 144 

Anhang:  Paganini-Bibliographie 159 

Register 163 

Abbildungen 


DER  ROMAN  SEINES  LEBENS 


Der  Aufstieg 


Leise,  auf  den  Zehenspißen,  schlich  der  kleine  Nicolo  die 
Stiege  des  elterlichen  Hauses  hinunter.  Dicht  an  die 
Häuserreihe  geduckt,  eilte  er  die  schmale  Gasse  Passo  di 
Gatta  Mora  entlang,  und  erst,  als  er  sich  außer  Sehweite 
in  Sicherheit  wähnte,  atmete  er  erleichtert  auf  und  sog  die 
erfrischende  Seeluft,  die  der  Wind  ihm  vom  Meere  her 
entgegentrug,  mit  vollen  Zügen  ein.  Den  Vater,  der  den 
größten  Teil  des  Tages  im  Hafen  als  Träger  beschäftigt 
war,  hatte  er  vorhin  bereits  nachhause  kommen  hören,  er 
konnte  sich  jefet  ungefährdet  an  seinen  Lieblingspläfechen 
tummeln.  „Meinetwegen  sollen  sie  mich  wieder  schlagen 
und  mich  hungern  lassen,  wenn  ich  nachhause  komme,  was 
tut's,"  dachte  er,  jeßt  wollte  er  eine  Stunde  Freiheit  ge- 
nießen, und  bald  schlug  ihn  das  so  vertraute  und  doch  im- 
mer wieder  von  Neuem  reizvolle  Bild  des  stetig  pulsieren- 
den Lebens  im  Hafen  seiner  Vaterstadt  Genua  in  Bann.  Ja, 
hätte  er  jefet  seine  Violine  zur  Hand,  dürfte  er  hier  drauflos- 
geigen, so,  wie  es  ihm  ums  Herz  war!  Zuhause  in  der 
dumpfen  Stube,  unter  dem  strengen  Zwang  des  hartherzi- 
gen Vaters,  mußte  ihm  die  Freude  an  seiner  geliebten 
Musik  verkümmern.  Ein  wildes  Sehnen  ergriff  den  schmäch- 
tigen, blassen  Knaben,  loszukommen  aus  diesem  Joch,  sein 

1        Kapp,    Paganini. 


Spiel  vor  der  Menge  ertönen  zu  lassen  —  berühmt  zu  wer- 
den. Schon  mit  sechs  Jahren  hatte  er  begonnen,  Violine 
zu  spielen,  und  sein  Vater,  Antonio  Paganini,  in  den  Muße- 
stunden ein  eifriger  Guitarrespieler,  war  sein  erster  Lehr- 
meister geworden.  Mit  unerbittlicher  Strenge  zwang  er 
das  schwächliche  Kind,  vom  frühen  Morgen  bis  zum  Abend, 
unablässig  zu  üben,  und  als  gar  seiner  phantastisch-bigot- 
ten Frau  Therese  im  Schlaf  ein  Engel  geweissagt,  daß  ihr 
Sohn  Nicolo  einst  ein  großer  Violinspieler  würde,  steigerte 
er  noch  seine  Anforderungen,  und  wußte  ihnen  durch  bru- 
tale Strafen  Geltung  zu  erzwingen. 

Als  der  Vater  ihn  nichts  mehr  lehren  konnte,  war  der 
Knabe  zu  einem  Musiker  des  Genueser  Theaters,  Gio- 
vanni Servetlo,  und  bald  darauf  zu  dem  ersten  Vio- 
linisten der  Stadt,  Giacomo  Costa,  in  die  Lehre  ge- 
kommen. Unter  solch  sachkundiger  Leitung  machte  er  un- 
geahnte Fortschritte,  er  spielte  jeßt  bereits  allwöchentlich 
beim  Gottesdienst  in  der  Kirche,  und  auch  in  größeren 
Privatgesellschaften  durfte  er  sich  hören  lassen.  Doch  sein 
Sinn  stand  schon  nach  Höherem. 

Als  Nicolo  sich  gegen  Abend,  nachdem  er  einige  Stun- 
den am  Hafen  verträumt,  mit  recht  gemischten  Gefühlen 
seinem  Elternhause  näherte,  und  schon  von  Ferne  den  Kopf 
des  Vaters  am  Fenster  erblickte,  war  er  über  den  ihn  er- 
wartenden Empfang  durchaus  nicht  im  Zweifel.  Sein  vor 
wenigen  Minuten  noch  so  trofeiger  Mut  sank  bedenklich,  und 
die  zuvor  zurechtgelegten  schönsten  Ausflüchte  schienen 
ihre  Stichhaltigkeit  einzubüßen.  Da  geschah  etwas  Un- 
erwartetes. Statt  der  gefürchteten  Prügel  wartete  seiner 
eine  Freudenbotschaft,  die  er  sich  kaum  in  seinen  kühnsten 
Zukunftsträumen  auszumalen  gewagt  hätte.  „Beeile  dich, 
fauler  Schlingel,"  fährt    ihn    der  Vater  an,    „zieh'  deinen 


Samirock  an,  nimm  deine  Geige  und  mach  dich  mit  mir 
auf  den  Weg.  Du  sollst  heute  abend  im  Konzert  des  Sän- 
gers Marchesi  ein  Solo  spielen.  Aber  dafe  du  dich  zusam- 
men nimmst  und  mir  keine  Schande  machst!"  Eine  viel- 
sagende Handbewegung  begleitete  diese  halb  stolzen,  halb 
drohenden  Worte. 

Als  der  kränklich  aussehende  Knabe,  aus  dessen 
blassem,  von  tief  schwarzen  Locken  umrahmtem  Gesicht  zwei 
grofje,  fieberhaft  funkelnde  schwarze  Augen  hervorstechen, 
zaghaften  Schrittes  das  Podium  des  dichtbesefeten  Theater- 
saales betritt,  malt  sich  auf  den  Gesichtern  der  meisten 
Zuhörer  ein  gewisses  ungläubiges  Erstaunen.  Doch  kaum 
hat  er  den  Bogen  angesefet,  kaum  sind  die  ersten  Töne 
seiner  Variationen  über  das  französische  Volkslied  „Car- 
magnola"  verhallt,  da  hat  er  schon  die  vielköpfige  Menge 
zu  atemlosem  Lauschen  gezwungen;  je  freier  und  wilder  sein 
Spiel,  desto  erregter  werden  die  Hörer,  und  als  er  geendet, 
durchbraust  ein  Sturm  des  Beifalls  den  Saal.  Nicolos 
Sehnen  hat  sich  erfüllt,  er  ist  mit  einem  Schlag  ein  berühm- 
ter Künstler  geworden,  und  als  er  wenige  Tage  später 
ein  eigenes  Konzert  veranstaltet,  ist  der  Saal  gedrängt  voll 
und  des  Jubels  kein  Ende. 

Nun  entschloß  sich  Vater  Paganini,  den  Sohn  nach 
Parma  zu  bringen,  um  ihm  von  bewährten  Meistern  die 
lebte  Weihe  des  Musikers  zuteil  werden  zu  lassen.  Als 
sie  hier  den  berühmten  Alessandro  R  o  1 1  a  aufsuchen  woll- 
ten, war  dieser  gerade  bettlägerig.  Seine  Frau  führte  sie 
in  ein  Nebenzimmer,  wo  zufällig  eine  Violine  und  das 
neueste  Konzert  des  Meisters  auf  dem  Tisch  lagen.  Auf 
einen  Wink  des  Vaters  ergriff  Nicolo  das  Instrument  und 
spielte  das  Konzert  tadellos  vom  Blatt.  Plöfelich  öffnete 
sich  die  Verbindungstür  des  Zimmers,  und  Rolla,  der  nicht 


l* 


hatte  glauben  wollen,  dajs  ein  Knabe  solches  vollbringe, 
steckte  seinen  Kopf  herein.  „Sapristi,"  entfuhr  es  ihm, 
als  er  den  kleinen  Teufelskerl  sein  kaum  beendetes  neuestes 
Werk  aus  dem  unleserlichen  Manuskript  mit  solcher 
Meislerschaft  herunterspielen  sah.  Nicolo  wurde  sein 
Schüler.  Daneben  erhielt  er  von  G  i  r  e  1 1  i  und  später 
von  Paer  theoretischen  Unterricht  und  begann,  wie  er 
schon  mit  acht  Jahren  für  den  Vater  eine  Sonate  zu  kompo- 
nieren versucht  hatte,  nun  kunstgerecht  Eigenes  aufzuzeich- 
nen. Nachdem  er  seine  Studien  beendet,  veranstaltete  er 
in  Parma  zwei  gro£e  Konzerte,  bereiste  mit  seinem  Vater 
die  Städte  der  Lombardei,  wo  er  überall  Ruhm  und  Geld 
gewann,  und  kehrte  wieder  in  seine  Heimatstadt  zurück. 

An  dem  Herumziehen  in  der  Welt,  dem  lockenden,  bunt- 
schillernden Reiz  des  Virtuosentums  hatte  der  kaum  er- 
wachsene Knabe  gro&en  Gefallen  gefunden,  nur  Eines  da- 
ran war  ihm  verhalt:  die  scharfe  Aufsicht  des  Vaters, 
dessen  unerbittliche  Strenge  er  immer  drückender  empfand. 
Wie  gern  hätte  er  sich  von  ihm  losgemacht,  um  allein  zu 
reisen,  doch  der  harte  Mentor  war  nie  von  seiner  Seite  ge- 
wichen, und  auch  nach  der  Rückkehr  ins  Elternhaus  über- 
wachte er  die  Arbeiten  des  Sohnes  und  zwang  ihn  durch 
Einschließen  in  das  Zimmer,  in  täglichem  zehn-  bis  zwölf- 
stündigen  Üben  an  der  Vervollkommnung  seiner  Einger- 
fertigkeit weiter  zu  arbeiten.  Da  griff  Nicolo  zu  einer  List, 
um  sich  endlich  der  Fesseln  zu  entledigen.  Alljährlich  fand 
am  Martinstag  in  dem  Städtchen  Lucca  ein  großes  Musikfest 
statt,  zu  dem  von  weit  her  eine  Menge  Volks  zusammen- 
strömte. Diese  Gelegenheit  hatte  sich  Nicolo  zu  seinem 
Befreiungsplan  ausersehen.  Unablässig  bestürmte  er  den 
Vater,  ihn  in  Lucca  auftreten  zu  lassen,  und  nach  langem 
Weigern  willigt  dieser  endlich  ein,    daß  er  allein  dorthin 


reise,  da  er  selbst  in  Genua  zurückgehalten  war.  In  Lucca 
feierte  er  einen  vollen  Triumph.  Doch  statt  nachhause  zu- 
rückzukehren, zog  er  hinaus  in  die  Welt.  Die  Gefangen- 
schaft war  zu  Ende,  und  das  Leben  lag  nun  vor  ihm  ausge- 
breitet mit  all  seinen  Reizen  und  Lockungen,  nach  denen 
schon  so  oft  ein  wildes  Begehren  in  ihm  aufgestiegen,  das 
zu  stillen  ihm  aber  immer  versagt  war.  Jefet  war  er  der 
Herr!  Er  besafe  zwar  bei  seiner  primitiven  Erziehung  nichts 
als  seine  Geige  und  sein  südländisches  Künstlertempera- 
ment in  voller  naturwüchsiger  Wildheit.  Doch  gerade  diese 
waren  die  unwiderstehlichsten  Werber  für  seine  Wünsche. 
Er  stürzte  sich  mit  der  Gier  eines  Verschmachtenden  in  den 
Strudel  des  Lebens,  taumelte  von  Genufe  zu  Genufe.  Die 
Liebe  und  der  Spieltisch  waren  die  zwei  Gottheiten,  denen 
er  unermüdlich  opferte.  An  den  jungen  Künstler  drängten 
sich  natürlich  auch  Leute  recht  fragwürdiger  Art  heran,  und 
seine  Unerfahrenheit  liefe  ihn  leicht  ein  Opfer  ihrer  Ver- 
führungen werden.  An  gar  manchem  Abend  verlor  er  im 
Spiel  den  Ertrag  mehrerer  Konzerte,  und  sein  Leichtsinn 
brachte  ihn  in  Verlegenheiten,  aus  denen  ihn  nur  seine 
Kunst  oder  ein  glücklicher  Zufall  erretten  konnte.  So  war 
er  eines  Tages,  als  er  in  Livorno  konzertieren  sollte,  ge- 
nötigt, da  er  sein  Instrument  am  Hasardtisch  verspielt,  die 
Hilfe  eines  reichen  französischen  Musikfreundes  in  An- 
spruch zu  nehmen.  Dieser  lieh  ihm  für  den  Abend  eine 
wundervolle  Guarnerius.  Als  Paganini  sie  nach  dem  Kon- 
zert dankerfüllt  ihrem  Besser  zurückgeben  wollte,  machte 
er  sie  ihm,  begeistert  durch  seine  Kunst,  zum  Geschenk,  da 
sie  nach  dieser  Stunde  von  keiner  andern  Hand  mehr  „ent- 
weiht" werden  solle.  Dieses  wertvolle  Instrument  wurde 
Paganinis  Lieblingsgeige.  Bis  zu  seinem  Tode  hat  er  sie  in 
allen  Konzerten  gespielt. 


Wiederholt  entschwand  Paganini  in  jenen  Jahren  auf 
Monate  hinaus  den  Blicken  der  Welt.  Ein  Liebesabenteuer 
hatte  ihn  in  das  verschwiegene  Schloß  irgend  einer  Schönen 
entrückt,  in  deren  Banden  er  schmachtete  und  deren  Reize 
und  Liebeswonnen  er  in  Tönen  besang.  Neben  der  Violine 
bediente  er  sich  bei  seinen  Kompositionen  mit  Vorliebe  der 
Guitarre,  auf  der  er  in  gleicher  Weise  Meister  war.  Zahl- 
reiche Sonaten,  Menuetts  für  Guitarresolo,  oder  Duette  und 
Quartette  für  Guitarre  und  Violine,  geziert  mit  Widmungen 
an  schöne  Frauen,  wie  „alla  Sigra  Dida  suo  obbidientissimo 
servitore  ed  implacabilissimo  amico"  oder  „alla  gentilis- 
sima  Signora  Emilia  di  Negro"  oder  „per  la  Signora  Ma- 
rina" u.  a.  legen  von  sü|en  Schäferstunden  beredtes  Zeug- 
nis ab.  War  der  Liebesrausch  verflogen,  so  tauchte  der 
geheimnisvolle  Zauberer,  an  dessen  rätselhaftes  Ver- 
schwinden sich  die  phantastischsten  Märchen  ketteten,  plöh- 
lich  in  einer  anderen  Stadt  wieder  auf  und  trieb  die  Menge 
durch  sein  immer  dämonischer  erklingendes  Spiel  zur  Ra- 
serei. Trofe  seiner  glänzenden  Erfolge  und  der  dadurch 
bedingten  reichen  Einnahmen  stürzte  Paganini  die  Spiel- 
leidenschaft immer  wieder  in  Schulden.  Ein  Zufall  befreite 
ihn  von  diesem  Laster.  Ein  reicher  Musikfreund  bot  ihm 
für  seine  Geige  eine  beträchtliche  Summe.  „Da  ich  infolge 
Spielverluste  gerade  in  gro&er  Geldverlegenheit  war,"  er- 
zählt Paganini,  „schwankte  ich  bereits,  ob  ich  dieses  Aner- 
bieten nicht  annehmen  sollte.  Mein  ganzer  Besife  war 
30  Franken,  denn  meine  Wertsachen,  Uhren,  Ringe  und 
dergl.,  waren  bereits  auf  dem  Pfandhaus.  Da  holte  mich 
ein  Freund  zu  einer  Spielpartie  für  den  Abend  ab,  und  ich 
beschloß,  mein  lefetes  Geld  daran  zu  wagen  und,  wenn  mir 
auch  diesmal  das  Glück  nicht  hold  sein  sollte,  die  Geige  zu 
verkaufen  und  nach  Petersburg  auszuwandern,  um  dort 


mein  Glück  zu  versuchen.  Schon  war  meine  Barschaft  auf 
3  Franken  zusammengeschmolzen,  und  ich  sah  mich  im 
Geist  bereits  auf  der  Reise  in  die  Fremde,  als  plöfelich  das 
Spielglück  umschlug,  mir  meine  Geige  rettete  und  mich  wie- 
der sicheren  Grund  unter  den  Fü&en  gewinnen  lie&.  Von 
diesem  Tage  an  entsagte  ich  dieser  verachtenswerten  Lei- 
denschaft, der  ich  einen  Teil  meiner  Jugend  geopfert."  Aus 
dem  Spieler  und  Verschwender  wurde  gar  bald  ein  spar- 
samer, ja  geldgieriger  Kapitalist.  Die  Leidenschaft  für  das 
schöne  Geschlecht  dagegen  zählte  ihn  auch  fernerhin  Zeit 
seines  Lebens  zu  ihren  treuesten,  unermüdlichsten  Dienern. 


II. 
Lucca 

In  dem  anmutigen  Lucca,  dessen  erstes  Betreten  für 
Paganini  einst  von  so  tiefgehender  Bedeutung  geworden 
war,  sollte  sich  noch  einmal  eine  entscheidende  Wandlung 
seiner  Lebensbahn  vollziehen.  Es  war  allerdings  nicht  mehr 
das  unscheinbare  Provinzstädtchen,  in  dem  der  kleine  Wun- 
dermann beim  Volksfest  billige  Triumphe  gefeiert  hatte, 
inzwischen  war  es  eine  fürstliche  Residenz  geworden. 
Nachdem  im  Jahr  1799  die  Franzosen  Lucca  beseht  haften, 
hatte  es  Napoleon  I.  zur  Hauptstadt  des  Fürstentums 
Piombino  ernannt,  mit  dem  er  seine  Schwester  Maria  Anna 
Elise  und  ihren  Gemahl  Feiice  Bacciocchi  belehnte.  Wie 
alle  von  dem  großen  Korsen  gestifteten  Staatswesen  diente 
auch  dieses  kleine  italienische  dem  neuen  Herrscherpaar  in 
erster  Linie  zur  Erhöhung  des  Lebensgenusses.  Die  Re- 
gierungstaten beschränkten  sich  in  der  Hauptsache  auf  den 
erforderlichen  Erlafe  zur  Herbeischaffung  der  bei  einem 
Leben  in  verschwenderischer  Pracht  und  sinnenfrohen  Lust- 
gelagen doch  niemals  ausreichenden  Geldmittel.  Marie 
Elise,  ein  leidenschaftliches,  üppiges  Weib,  ihrem  Bruder, 
dem  „König  Lustig",  in  allem  blutsverwandt,  war  die  glanz- 
volle Sonne  jener  buntschillernden  Feste,  die  nun  fast  un- 
unterbrochen die  biederen  Bürger  Luccas  in  Atem  hielten. 

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Sie  war  ständig  umschwärmt  von  einer  Trabantenschar 
lebenslustiger  Cavaliere,  die  sie  umgirrten  und  —  nicht 
immer  vergebens  —  auf  Erfüllung  geheimer  Wünsche  hoff- 
ten. Doch  diese  schwüle  Atmosphäre  reinen  Sinnenge- 
nusses vermochte  auf  die  Dauer  die  auch  nach  tieferem  Er- 
leben sich  sehnende  geistvolle  Frau  nicht  zu  befriedigen. 
Das  Erscheinen  einer  überragenden  Persönlichkeit  muffte 
gleich  einer  Erlösung  aus  dieser  Umgebung  diensteifriger 
Hofschranzen  auf  sie  mit  suggestiver  Gewalt  wirken.  Unter 
den  Veranstaltungen  des  alljährlich  im  Herbst  mit  großem 
Pomp  begangenen  Festes  der  Kreuzeserhöhung  stand  1805 
ein  Konzert  des  schon  damals  in  Oberitalien  gefeierten 
Paganini  vornan.  Als  der  Künstler  auf  dem  Podium  er- 
schien, erregte  sein  seltsames  Äußere,  das  gesucht  Exal- 
tierte seines  Benehmens,  wie  seine  ganze  Erscheinung  bei 
der  zahlreich  versammelten  Zuhörerschaft,  unter  der  sich 
die  ganze  Hofgesellschaft  befand,  Erstaunen,  ja  spöttische 
Heiterkeit.  Doch  kaum  waren  die  ersten  Töne  seines  In- 
struments erklungen,  da  hafte  sich  schon  atemlose  Span- 
nung der  Hörer  bemächtigt.  Noch  blifeen  nur  einzelne  Ton- 
funken durch  das  Ritornell  des  Orchesters  ohne  Vollendung 
einer  Phrase  oder  Auflösung  einer  Dissonanz,  doch  bald 
formt  sich  ein  schmelzender,  süfeer  Gesang,  so  bestrickend 
ihn  nur  eine  Geige  hervorzaubern  kann,  der  sorglos  und 
unbekümmert  über  alle  Schwierigkeiten  hinwegschreitet. 
Unvermittelt  zucken  dazwischen  die  kühnsten  Blifee  teuf- 
lischen Humors,  zersehenden  Hohns.  Die  gleich  schwarzen 
Edelsteinen  aus  dem  blassen  Anflife  des  unheimlichen  Gei- 
gers glänzenden  Augen  entzünden  sich  zu  lieferer  Glut, 
funkeln  immer  drohender,  die  Töne  der  Geige  werden  wil- 
der, überstürzen  sich  in  halsbrecherischen,  mit  an  Zauberei 
grenzender     Schnelligkeit    und    Sicherheil    ausgeführten 


Sprüngen  und  Läufen,  heftige  Zuckungen  schütteln  gleich 
Fieberschauern  den  schmächtigen  Körper,  wie  in  wahn- 
sinniger Liebespein  schlägt  er  das  Instrument,  ein  Stampfen 
des  Fu&es  —  das  Orchester  stürmt  darein,  und  in  einem 
donnerähnlichen  Tosen  des  Beifalls  löst  sich  die  atembe- 
nehmende Spannung  der  Hörer.  Der  Künstler  scheint  ihn 
kaum  zu  beachten,  ein  leises  Lächeln  umspielt  seinen  leicht 
geöffneten  Mund,  sein  Blick  fällt  in  eine  Loge,  aus  der  ihm 
von  zarter  Hand  ein  Strau|  dunkelroter  Nelken  zugeworfen 
wird.  An  die  Brüstung  gelehnt,  steht  Marie  Elise,  trunkenen 
Blicks  das  Bild  dieses  seltsamen  Mannes  in  sich  aufneh- 
mend, dessen  Spiel  mit  dämonischer  Gewalt  ihr  Innerstes 
aufgewühlt,  ihre  Nerven  zur  Raserei  gepeitscht,  ihr  körper- 
lichen Schmerz  und  ungekannte  Lust  bereitet  hat. 

Noch  am  selben  Abend  unterzeichnet  Paganini  einen 
Vertrag,  der  ihn  zum  Kammervirtuosen  der  Fürstin  und  zum 
Hofkapellmeister  der  Oper  ernannte.  Zwar  waren  die  Be- 
dingungen keine  glänzenden,  und  sein  Unabhängigkeits- 
drang lie|  sich  nur  schwer  überwinden;  doch  diesmal  lockte 
ihn  ein  Magnet,  der  stärker  war,  und  der  ihm  winkende 
Lohn  schien  ihm  jedes  Opfer  wert:  die  Gunst  einer  Herrin. 
Marie  Elise  gewährte  sie  ihm  rückhaltlos.  Paganini  diri- 
gierte die  Opernaufführungen,  denen  der  Hof  beiwohnte, 
und  veranstaltete  alle  vierzehn  Tage  ein  großes  Konzert,  in 
dem  er  sich  als  Solist  hören  liefe.  Dazwischen  spielte  er 
häufig  in  privaten  Soireen  bei  Hof.  Um  ihm  hier  eine  wür- 
dige Stellung  zu  schaffen  und  vor  allem  ihm  zu  ermöglichen, 
bei  allen  Hoffestlichkeiten  zu  erscheinen,  verlieh  ihm  die 
Fürstin  den  Rang  eines  Offiziers  ihrer  Leibwache.  An  der 
künstlerischen  Entwicklung  ihres  neu  gewonnenen  Freun- 
des nahm  sie  regen  Anteil  und  ward  nicht  müde,  ihn  zu 
immer  neuen  Errungenschaften  in  der  Technik  seines  In- 

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sirumenles  anzuspornen.  Paganini  kam  den  Wünschen  der 
geliebten  Frau  mit  Eifer  nach  und  wartete  fast  in  jedem 
seiner  Hofkonzerte  mit  neuen  Kunststückchen  auf.  So  ver- 
dankt auch  sein  berühmtes  Spiel  auf  einer  Saite,  durch 
das  er  später  die  Welt  in  Staunen  versehen  sollte,  dem 
Liebesidyll  am  Hof  zu  Lucca  seine  Entstehung.  Daß  es  der 
Künstler  mit  der  Treue  gegen  die  fürstliche  Freundin  dabei 
allerdings  nicht  so  genau  nahm  und  daneben  auch  noch 
für  andere  galante  Abenteuer  Lust  und  Gelegenheit  fand, 
gesteht  er  selbst.  „Ein  hübsches  Weib,  zu  der  ich  schon 
lange  insgeheim  in  Liebe  entbrannt  war,  wohnte  stets  den 
musikalischen  Soireen  bei,  und  ich  fühlte,  daß  auch  sie  mir 
zugetan.  Doch  zwangen  uns  wichtige  Gründe,  unsere  Lei- 
denschaft klug  zu  verbergen,  was  jedoch  ihr  Feuer  nur  noch 
stärker  anfachte.  Eines  Tages  versprach  ich  ihr  eine  musi- 
kalische Huldigung,  die  unserer  Liebe  ihre  Entstehung  ver- 
danken sollte,  und  ich  kündigte  für  das  nächste  Hofkonzert 
eine  Neuigkeit  an  unter  dem  Titel  „Liebesszene".  Man  war 
allgemein  sehr  gespannt,  und  das  Erstaunen  erreichte  den 
Höhepunkt,  als  ich  das  Podium  mit  einer  nur  mit  zwei  Sai- 
ten bespannten  Violine  betrat.  Ich  hatte  nur  die  G-  und 
E-Saite  aufgezogen,  die  eine  sollte  die  Empfindungen  des 
jungen  Mädchens,  die  andere  die  leidenschaftlichen  Liebes- 
beteuerungen des  Mannes  zum  Ausdruck  bringen.  Ich  be- 
gann nun  eine  Art  Zwiegespräch,  in  dem  den  zartesten 
Liebesgeständnissen  Ausbrüche  glühender  Eifersucht  folg- 
ten. Drohungen  und  Klagen,  Zorn  und  Freude,  Schmerz 
und  Glückseligkeit  lösten  sich  ab.  Schließlich  kam  es  wie- 
der zur  Versöhnung,  und  die  beiden  Liebenden  führten, 
ausgelassener  denn  je,  einen  Pas  de  deux  aus,  den  ein 
glänzendes  Finale  krönte.  Diese  Novität  machte  Glück: 
die  Dame  meines  Herzens  lie£  mich  durch  glühende  Blicke 

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Verheißung  erhoffen,  und  die  Fürstin  Elise  überschüttete 
mich  mit  Lobsprüchen.  Sie  meinte:  „Da  Ihr  das  Unmög- 
liche leistet,  sollte  Euch  da  nicht  eine  einzige  Saite  zur  Be- 
tätigung Eures  Talentes  genügen?"  Ich  versprach  sofort 
den  Versuch  zu  wagen.  Der  Gedanke  beschäftigte  unab- 
lässig meine  Phantasie,  und  wenige  Wochen  später  schrieb 
ich,  als  Huldigung  zu  des  Kaisers  Namenstag,  meine  mili- 
tärische Sonate  „Napoleon"  für  die  vierte  Saite.  Am  15. 
August  1807  spielte  ich  sie  vor  einer  glänzenden  Hof- 
gesellschaft, und  der  Erfolg  übertraf  meine  kühnsten  Er- 
wartungen. Von  dieser  Zeit  rührt  meine  Vorliebe  für  die 
G-Saite  her,  und  da  man  stets  Neues  darauf  von  mir  zu 
hören  wünschte,  machte  ich  täglich  Fortschritte  in  dieser 
Kunst,  bis  meine  Sicherheit  darin  immer  vollkommener 
wurde." 

Da  der  Zauber,  der  ihn  einst  an  Lucca  gefesselt,  immer 
mehr  zu  verblassen  begann,  gewann  die  Sehnsucht  zum 
ungebundenen  Umherschweifen  in  Paganini  wieder  die 
Oberhand.  Er  erbat  daher  einen  längeren  Urlaub,  der 
ihm  auch  gewährt  wurde,  und  konzertierte  in  mehreren 
Städten  Oberitaliens.  In  T  u  r  i  n  wurde  er  von  Marie  Elises 
Schwester,  der  Fürstin  Maria  Pauline  Borghese  gastlich 
aufgenommen  und  verbrachte  in  der  Nähe  dieser  ebenso 
hübschen  wie  leichtlebigen  Frau  mehrere  Wochen  unge- 
störten Liebesglücks.  Schließlich  tauchte  er,  nachdem  er  in 
Livorno  längere  Zeit  durch  eine  Unterleibserkrankung  ans 
Bett  gefesselt  worden  war,  von  der  er  sich  nie  mehr  völlig 
erholen  konnte,  in  F  I  o  r  e  n  z  auf.  Hierhin  riefen  ihn  seine 
Hofverpflichtungen.  Marie  Elise  war  inzwischen  von  Napo- 
leon zur  Herzogin  von  Toskana  ernannt  worden,  und  der 
ganze  Hofstaat  von  Lucca  nach  Florenz  übergesiedelt.  Zur 
Feier     des    Friedensschlusses    zwischen    Frankreich    und 

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Osterreich  fanden  hier,  im  Oktober  1809,  gro&e  Musikauf- 
führungen statt,  bei  denen  Paganini,  als  Kammervirtuose 
der  Herzogin,  natürlich  nicht  fehlen  durfte.  Nach  Beendi- 
gung des  Festes  erhielt  Paganini  von  Marie  Elise  ein  präch- 
tiges Florentinisches  Mosaik  aus  Edelsteinen  zum  Ge- 
schenk. Es  scheint,  daß  der  einst  so  glühenden  Leiden- 
schaft zwischen  diesen  beiden  Menschen  hier  noch  ein 
stürmischer  Liebesherbst  vergönnt  war,  ehe  der  auf  die 
Dauer  nicht  zu  fesselnde  Künstler,  dessen  Feld  nur  die 
weite  Welt  sein  konnte,  für  immer  von  dannen  zog.  Nach- 
dem Paganini  nach  einer  erneuten  erfolgreichen  Konzert- 
tournee durch  die  Städte  der  Lombardei  nochmals  zu  län- 
gerem Aufenthalt  nach  Florenz  zurückgekehrt  war,  führte 
schließlich  ein  an  sich  bedeutungsloser,  von  ihm  wohl  ab- 
sichtlich provozierter  Vorfall  den  schon  lang  drohenden 
Bruch  herbei.  Der  Künstler  erschien  eines  Abends  zum 
Hofkonzert  nicht  in  seinem  gewohnten  schwarzen  Kleid, 
sondern  in  der  Uniform  seiner  Hofcharge.  Auf  die  Auf- 
forderung der  Herzogin,  das  Konzert  nicht  in  Uniform  zu 
leiten,  entgegnete  er,  daß  er  zum  Tragen  dieser  Kleidung 
berechtigt  sei,  und  daß  das  Verleihungsdekret  keinerlei 
Ausnahmefälle  vorschreibe,  und  froh  nochmaligen  Befehls 
verharrte  er  bei  seiner  Weigerung.  Ja,  um  zu  zeigen,  daß 
er  im  Recht  sei  und  vor  nichts  zurückschrecke,  ging  er  nach 
Schluß  des  Konzertes  bei  Beginn  des  Hofballes  ostentativ 
in  seiner  Uniform  im  Saale  auf  und  ab.  Doch  zog  er  es 
vor,  die  weitere  Entwicklung  dieser  Angelegenheit,  die  ihm 
unter  Umständen  eine  Freiheitsstrafe  hätte  eintragen  kön- 
nen, garnicht  abzuwarten,  und  entwich  noch  in  derselben 
Nacht  aus  Florenz.  Und  weder  die  weitestgehenden  Ver- 
sicherungen, noch  die  flehentlichsten  Bitten  und  Beschwö- 
rungen der  geliebten  Fürstin   vermochten  ihn  zur  Rückkehr 

13 


zu  bewegen.  Der  Magnet,  der  ihn  einst  so  leicht  in  Lucca 
gefesselt,  halte  seine  Kraft  eingebü&t,  und  die  Luft  der 
wiedergewonnenen  Freiheit  umwehte  ihn  viel  zu  ver~ 
lockend,  als  dal  er  jemals  wieder  auf  sie  freiwillig  zu  ver- 
zichten gewillt  war. 


14 


III. 
Quer  durch  Italien 

Paganinis  Flucht  endete  in  Mailand,  einer  Stadt,  die  er 
sehr  ans  Herz  schloS  und  in  die  er  in  der  Folgezeit 
immer  wieder  gern  zurückkehrte.  An  einem  der  ersten 
Abende  besuchte  er  die  Scala.  Man  gab  das  von  Sü&mayer 
in  Musik  gesefete  Ballet  „II  noce  di  Benevenlo"  von  Vigano. 
Eine  Szene  daraus,  in  der  ihm  besonders  eine  Hoboenstelle, 
die  das  Näseln  der  auftretenden  alten  Hexen  komisch  nach- 
ahmen sollte,  belustigte,  regte  ihn  zu  seinen  weltberühmten 
Variationen  le  Streghe  (Die  Hexen)  an,  deren  Thema 
er  der  Sü&mayerschen  Musik  entnahm  und  in  denen  auch 
die  bewußte  Hoboenstelle,  die  er  täuschend  auf  der  Geige 
nachahmte,  nicht  fehlen  durfte.  Noch  während  der  Arbeit 
an  dieser  neuen  Komposition,  die  den  Glanzpunkt  seines 
ersten  Mailänder  Konzerts  bilden  sollte,  erlitt  er  einen 
neuen  Anfall  seines  Unterleibsleidens,  das  ihn  Monate  lang 
am  Auftreten  verhinderte.  Erst  am  29.  Oktober  1813  konnte 
er  sich  zum  erstenmal  in  der  Scala  vor  dem  Mailänder 
Publikum  hören  lassen,  und  namentlich  die  Hexenvari- 
ationen  steigerten  die  Begeisterung  zur  Raserei.  Dieser 
denkwürdige  Abend,  dem  im  Lauf  der  Jahre  in  Mailand 
noch  sechsunddreiljig  mit  gleichem  Enthusiasmus  aufge- 
nommene folgten,  trug  als  erster  den  Ruhm  des  Künstlers 

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über  die  Grenzen  seines  italienischen  Vaterlandes  hinaus 
und  lenkte  die  Augen  von  ganz  Europa  auf  diesen  sagen- 
umwobenen Wundermann.  In  der  Leipziger  musikalischen 
Zeitung  erschien  nämlich  im  Anschluß  an  dieses  Konzert 
eine  ausführliche  Besprechung,  die  erste  in  deutscher 
Sprache.  Sie  lautete:  „Herr  Paganini  aus  Genua,  der  in 
Italien  allgemein  für  den  ersten  Violinspieler  unserer  Zeit 
gehalten  wird,  gab  im  hiesigen  Theater  alla  Scala  eine 
musikalische  Akademie,  worin  er  ein  Violinkonzert  von 
Kreuzer  (E-moll)  und  zu  Ende  Variationen  auf  der  G-Saite 
spielte.  Der  Zulauf  war  außerordentlich:  alles  wollte  die- 
sen Wundertäter  sehen  und  hören,  und  alles  wurde  auch 
wirklich  auf  die  frappanteste  Weise  überrascht.  Paganini 
ist  ohne  Zweifel  in  gewisser  Hinsicht  der  erste  und  größte 
Violinspieler  der  Welt.  Sein  Spiel  ist  wahrhaft  unbe- 
g  r  e  i  f  1  i  eh.  Er  hat  gewisse  Gänge,  Sprünge  und  Doppel- 
griffe, die  man  noch  von  keinem  Violinspieler,  wer  er  auch 
sei,  gehört  hat;  er  spielt  (mit  einer  ganz  eigenen  Appli- 
katur)  die  schwersten  zwei-,  drei-  und  vierstimmigen  Säfee; 
ahmt  viele  Blasinstrumente  nach;  er  gibt  in  den  aller- 
höchsten Tönen  ganz  dicht  am  Steg  die  chromatische  Scala 
so  rein  zu  hören,  daß  es  beinahe  unglaublich  scheint;  er 
spielt  zum  Erstaunen  die  schwierigsten  Säfee  auf  einer 
Saite,  kneipt  auch  wohl,  im  Scherze,  auf  den  anderen  den 
Baß  dazu;  oft  überzeugt  man  sich  kaum,  daß  man  nicht 
mehrere  Instrumente  höre;  kurz,  er  ist  einer  der  künst- 
lichsten Violinspieler,  die  je  die  Welt  gehabt  hat.  Daß 
er  in  seiner  Akademie  Furore  macht,  werden  Sie  sich  den- 
ken. Einige  unparteiische  Musikkenner  bemerkten  jedoch 
mit  Recht,  da|  er  das  Kreuzersche  Konzert  garnicht  im 
Sinne  des  Komponisten  gespielt,  ja  manches  darin  fast  un- 
kennbar    gemacht    habe.     Hiergegen  haben  seine  Varia- 

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tionen  auf  der  G-Saite  (die  er  wegen  des  lauten  Geschreis: 
„Bis!"  widerholte)  jedermann  in  Verwunderung  gesefet: 
denn  wahrlich,  eben  so  was  hat  noch  niemand  gehört.  Frei- 
lich befriedigte  dieser  in  seiner  Art  einzige  Künstler  mit 
einer  Akademie  das  hiesige  Publikum  nicht,  und  so  gab 
er  denn  in  einem  Zeitraum  von  sechs  Wochen  e  1  f  Aka- 
demien, teils  in  der  Scala,  teils  im  Teatro  Carcano.  Be- 
sonderen Beifall  erhielten  seine  Variationen,  betitelt  „le 
Streghe".  Paganini  hat  auch  mehrmals  am  hiesigen  Hofe 
gespielt." 

Fünfzehn  Jahre  lang  durchzog  nun  Paganini  als  ge- 
feierter Virtuose  und  Nationalheros  alle  Städte  Italiens, 
vom  äußersten  Norden  bis  zu  den  südlichen  Gestaden  Sizi- 
liens. Einem  leuchtenden  Meteor  gleich  tauchte  sein  Name 
unvermutet  an  irgendeinem  Konzertsaal  auf,  die  großen,  so 
charakteristischen  Anschlagzettel:  „Paganini  farä 
sentire  il  suo  Violin o"  („Paganini  wird  seine  Geige 
ertönen  lassen")  lockten  wie  durch  Zauberkraft  unwider- 
stehlich die  Menge  an,  und  erschien  er  dann  selbst,  der 
blasse,  geheimnisvolle  Mann,  so  peitschte  sein  Spiel  das 
leidenschaftliche  Temperament  seiner  Landsleute  zu  wilden 
Orgien  auf,  die  noch  lange  nachzitterien,  wenn  sein  Sieges- 
zug ihn  bereits  längst  an  einen  anderen  Ort  geführt.  Er 
spielte  am  liebsten  nur  Stücke  eigener  Komposition,  in 
denen  er  all  seine  Teufelskünste  loslassen  konnte.  Von 
ihnen  waren  nur  die  Orchesterstimmen  der  Begleitung 
aufgezeichnet,  und  diese  wurden,  um  jede  Möglichkeit  des 
Kopierens  zu  verhindern,  unmittelbar  vor  jeder  Probe  und 
jedem  Konzert  ausgeteilt  und  sofort  nach  Schluß  des 
Stückes  wieder  eingesammelt.  Eine  Niederschrift  seines 
eigenen  Soloparts,  den  er  beim  Spiel  sehr  frei  behandelte 
und  durch  Improvisation  und  Extempores  schmückte,  hat 


Kapp,   Paganini. 


17 


zu  seinen  Lebzeiten  kein  menschliches  Auge  erspäht.  Wenn 
Paganini,  was  aber  immer  seltener  geschah,  Werke  frem- 
der Komponisten  zum  Vortrag  brachte,  so  konnte  er  meist 
der  Versuchung  nicht  widerstehen,  sie  mit  allerhand  Ara- 
besken, eigenen  Zutaten  und  dergleichen  auszuschmücken 
und  seiner  Eigenart  anzupassen.  „Es  ist  meiner  Natur 
entgegen,"  schreibt  er  einmal,  „fremde  Kompositionen  zu 
spielen,  Entlehntes  vorzutragen;  nicht  als  ob  ich  das  Vor- 
liegende nicht  zu  spielen  vermöchte.  Man  weife  sehr  genau, 
da§  ich  das  schwerste  Solo  a  vista  spiele;  aber  ich  will 
meine  Eigentümlichkeit  behaupten:  ein  Wunsch,  dessen  Ver- 
wirklichung mir  umso  weniger  verdacht  werden  sollte,  als 
er  ja  auch  den  Forderungen  des  Publikums  vollkommen  zu 
entsprechen  scheint."  Auf  seine  ans  Wunderbare  gren- 
zende Fähigkeit  im  a  vista-Spiel  war  er  sehr  stolz,  und 
viele  seiner  Konzertprogramme  tragen  am  Fufe  den  Ver- 
merk: „Es  steht  jedermann  frei,  dem  Konzertgeber  be- 
liebig ausgewählte  Musikstücke  vorzulegen,  die  er  vom 
Blatte  spielen  soll."  Gern  gab  er  auch  die  Geschichte  zum 
Besten,  da&  man  ihm  bei  einer  derartigen  Begebenheit  zu- 
fällig die  Notenstimme  verkehrt  auf  das  Pult  gestellt,  was 
ihn  aber  durchaus  nicht  gehindert  habe,  das  Stück  ebenso 
fließend  herunterzuspielen,  als  stünden  die  Noten  aufrecht. 
Da|  Paganini  im  Gefühl  seiner  unbegrenzten  Sicherheit, 
verleitet  durch  die  Sensationswirkung  seiner  Kunststück- 
chen, namentlich  beim  italienischen  Publikum,  häufig  die 
Linie,  die  Kunst  und  Taschenspielerei  scharf  trennt,  über- 
schritt und  sich  im  Nachahmen  von  allerlei  Tierlauten  und 
anderen  wohlfeilen  Manchen  produzierte,  ist  gewife,  mufe 
aber  dem  Geschmack  seiner  Zeit  und  der  schädlichen  Ein- 
wirkung des  Jahrzehntelangen  Herumziehens  als  wandern- 
der Virtuose  zugute  gehalten  werden  und  kann  als  flüchtig 

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vorüberhuschender  Schatten  seine  hellstrahlende  Künstler- 
schaft nicht  verdunkeln. 

Wiederholt  fa&te  Paganini  den  Entschluß,  seine  italie- 
nischen Triumphzüge  zu  unterbrechen  und  vor  dem  weiteren 
Forum  der  nordeuropäischen  Kunstfreunde  wertvolleren 
Lorbeer  zu  erringen.  Doch  jedesmal  vereitelte  seine 
schwächliche  Gesundheit,  die  fast  alljährlich  auf  Monate 
durch  Rückfälle  seines  Unterleibsleidens  gefährdet  war, 
diesen  Plan.  Dem  Künstler  auf  all  den  vielverschlunge- 
nen Pfaden  seiner  italienischen  Fahrt  zu  folgen,  ist  kaum 
mehr  möglich,  wäre  auch  wenig  unterhaltsam,  da  die 
Triumphe  und  Feste  sich  überall  in  gleicher  Weise  wieder- 
holten. Nur  wenige  Erlebnisse  heben  sich  noch  heute  ganz 
von    selbst   aus   diesem    allgemeinen   Rahmen   heraus. 

Als  Paganini  im  Frühjahr  1816  in  Genua  weilte,  er- 
reichte ihn  die  Nachricht,  da£  der  berühmte  französische 
Geiger  L  a  f  o  n  t  in  Mailand  eingetroffen  sei,  um  dort  Kon- 
zerte zu  veranstalten.  Sofort  brach  er  dorthin  auf,  um 
sich  selbst  ein  Urteil  über  das  Spiel  seines  Rivalen  zu  bil- 
den und  nötigenfalls  seinen  Mann  zu  stehen.  „Lafonts 
Spiel,"  erzählt  Paganini,  „machte  mir  viel  Freude.  Acht 
Tage  nach  dem  seinigen  gab  auch  ich  ein  Konzert  im 
Scalatheater,  um  ihm  Gelegenheit  zu  geben,  nun  auch  mich 
kennen  zu  lernen.  Am  anderen  Morgen  schlug  mir  Lafont 
vor,  gemeinsam  in  einer  Akademie  aufzutreten.  Ich  lehnte 
dies  zunächst  ab  mit  der  Begründung,  dafe  derartige  Ver- 
anstaltungen sehr  gefährlich  seien,  da  das  Publikum  darin 
einen  Zweikampf  erblicke  und  notwendig  einen  Besiegten 
haben  wolle;  im  gegebenen  Falle  wäre  dies  umso  unver- 
meidlicher, da  Lafont  für  den  ersten  Violinspieler  Frank- 
reichs gelte,  während  man  ihn  unverdienterma|en  für  den 
besten  Geiger  Italiens  anspreche.  Lafont  liefe  diese  Gründe 

2*  19 


nicht  gelten,  und  es  blieb  mir  daher  nichts  übrig,  als  den 
hingeworfenen  Handschuh  aufzunehmen.  Ich  überliefe  ihm 
die  Zusammenstellung  des  Programms,  um  aber  mit  glei- 
chen Waffen  zu  kämpfen,  verzichtete  ich  freiwillig  auf  das 
Spiel  mit  einer  Saite.  Ich  begann  mit  einem  eigenen 
Konzert,  dem  Lafont  eines  der  seinen  folgen  liefe,  worauf 
wir  gemeinsam  ein  Doppelkonzert  von  Kreufeer  spielten. 
Hierbei  hielt  ich  mich  an  den  Stellen,  wo  die  beiden  In- 
strumente zusammengehen,  streng  an  die  Noten,  in  den 
Solis  aber  liefe  ich  meiner  italienischen  Phantasie  freien 
Lauf  und  improvisierte  zu  der  Orchesterbegleitung,  was 
meinem  Rivalen  wenig  zu  behagen  schien.  Hierauf  spielte 
Lafont  seine  Variationen  über  ein  russisches  Thema,  und 
ich  beschlofe  das  Konzert  mit  meinen  Hexenvariaiionen. 
Lafont  besafe  vielleicht  den  Vorzug  gröfeerer  Tonschönheit, 
aber  der  Beifall  des  Publikums  bewies  mir,  dafe  ich  in  die- 
sem Wettstreit  keineswegs  den  Kürzeren  gezogen  hatte." 
Es  war  natürlich  ein  törichtes  Unterfangen  des  Franzosen, 
Paganini  auf  italienischem  Boden  den  Rang  ablaufen  zu 
wollen.  Mochte  er  ihm  in  getragenem  klassischen  Stil, 
an  Tonfülle  und  edlem  Vortrag  überlegen  sein,  so  war  er 
ihm  an  Originalität  und  technischem  Können,  was  vor  dem 
grofeen  Publikum  natürlich  den  Ausschlag  geben  mufete, 
nicht  entfernt  gewachsen. 

Kurz  darauf  führte  Paganini  der  Zufall  mit  einem  an- 
deren Meister  seines  Instruments  zusammen,  von  dessen 
Richtung  ihn  allerdings  eine  noch  tiefere  Kluft  trennte, 
dem  Deutschen  Ludwig  Spohr.  Paganini  weilte  meh- 
rere Monate  in  Venedig,  nicht  um  zu  konzertieren,  sondern 
um  sich  von  einem  schweren  Krankheitsfall  zu  erholen. 
Häufig  trug  der  Abendwind  den  Luslwandlern  am  Lido 
geisterhaft  berückende  Weisen  zu,  deren  Ursprung  niemand 

20 


kannte.  Sie  entstammten  der  Geige  Paganinis,  der  oft 
stundenlang  auf  dem  Friedhof  am  Lido  sa|  und  die  tief 
melancholische  Stimmung  der  Abenddämmerung  leise  in 
Tönen  ausklingen  lief*.  Einem  künstlerischen  Waffengang 
mit  Spohr,  dessen  Können  er  volle  Gerechtigkeit  wider- 
fahren lieB  und  den  er  den  „vorzüglichsten  Sänger"  auf 
seinem  Instrument  nannte,  wich  Paganini  wohl  in  dem 
richtigen  Empfinden  des  zwischen  ihnen  bestehenden  un- 
vereinbaren Kontrastes  aus.  „Heute  früh,"  heilt  es  in 
Spohrs  Autobiographie  unterm  20.  Oktober  1816,  „war 
Paganini  bei  mir,  um  mir  viel  Schönes  über  das  Konzert 
zu  sagen.  Ich  bat  ihn  sehr  dringend,  mir  doch  nun  einmal 
etwas  vorzuspielen,  und  mehrere  Musikfreunde,  die  eben 
bei  mir  waren,  vereinigten  ihre  Bitten  mit  der  meinigen.  Er 
schlug  es  uns  aber  geradezu  ab  und  entschuldigte  sich  mit 
einem  Sturze,  dessen  Folgen  er  noch  in  den  Armen  spüre. 
Nachher,  als  wir  allein  waren  und  ich  nochmals  in  ihn  drang, 
sagte  er  mir,  seine  Spielart  sei  für  das  gro&e  Publikum 
berechnet  und  verfehle  bei  diesem  nie  seine  Wirkung;  wenn 
er  mir  aber  etwas  spielen  solle,  so  müsse  er  auf  eine 
andere  Art  spielen,  und  dazu  sei  er  jefet  viel  zu  wenig 
im  Zuge;  wir  würden  uns  aber  wahrscheinlich  in  Rom  oder 
Neapel  treffen,  dann  wolle  er  sich  nicht  länger  weigern. 
Ich  werde  also  wahrscheinlich  von  hier  abreisen  müssen, 
ohne  den  Wundermann  gehört  zu  haben."  Als  Spohr 
sein  Spiel  endlich  vierzehn  Jahre  später  in  mehreren  Kon- 
zerten kennen  gelernt  hatte,  vermochte  er  keine  reine 
Freude  daran  zu  empfinden.  „Seine  linke  Hand,"  so  schrieb 
er  damals,  „so  wie  die  immer  reine  Intonation  schienen  mir 
bewunderungswürdig.  In  seinen  Kompositionen  und  seinem 
Vortrag  fand  ich  aber  eine  sonderbare  Mischung  von 
höchst  Genialem  und  kindisch  Geschmacklosem,   wodurch 

21 


man  sich  abwechselnd  angezogen  und  abgestoßen  fühlte, 
weshalb  der  Totaleindruck  nach  öfterem  Hören  für  mich 
nicht  befriedigend  war."  Die  Welten  der  beiden  Meister 
waren  eben  zu  verschiedene! 

Nicht  lange  nach  der  Begegnung  mit  Spohr  kreuzte 
noch  ein  dritter  Rivale  Paganinis  Weg:  der  junge  Pole 
Joseph  Lipinski,  derselbe,  der  fünfundzwanzig  Jahre 
später  unter  Richard  Wagner  erster  Konzertmeister  des 
Dresdner  Hoftheaters  war.  Die  Kunde  von  des  italienischen 
Meisters  kühnen  Triumphen  hatte  ihn  veranlagt,  die  weite 
Reise  von  Lemberg  über  die  Alpen  anzutreten,  allerdings 
nicht  in  der  Absicht,  ihn,  wie  einst  Lafont,  als  Gegner  in 
die  Schranken  zu  fordern,  sondern  aus  reiner  Begeisterung 
für  seine  Kunst  und  in  dem  Bestreben,  aus  Paganinis  Spiel 
zu  lernen.  In  Venedig  und  Verona  forschte  er  vergeblich 
nach  dem  Meister,  erst  in  Mailand  erfuhr  er,  daß  dieser  in 
Piacenza  weile,  und  er  traf  dort  gerade  noch  rechtzeitig 
ein,  um  dessen  Konzert  hören  zu  können.  Anderentags 
machte  er  des  Künstlers  Bekanntschaft,  und  Paganini  schloß 
den  jungen  Kunstgenossen,  dessen  Talent  ihn  aufrichtig 
interessierte,  bald  so  sehr  in  sein  Herz,  daß  er  viel  mit 
ihm  zusammen  musizierte,  ja  ihn  aufforderte,  in  mehreren 
seiner  Konzerte  mitzuwirken.  Er  suchte  ihn  sogar  schließ- 
lich zu  einer  gemeinsamen  Kunstfahrt  durch  Italien  zu  be- 
wegen. Dies  mußte  Lipinski  ablehnen,  da  ihn  seine 
Verpflichtungen  wieder  in  die  Heimat  riefen,  aber  er 
schied  in  aufrichtiger  Freundschaft  von  dem  bewunderten 
Meister,  dessen  Lehren  er  viel  verdankte,  und  gab  seiner 
Verehrung  einige  Jahre  später  durch  die  Widmung  einer 
seiner  Kompositionen  öffentlich  Ausdruck. 

Von  italienischen  Künstlern  schloß  sich  Paganini  enger 
nur  an  Rossini  an,  mit  dem  er  bei  einem  Aufenthalt  in 

22 


Bologna  Freundschaft  geschlossen  hatte.  In  R  o  m  traf  er 
nach  Jahren  wieder  mit  ihm  zusammen.  Er  fand  den 
Freund  in  arger  Bedrängnis.  Rossinis  neue  Oper  „Ma- 
thilde von  Chabran"  sollte  im  Apolloiheater  ihre  erste  Auf- 
führung erleben.  Da  hatte  am  Tag  der  Generalprobe  den 
Kapellmeister  der  Schlag  gerührt,  und  ein  Ersatzmann  war 
nicht  rechtzeitig  zu  beschaffen.  Sofort  sprang  Paganini 
in  die  Bresche.  Eine  flüchtige  Durchsicht  der  Partitur  machte 
ihn  mit  den  Intentionen  des  Komponisten  vertraut,  und  am 
Abend  leitete  er  die  Probe  mit  einem  Feuer,  da|  er  alle 
Mitwirkenden  zur  höchsten  Leistungsfähigkeit  hinriß.  Um 
das  Orchester  besser  anspornen  zu  können,  spielte  er  den 
ganzen  Part  eine  Oktave  höher  auf  seiner  Geige  mit.  Die 
Erstaufführung  der  Oper  am  folgenden  Tage  wie  die  drei 
nächsten  Wiederholungen  sahen  Paganini  am  Dirigenten- 
pult. Er  errang  dem  Werk  des  Freundes  einen  vollen  Er- 
folg. Rossini  hat  ihm  diesen  echten  Freundschaftsdienst 
nie  vergessen.  Charakteristisch  ist  sein  Ausspruch:  es  sei 
ein  Glück  für  die  italienischen  Tondichter,  da£  Paganinis 
von  eiserner  Willenskraft  gestähltes  Talent  sich  nicht  auf 
das  Opernkomponieren  geworfen  habe,  da  er  sonst  so- 
wohl ihn  wie  alle  anderen  Rivalen  in  den  Schatten  gestellt 
hätte. 

An  diesen  römischen  Kapellmeistertriumph  schloß  sich 
Paganinis  erster  Besuch  N  e  a  p  e  1  s  an.  Dafj  bei  dem  heiß- 
blütigeren Temperament  seiner  Hörer  hier  im  Süden  die 
Wogen  der  Begeisterung  noch  wilder  sich  aufbäumten,  als 
im  Norden  seines  Vaterlandes,  war  vorauszusehen.  Die 
Tollheit  feierte  hier  Orgien.  Leider  sollte  für  den  Künstler 
die  Erfüllung  seines  jahrelang  gehegten  Wunsches,  ein 
Aufenthalt  in  Neapel,  durch  einen  erneuten  schweren 
Krankheitsanfall  empfindlich  getrübt  werden.     Mitten  aus 

23 


seinen  Triumphen  heraus  warf  ihn  ein  Unwohlsein  aufs 
Krankenlager.  Er  hatte  zwei  Zimmer  im  Quartier  Petrajo 
inne.  Sein  Zustand  verschlimmerte  sich  von  Tag  zu  Tag, 
und  bald  verbreitete  sich  in  der  Stadt  das  Gerücht,  er  sei 
von  der  Schwindsucht  befallen.  Da  der  Eigentümer  seiner 
Wohnung  diese  Krankheit  für  ansteckend  hielt  und  fürchtete, 
der  Maestro  möchte  bei  ihm  sterben,  liefe  er  kurz  ent- 
schlossen das  Bett  des  Kranken  mit  all  seinem  Hab  und 
Gut  ins  Freie  schaffen  und  überliefe  ihn  dort  seinem  Schick- 
sal. Zufälligerweise  kam  der  Paganini  befreundete  Cellist 
Ciandelli  dazu  und  liefe  den  Ärmsten  in  eine  behagliche,  ge- 
sunde Wohnung  bringen,  nicht  ohne  zuvor  dem  neapolita- 
nischen Gefühlsmenschen  für  seine  Rohheit  eine  tüchtige 
Tracht  Prügel  verabfolgt  zu  haben.  Bald  war  Paganini  wie- 
der soweit  hergestellt,  dafe  er  seine  unterbrochenen  Kon- 
zerte zu  Ende  führen  konnte.    ' 

Dafe  der  gefeierte  Mann  selbst  seinen  Italienern  nicht 
alles  ungesühnt  zu  bieten  wagen  durfte,  zeigt  ein  in  man- 
cher Hinsicht  charakteristischer  Vorfall  in  Ferrara.  Er 
hatte  hier  ein  Konzert  angezeigt,  in  dem  die  Sängerin  Mar- 
colini  mitwirken  sollte.  In  lefeter  Stunde  sagte  sie  jedoch 
infolge  einer  gegen  Paganini  gesponnenen  Intrige  ab. 
„Sie  will  mich  rasend  machen!  Ich  weife,  dafe  man  mich  in 
Verlegenheit  sehen  will,  aber  das  soll  ihnen  nicht  gelingen," 
tobte  er.  Mit  inständigen  Bitten  bestürmte  er  die  ihm  be- 
freundete, mit  einer  kleinen,  aber  anmutigen  Stimme  be- 
gabte Tänzerin  Pallerini,  für  die  Sängerin  einzuspringen. 
Nachdem  er  noch  eingehend  mit  ihr  zur  Guitarre  geprobt, 
erklärte  sie  sich  bereit.  Doch  abends  vor  dem  Publikum  war 
sie  befangen  und  sang  ihre  Arie  sehr  zaghaft.  Trofedem 
ermunterten  sie  die  Hörer  durch  freundlichen  Beifall,  als  sie 
aber  geendet,    ertönte,    vermutlich  von  einem  Freund  der 

24 


Marcolini,  ein  gelles  Pfeifen.  Paganini  wütete  und  schwor, 
sich  und  seine  Freundin  für  die  ihnen  angetane  Schmach  zu 
rächen.  Das  lebte  Stück  seines  Programmes  sollte  nach 
Ankündigung  allerhand  scherzhafte  musikalische  Nach- 
ahmungen bringen.  Nachdem  er  das  Zwitschern  der  Vögel, 
den  Hahnenschrei,  das  Bellen  der  Hunde,  das  Miauen  der 
Kafee  und  ähnliche  Imitationen  hatte  vernehmen  lassen,  trat 
er  dicht  an  die  Rampe  des  Podiums  und  rief,  indem  er  auf 
das  täuschendste  das  J-A  des  Esels  nachahmte:  „Questo 
e  per  guello  che  ha  fischiato!"  („Dies  für  den  Pfeifer!") 
Im  Saal  erhob  sich  ein  wüstes  Lärmen,  doch  Paganini  ließ 
sich  nicht  einschüchtern,  und  triumphierend  sein  J-A  hinaus- 
schmetternd,  verlief  er  das  Podium.  Dieses  Impromptu 
schien  jedoch  für  ihn  gefährlich  werden  zu  wollen,  die 
Menge  stürmte  ihm  nach  und  drohte  mit  Tätlichkeiten,  und 
nur  unter  dem  Schüfe  der  Polizei  gelang  es  ihm,  unversehrt 
seinen  Gasthof  zu  erreichen.  Hier  erst  erfuhr  er  die  Auf- 
klärung der  ihm  ganz  unverständlichen  Empörung.  Die 
Einwohner  der  um  Ferrara  gelegenen  Ortschaften  sehen  mit 
Verachtung  auf  die  Ferraresen  herab,  bezeichnen  sie  mit 
Esel,  und  wenn  sie  aus  Ferrara  heimkehren,  pflegen  sie  auf 
die  Frage  „wo  warst  du?",  nur  mit  J-A  zu  antworten. 
Das  Konzertpublikum  hatte  daher  in  Paganinis  Rache  eine 
allgemeine  Beschimpfung  der  Stadt  gesehen.  Zum  Über- 
fluß fühlte  sich  die  Behörde  noch  veranlaßt,  dem  Künstler 
für  alle  Zeiten  das  Auftreten  in  Ferrara  zu  untersagen. 

Ein  Aufenthalt  in  Venedig  im  Frühjahr  1824  wurde 
für  Paganinis  Leben  von  einschneidender  Bedeutung.  Eine 
kleine  Sängerin  am  Samueltheater  hatte  es  ihm  angetan. 
Was  ihn,  dem  die  schönsten  und  vornehmsten  Frauen  sich 
hingaben,  der  von  einem  galanten  Abenteuer  zum  andern 
flatterte,  gerade  an  jene  unbedeutende,  nicht  einmal  son- 

25 


derlich  hübsche  Choristin  fesselte,  ist  eines  jener  Liebes- 
rätsel, deren  Lösung  der  nüchterne  Verstand  dem  kleinen 
Schalk  Amor  überlassen  mufe,  der  ihm  ja  so  gern  ein 
Schnippchen  schlägt.  „Ich  bin  weder  jung  noch  schön,  im 
Gegenteil  ich  bin  sehr  hä|lich  gewesen,"  gesteht  Paganini 
später  einmal  selbst,  „aber  wenn  die  Frauen  meine  Musik 
hören,  den  Schmelz  meiner  Töne,  weinen  sie  alle,  dann 
werde  ich  ihr  Idol  und  sie  liegen  mir  zu  Fü&en."  Vielleicht 
war  es  gerade  das  ungebildete  Kind  der  Mailänder  Vor- 
stadt, die  im  Gegensafe  zu  seinen  Salonliebschaften  ur- 
wüchsige Sinnlichkeit,  die  ihn  an  der  jungen  A  n  t  o  n  i  a 
B  i  a  n  ch  i  bezauberte.  Er  nahm  sie  zu  sich  und  förderte 
durch  eifriges  gemeinsames  Studium  ihre  Gesangskunst  bis 
zu  einem  solchen  Grade,  da&  sie  schon  am  21.  Mai  in 
seinem  Konzert  in  Genua  als  „virtuose  forestiera"  vor  das 
Publikum  seiner  Vaterstadt  treten  konnte.  Nach  weiteren 
Konzerten  in  Mailand,  Triest,  Rom  und  Neapel  begab  sich 
das  junge  Paar  nach  Sizilien,  dessen  Klima  Paganinis  an- 
gegriffenem Gesundheitszustand  sehr  förderlich  war.  Hier 
verweilten  sie  in  ungestörter  Zurückgezogenheit  und  sü&em 
Nichtstun  über  ein  volles  Jahr.  Das  Glück  erreichte  den 
Höhepunkt,  als  ihnen  ein  Knabe  geboren,  der  stolz 
A  ch  i  1 1  e  genannt  und  des  Vaters  Abgott  wurde.  Der  Er- 
holungsaufenthalt auf  Sizilien  und  mehr  wohl  noch  das  ge- 
regelte Leben  hatte  Paganinis  Körper  neu  gekräftigt;  mit 
frischem  Mut  begann  er,  ehe  er  die  nun  fest  beschlossene 
Reise  ins  Ausland  antreten  wollte,  unter  Mitwirkung  seiner 
Geliebten  eine  gro&e  Abschiedstournee  durch  Italien,  ober 
die  Bianchi,  die  in  den  Konzerten  meist  Arien  von  Pacini 
sang,  schreibt  um  jene  Zeit  ein  Kritiker  der  „Leipziger  All- 
gemeinen musikalischen  Zeitung":  „Ihre  Stimme  ist  schön 
und  rührend;  die  Töne  weich,  voll,  rund,  subtil  und,  wo  es 

26 


Not  tut,  auch  kräftig  durchgreifend;  ihr  Triller  in  der  Höhe 
wie  in  der  Tiefe  musterhaft;  Methode,  Portamento,  Volubi- 
lität  bewunderungswürdig;  innige  Empfindung  und  Aus- 
druck, sich  assimilierend  mit  den  Sphaerenklängen  ihres 
Kunstfreundes,  da|  die  gegenseitige  magnetische  An- 
ziehungskraft unverkennbar  hervortritt."  Doch  mit  der 
Rückkehr  in  die  grogeWelt,  in  die  Atmosphäre  der  Konzert- 
säle und  Salons,  war  es  um  die  Harmonie  und  das  Liebes- 
glück der  beiden  geschehen.  Die  Leidenschaft  war  wohl 
bei  beiden  längst  gekühlt,  schroffe  Charaktergegensäfee 
traten  jefet  unangenehm  hervor,  bei  ihr  launenhafte  Herrsch- 
sucht und  Geldgier,  bei  ihm  kleinlicher  Geiz  und  Unbestän- 
digkeit. Da  Paganini  mehrfach  andere  intime  Beziehungen 
anknüpfte,  die  Bianchi  ihm  aber  scharf  nachspionierte,  so 
kam  es  zu  wüsten  Eifersuchtsszenen,  die  bei  den  durch 
Erziehung  und  Bildung  wenig  gebändigten  elementaren  Ge- 
fühlsäugerungen der  beiden  nicht  selten  zu  Tätlichkeiten 
ausarteten.  Namentlich  an  den  Geigen  ihres  ungetreuen 
Gemahls  lieg  Antonia  wiederholt  ihre  Wutanfälle  aus. 
Das  Verhältnis  wurde  immer  unhaltbarer.  Sie  begleitete  ihn 
noch  bis  zur  ersten  Station  im  Ausland,  nach  Wien,  doch 
hier  kam  es  wegen  des  Ertrags  eines  zu  ihrem  Benefiz  ver- 
anstalteten Konzertes,  den  ihr  Paganini  nur  zur  Hälfte  zu- 
gestehen wollte,  zu  einem  heftigen  Streit,  und  als  sie  we- 
nige Tage  später  außerdem  noch  begründeten  Anlag  zur 
Eifersucht  zu  haben  glaubte,  ver'ieg  sie  nach  einer  furcht- 
baren Szene  die  Stadt  und  kehrte  nach  Italien  zurück.  An 
Stelle  der  ihr  früher  notariell  zugesicherten  jährlichen 
Rente  forderte  sie  eine  einmalige  Abstandssumme,  die  ihr, 
wie  aus  Paganinis  Notizbuch  hervorgeht,  im  Betrag  von 
10  593,  10  Lire  ausgehändigt  wurde.  Der  kleine  Achille  blieb 
beim  Vater  zurück.    In  Paganinis  Briefen  an  seine  Freunde 

27 


zittert  dieses  schmerzliche  Erlebnis,  der  häßliche  Bruch 
eines  Verhältnisses,  das  über  vier  Jahre  gewährt,  aus  dem 
er  wenigstens  den  Sohn,  als  das  höchste  Kleinod  seines 
Lebens  gerettet  hatte,  noch  lange  nach.  Allerdings  trübt 
ihm  dabei  die  Verbitterung  und  die  Erinnerung  an  die  aus- 
gestandenen Qualen  den  Blick  für  frühere  glücklichere  Zei- 
ten: „Du  glaubst,"  helfet  es  in  einem  Brief  aus  Wien  an 
einen  Freund  in  der  Heimat,  „dafe  dieses  Weib  mir  im 
Krankheitsfall  nüfelich  gewesen  wäre.  Mein  Lieber,  gerade 
wenn  ich  krank  bin,  fühle  ich  den  Vorteil,  sie  nicht  um  mich 
zu  haben.  Mag  es  Mangel  an  Herz  oder  Verstand  bei  ihr 
gewesen  sein,  aber  gerade  bei  solchen  Gelegenheiten  tat 
sie  nie  das,  was  gerade  not  war.  Ich  will  hier  nicht  die 
vielen  schmerzlichen  Wunden  wieder  aufreihen.  Jene  Elende 
wollte  nie  üben,  noch  überhaupt  etwas  tun,  und  bei  den 
kleinsten  Arbeiten  klagte  sie,  dafe  ich  sie  wie  eine  Sklavin 
behandele.  Sie  erzählte  Gott  und  der  Welt  Geschichten 
von  ihrer  Schande.  Vergeblich  suchte  ich  sie  zu  zügeln. 
Immer  von  Neuem,  mit  allem,  was  sie  tat,  reizte  sie  mich. 
Diese  traurige  Geschichte  ganz  herzuzählen,  wäre  zu  lang 
und  zu  bitter.  Als  ich  sie  kennen  lernte,  war  sie  eine  kleine, 
unbedeutende  Sängerin,  ich  machte  sie  fähig,  in  Konzerten 
aufzutreten.  Sie  hatte  kaum  ein  Hemd  anzuziehen,  jefet 
besifet  sie  eine  prächtige  Garderobe,  Juwelen  und  Kapita- 
lien! Sie  verbitterte  mein  Leben,  solange  sie  mit  mir  zu~ 
sammen  war,  und  jefet,  wo  ich  sie  los  bin,  hat  sie,  wie  ich 
weife,  nur  e  i  n  Bestreben,  mich  schlecht  zu  machen.  Die 
gerechten  Menschen  werden  zwischen  mir  und  ihr  richten. 
Einem  Freunde  wie  Dir  gegenüber  wollte  ich  mal  mein 
Herz  ausschütten,  nicht  um  mich  zu  rechtfertigen,  sondern 
um  mir  Luft  zu  machen."  Ein  anderes  Mal  heifet  es:  „Wie 
ich  Dir  eben  sagte,  ist  die  Bianchi  immer  gemeiner  gewor- 

28 


den,  sie  hat  mir  Streiche  in  allen  Tonarten  gespielt.  Sie 
wurde  lächerlich  anmalend,  aus  Habgier  nach  2000  Talern 
lie|  sie  mich  keinen  Augenblick  in  Frieden  und  eines 
Abends  hat  sie  mich  und  ihren  Sohn  im  Stich  gelassen  und 
ist  nach  Mailand  zurückgekehrt  mit  den  Brillanten,  die  ich 
ihr  gekauft  und  allem  Geld.  Wenn  ihr  sie  zufällig  seht  und 
reden  hört,  so  glaubt  nichts  von  ihrem  Geschimpfe  über 
mich.  Achille  ist  lieb  und  hübsch,  ich  habe  ihn  immer  bei 
mir,  und  er  ist  es,  der  mich  am  Leben  erhält." 


29 


IV. 

Der  Europäer 

Am  16.  März  trifft  in  unserer  Kaiserstadt  Italiens  be- 
rühmtester Violinspieler,  der  Ritter  Nicolo  Paganini 
ein,  der  sich  einmal  entschlossen  hat,  eine  Kunstreise  außer- 
halb Italiens  zu  unternehmen,  um  dem  kunstsinnigen 
Wien  zuerst  seine  Leistungen  zu  widmen,  ein  Beweis  von 
Achtung,  der  gewiß  die  verdiente  Anerkennung  widerfahren 
wird."  Diese  und  ähnliche  geschickt  verbreitete  Ankündi- 
gungen versehten  alle  Musikfreunde  Wiens  in  Erregung. 
„Paganini  ist  dal"  ging  es  von  Mund  zu  Mund.  Endlich 
sollte  man  diesen  geheimnisvollen  Zauberer,  von  dessen 
schier  unglaublichen  Künsten  man  die  tollsten  Märchen  ver- 
nommen, dessen  Persönlichkeit  und  Lebensschicksale  in 
ein  gruseliges,  rätselvolles,  mystisches  Dunkel  gehüllt 
waren,  von  A.ngesicht  zu  Angesicht  sehen,  seinen  Tönen 
lauschen  dürfen.  Anfangs  war  man  den  überschwenglichen 
Berichten  aus  Italien  mißtrauisch  und  mit  Spott  über  das 
heiße  südländische  Temperament  und  die  geringen  An- 
sprüche nicht  sehr  verwöhnter  Hörer  begegnet,  als  aber 
einer  nach  dem  andern,  den  sein  Weg  gen  Süden  geführt, 
mit  begeisterten  Worten  immer  neue  Wunderdinge  und 
Seltsamkeiten  von  diesem  modernen  Hexenmeister  zu  be- 
richten gewußt,  da  war  dem  biederen  Wiener  das  ungläu- 

30 


bige  Lächeln  vergangen.    Mit  dem  Verstand  vermochte  er 
derartiges  nicht  zu  fassen,  mit  richtigen  Dingen  konnte  das 
nicht  zugehen,  und  nun  glaubte  er  fest  an  all  den  Teufels- 
spuk, den  schon  ängstliche  Gemüter    in    Italien    zur    be- 
quemen Lösung  dieser  Rätsel  sich  zusammenphantasiert. 
Er  hatte  nicht  umsonst  die  Schilderungen  seines  Lieblings- 
schriftstellers E.  T.  A.  Hoffmann  in  atemloser  Erregung  ver- 
schlungen und  sich  in  den  romantischsten  Phantastereien 
ein  geistiges  Gegengewicht  zu  den  reizlosen  Vorgängen 
des  unter  dem  schweren  Druck  einer    reaktionären  Strö- 
mung geknechteten  Alltags  geschaffen.    In  Paganini  schien 
nun  gar  der  Kapellmeister  Kreisler  in  all  seiner  unheim- 
lichen Dämonie  wiedererstanden,  zur  greifbaren  Wirklich- 
keit geworden  zu  sein.    Kein  Wunder  daher,  da&  die  Kunde 
seiner  Ankunft  in  Wien  eine  kleine  Revolution  hervorge- 
rufen hatte  und  trofe  noch  nie  dagewesener  Eintrittspreis- 
höhe schon  Tage  zuvor  keine  einzige  Karte  für  das  Kon- 
zert mehr  aufzutreiben  war.     Endlich  war  der  ungeduldig 
erwartete  Tag  da,  und  schon    drei  Stunden    vor    Beginn 
herrschte   in   dem   Konzertsaal    ein    beängstigendes   Ge- 
dränge.   Geduldig  harrte  man  dem  Ereignis  entgegen,  und 
je  weiter  der  Zeiger  der  Uhr  vorrückte,  desto  höher  stieg 
die  Spannung,  die  fühlbar  über  der  Menge  lagerte.     Sa& 
irgendwo  in  den  Reihen  ein  Glücklicher,  der  Paganini  schon 
gesehen  oder  wenigstens  Näheres  über  ihn  gehört  hatte, 
so  umdrängten  ihn  die  Nachbarn  und    lauschten  atemlos 
seinen  Erzählungen.    „Aber  ganz  gewife,"  erklang  aus  einer 
dichten  Gruppe  die    durchdringende  Stimme    eines    vor- 
nehm  gekleideten  Jünglings,   der  heftig  gestikulierte  und 
den  ungläubig  den  Kopf    schüttelnden  Nachbar,    der    es 
wagte,  an  seinen  Worten  zu  zweifeln,  mit  wütenden,  ver- 
ächtlichen Blicken  ma&.     „Ich  habe  selbst  in  Mantua  das 


31 


Gefängnis  gesehen,"  bekräftigte  er  nochmals,  „in  dem 
Paganini  vor  Jahren  seine  Strafe  abgebüßt  hat.  Er  hatte 
sich  in  ein  bildschönes  Weib  verliebt  und  war  mit  ihr  aus 
ihrer  Vaterstadt  in  ein  verborgenes  Liebesversteck  geflüch- 
tet. Doch  bald  war  die  Schöne  der  Einsamkeit  überdrüssig 
und  sehnte  sich  nach  anderen  Zerstreuungen  als  der  Ge- 
sellschaft ihres  Geliebten.  Paganini  verfolgte  sie  mit  wahn- 
sinniger Eifersucht,  und  eines  Tages,  als  sie  ihm  offen  ein- 
gestand, daß  sie  seiner  überdrüssig  sei,  geriet  er  in  solche 
Raserei,  daß  er  mit  einem  Messer  auf  sie  losstürzte  und  sie 
lebensgefährlich  verleßte.  Er  wurde  verhaftet  und  zu 
mehreren  Jahren  Gefängnis  verurteilt.  Man  gestattete  ihm 
ausnahmsweise,  seine  Geige  mit  in  seine  Zelle  zu  nehmen. 
Doch  eine  Saite  nach  der  anderen  fiel  der  feuchten  Kerker- 
luft zum  Opfer,  und  schließlich  blieb  nur  noch  die  wider- 
standsfähigere G-Saite  gebrauchsfähig.  Paganini  war  nun 
gezwungen,  auf  dieser  einen  Saite  all  das  hervorzuzaubern, 
was  ihm  früher  alle  vier  erklingen  liegen.  Immer  neue 
Mittel  und  Wege  fand  er  aus  und  bald  hatte  er  in  dem 
Spiel  auf  der  einen  Saite  eine  solche  Meisterschaft  er- 
langt, dag  er  die  andern  garnicht  mehr  vermiete.  Und  das 
ist  die  Ursache,"  schloß  triumphierend  der  Redner,  denn 
sein  zäher  Widersacher  war  längst  ganz  verstummt,  „zu 
Paganinis  Vorliebe  für  das  Spiel  auf  der  G-Saite  und  seine 
unerreichbare  Fertigkeit."  Beifällig  nickten  ihm  die  Hörer 
zu,  nur  einem  schien  diese  Lösung  von  Paganinis  Zauberei 
zu  harmlos.  „Mag  sein,"  sagte  er  geringschätzend,  „daß 
gerade  das  sich  auf  solche  Weise  erklären  läßt,  aber  seine 
ganze  Hexerei  hat  der  Mann  nicht  im  Gefängnis  erlernt. 
Denn  das  könnt'  schließlich  auch  ein  anderer  nachmachen. 
Nein,  es  ist  ein  offenes  Geheimnis,  daß  er  mit  dem  Teufel 
im  Bunde  steht,  und  schon  wiederholt  sah  man  in  seiner 

32 


Nähe,  wenn  sich  mitten  in  seinem  Spiel  sein  Gesicht  zu 
einem  bizarren  Lächeln  verzieht,  das  jedermann,  der  ihn 
nur  einmal  gesehen,  auffällt,  eine  seltsame  Gestalt  ihm  zu- 
nicken, die  ebenso  schnell  und  spurlos  wieder  verschwun- 
den, wie  sie  erschienen  ist.  Ihr  braucht  ihn  ja  nur  genau  anzu- 
sehen, wenn  er  da  oben  auf  dem  Podium  steht;  das  sieht 
doch  jedes  Kind,  da&  da  kein  normaler  Mensch  aus  Fleisch 
und  Blut  steht,  sondern  ein  Dämon,  der  durch  seinen  Höl- 
lenspuk unsere  Sinne  umgaukelt.  Mir  kann  der  Teufel 
aber  nix  anhab'n,  i  hab  zwei  geweihte  Rosenkranzerl  ei- 
gesteckt."  Gerade  wollte  der  vornehme  Jüngling  diesem 
vorsichtigen  Wiener  Pfiffikus  mit  höhnischem  Spott  zu 
Leibe,  da  begann  das  Orchester  das  erste  Stück.  So  an- 
dächtig man  sonst  den  vertrauten  Klängen  einer  Haydn- 
schen  Symphonie  lauschen  mochte,  diesmal  war  alle  Mühe 
der  tüchtigen  Kapelle  vergebens.  Es  gelang  ihr  nicht,  das 
Wirren  und  Summen  im  Saal  zu  bannen,  nur  widerwillig 
lie§  die  Menge  die  tändelnden  Weisen  an  ihr  Ohr  klingen, 
für  sie  war  es  heute  taub.  Die  Symphonie  schien  diesmal 
dreimal  so  lang,  sie  wollte  überhaupt  kein  Ende  nehmen. 
Endlich  war  der  Schlu|akkord  verklungen,  ein  flüchtiges 
Beifallszeichen,  da  stand  auch  schon  alles  auf  den  Stühlen, 
in  fieberhafter  Spannung  richteten  sich  aller  Blicke  nach  der 
kleinen  Türe,  aus  der  nun  der  gro&e  Unbekannte  heraus- 
treten sollte.  Doch  vergebens  reckten  sich  die  Hälse,  ver- 
gebens suchte  jeder  den  Vordermann,  den  er  zum  Teufel 
wünschte,  zu  überragen  —  noch  blieb  das  Podium  leer. 
Wachsende  Unruhe  zieht  durch  den  Saal,  man  murrt,  ver- 
einzeltes Zischen  lä&t  sich  hören,  da,  als  die  über  Gebühr 
aufgereizte  Nervenspannung  des  Publikums  umzuschlagen 
droht,  zeigt  sich  eine  schwarze,  erschreckend  dürre  Ge- 
stalt, die  mit  langsamem,  seltsam  schleppendem  Schritt  vor 

3      Kapp,    Paganini.  JJ 


an  die  Rampe  schreitet.  In  den  lang  herabhängenden 
schwarzen  Locken  und  dem  stark  gekräuselten  Backenbart 
birgt  sich  ein  schmales,  bla&gelbes  Gesicht,  dessen  unbe- 
weglicher, steinerner  Ernst  zu  der  stechenden  Lebhaftigkeit 
des  sprühenden,  dunkeln  Auges  einen  sonderbaren  Kontrast 
bildet.  Unter  der  stark  hervorstechenden  Adlernase  ein  fest 
zusammengekniffener  Mund,  der  Trob  und  Ironie  aus- 
drückt. Ein  altmodischer,  schwarzer  Frack  schlottert  um 
die  unheimliche  Gestalt,  die  sich  jefet  in  seltsam  eckigen 
Bewegungen  vor  dem  Publikum  verneigt.  Eine  wunder- 
bare Mischung  von  Tragischem  und  Komischem,  von  ern- 
stem Leid  und  diabolischer  Bosheit  vereinigt  sich  in  die- 
sem Menschen,  dessen  Anblick  die  Lachmuskeln  der  Menge 
reizt  und  sie  doch  in  atemberaubender  Beklemmung  fesselt. 
Sowie  er  die  Geige  anseht,  kommt  Leben  in  die  zuvor 
starre  Gestalt.  Beim  Spiel  ist  der  rechte  Fufj  vorgeschoben 
und  gibt  bei  bewegten  Passagen  heftig  den  Takt  an.  Bei 
schwierigen  Stellen  bildet  sein  Körper  eine  Art  Dreieck, 
da  sich  der  Leib  dann  übermäßig  einbiegt,  während  Kopf 
und  der  rechte  Fu|  vorstehen.  Er  wirkt  so  völlig  als  Kari- 
katur, die  der  Hörer  Lachen  herausfordert,  wenn  nicht 
der  unheimliche  Ernst  in  seinen  Gesichtszügen  ihn  erstarren 
lie^e.  Seltsam,  wenn  er  scheinbar  verfehlte  Passagen 
zwei-,  drei-,  ja  viermal  wiederholt,  bis  er  den  höchsten 
Flageoletton  endlich  erhascht,  ihn  dann  förmlich  züchtigt 
und  zum  Instrument  hinauspeitschf.  Phantastisch,  wenn  er 
wie  im  Zweikampf  mit  einem  Unsichtbaren,  ihn  scharf  ins 
Auge  fassend  und  in  den  leeren  Raum  hinausstarrend  nach 
einer  überwundenen  Schwierigkeit  plöfelich  mit  Fu&  und 
Bogen  ausfällt,  als  versehe  er  dem  Gegner  siegend  einen 
Hieb  oder  Stich,  da£  der  Bogen  blitzschnell  und  schwirrend 
durch  die  Luft  saust!    le  länger  Paganini  spielte,    desto 

34 


zwingender,  ja  dämonischer  wurde  seine  Macht  über  die 
Hörer,  und  als  er  zum  Schlug  in  seinen  Variationen  auf 
der  G-Saite  alle  Register  seines  unheimlichen  Könnens 
anklingen  liefe,  brach  im  Saal  ein  Toben  aus,  das  selbst  die 
enthusiastischsten  Beifallsorgien  seiner  italienischen  Tri- 
umphe übertraf.  Und  wenn  der  Jüngling,  der  vor  Beginn 
des  Konzerts  seinen  abergläubischen  Landsmann  wegen 
seiner  Teufelsgeschichte  hatte  verspotten  wollen,  dieses 
jefet  noch  versucht  hätte,  so  hätte  er  wohl  vielen  ebenso 
Gesinnten  predigen  müssen. 

Die  Ereignisse  des  Abends  fanden  in  der  Presse  be- 
geisterten Widerhall.  Die  Berichterstatter  wetteiferten  ge- 
radezu in  der  Verherrlichung  des  Künstlers,  und  auch  sie 
bemühten  sich  vergeblich,  in  allerhand  mehr  oder  minder 
phantastischen  Märchen  die  Lösung  dieser  Wunder  zu  er- 
gründen. Einer  verstieg  sich  allen  Ernstes  zu  der  Behaup- 
tung, er  habe  deutlich  während  der  Hexenvariationen  Sa- 
tan in  höchst  eigener  Person  neben  dem  Geiger  auf  dem 
Podium  stehen  sehen.  Derartige  Exaltiertheiten  waren 
natürlich  dazu  angetan,  die  an  sich  schon  brennende  Neu- 
gier auf  den  unheimlichen  Mann  bei  der  Menge  noch  stär- 
ker anzufachen.  Obwohl  Paganinis  Konzerte  in  kurzen 
Zwischenräumen  aufeinander  folgten,  war  es  stets  unmög- 
lich, die  Schar  der  Einlafe  Heischenden  auch  nur  annähernd 
im  Saal  unterzubringen.  Der  Künstler  war  jefet  in  Wien 
Mode  geworden!  Und  was  das  zu  bedeuten  hat,  kann  nur 
ein  Kenner  dieser  wegen  ihrer  jäh  auflodernden  Augen- 
blicksbegeisterung und  ihres  überschwänglichen  Personen- 
kultes berüchtigten  Stadt  ganz  ermessen.  Wo  Paganini 
selbst  sich  blicken  liefe,  war  er  stets  umringt  von  einer 
Schar  lärmender  Enthusiasten  und  liebestoller  Weiber,  und 
wenn  man  seiner  selbst  nicht  habhaft  werden  konnte,  so 

3*  •  35 


suchte  man  sieh  wenigstens  mit  Nachbildungen  und  hr~ 
innerungszeichen  an  dem  Vergötterten  zu  berauschen.  In 
jedem  Schaufenster  prangte  sein  Bild,  jeder  Gebrauchs- 
gegenstand ward  mit  seinem  Portrait  geziert.  Da  gab 
es  Paganinis  aus  Zuckerguß,  die  Bäckerinnung  kündigte 
als  neueste  Delikatesse  Paganini-Brefeeln  an,  in  den  Re- 
staurants wiesen  die  Speisekarten  nur  noch  Gerichte  ä  la 
Paganini  auf,  die  Brödchen  präsentierten  sich  als  „Paga- 
ninisemmel"  in  Geigengestalt,  und  was  der  Torheiten 
mehr  waren.  Die  Mode  natürlich  stand  ganz  im  Zeichen 
dieses  neuen  Gottes.  Da&  die  Damen  Locken  und  halb- 
offene Zöpfe  nach  seinem  Vorbild  trugen,  gehörte  je^t 
zum  guten  Ton,  auch  die  Hüte  waren  alle  zugestuht  ä  la 
Paganini,  ja  selbst  die  in  Wien  so  beliebten  Giraffenhand- 
schuhe wurden  treulos  beiseite  getan.  Als  der  Urheber  all 
dieses  Unheils  eines  Tages  selbst  in  einem  Handschuh- 
laden  ein  ihm  vorgelegtes  Paar  ä  la  Giraffe  zurückwies: 
„No,  no,  Signora,  d'una  altera  bestia!"  brachte  man  ihm 
Handschuhe  ä  la  Paganini,  auf  deren  einem  seine  Geige,  auf 
dem  anderen  der  Bogen  zu  sehen  war.  Der  Paganini- 
taumel  verbreitete  sich  wie  eine  ansteckende  Krankheit 
über  ganz  Wien,  die  Wibblätter  hatten  fürstliche  Zeiten, 
und  die  Karikaturen  aus  dieser  Zeit  sind  Legion.  Doch 
auch  zu  ernsten  Lob-  und  Preisgesängen  griff  man  in  die 
Harfen,  und  fast  täglich  erschienen  neue  Huldigungs- 
gedichte der  überschwänglichsten  Art.  Die  populären  Kon- 
zerte von  Straufj,  Lanner  und  Ziehrer  wiesen  mit  Vorliebe 
Kompositionen  über  Paganinische  Themen  auf,  und  die 
Vorstadttheater  nufeten  die  günstige  Konstellation  aus 
durch  Aufführungen  von  Possen,  deren  Held  der  neue 
Hexenmeister  war.  Paganini  lieg  alles  ruhig  über  sich 
ergehen,  ja  er  leistete  durch  absichtlich  zur  Schau  getra- 

36 


genes  exaltiertes  Wesen  den  seinen  immer  kühnere  Sum- 
men erkletternden  Einnahmen  nur  förderlichen  Märchen 
noch  Vorschub.  Nur  das  immer  wieder  auftretende  Ge- 
rücht, er  habe  im  Gefängnis  gesessen,  veranlagte  ihn  zu 
einem  öffentlichen  Dementi,  das  aber  in  der  wenig  be- 
stimmten Form  seiner  Abfassung  kaum  Glauben  fand. 

Nachdem  Paganini  in  Wien  innerhalb  von  vier  Wochen 
zwanzig  eigene  Konzerte  veranstaltet  und  mehrfach  bei 
Hof  gespielt  hatte,  wofür  er  „taxfrei"  zum  Kammervirtu- 
osen ernannt  und  vom  Kaiser  mit  einer  goldenen  Tabatiere 
mit  Namenszug  in  Brillanten  beschenkt  worden  war,  ver- 
sammelte er  noch  ein  leßtes  Mal  zu  einem  großen  Ab- 
schiedskonzert all  seine  Verehrer  um  sich.  Für  dieses  hatte 
er  ein  neues  Konzert  (Es-dur)  komponiert  und  sich  von 
einem  gewissen  Panny  eine  große  achtsäbige  Orchester- 
Sonate  für  die  G-Saite  „Der  Seesturm"  schreiben  lassen, 
die  aber  von  der  Kritik  als  „kleinliche  Tonmalerei,  die  nicht 
vor  das  Forum  der  Kunst  gehört",  abgelehnt  wurde.  Nur 
die  von  Paganini  selbst  komponierten  Schluß-Variationen 
haften  dem  Stück  schließlich  beim  Publikum  einen  Erfolg 
erstritten. 

Zur  Erholung  von  den  anstrengenden  Wiener  Wochen 
begab  sich  Paganini  zu  mehrmonatlichem  Aufenthalt  nach 
Karlsbad,  um  dann  von  hier  aus  seine  Kunstfahrt  durch 
Deutschland  anzutreten.  Aber  gleich  die  erste  Station 
Prag  stand  unter  einem  zwiefachen  Unstern.  Ein  Teil 
der  Kritik  fiel,  gereizt  durch  die  übertriebenen  Wiener  Be- 
richte, gehässig  über  ihn  her  und  suchte  ihn  als  Charlatan 
zu  entlarven.  Da  diese  „vergifteten  Prager  Zeilungs- 
artikel", wie  Paganini  sie  einmal  nennt,  in  fast  alle  grö- 
ßeren Blätter  Deutschlands  übergingen,  bereiteten  sie  dem 
Künstler  viel  Verdruß,    und  begeistert  stimmte  er   daher 

37 


dem  Plan  eines  neugewonnenen  Verehrers,  des  Prager 
Professors  Schottky,  bei,  der  es  unternehmen  wollte,  seine 
Biographie  zu  schreiben  und  ihn  gegen  alle  derartigen 
Anwürfe  zu  verteidigen.  Zu  dem  Ärger  über  diesen 
Skandal,  der  auch  auf  den  Besuch  seiner  Konzerte  sehr 
ungünstig  eingewirkt,  kam  noch  eine  mehrwöchentliche, 
schmerzhafte  Erkrankung.  Eine  schlecht,  oder,  wie  Paga- 
nini  schreibt,  „eselhaft"  ausgeführte  Zahnoperation  führte 
zu  einer  Entzündung  des  Unterkiefers,  bei  der  er  die 
ganze  untere  Zahnreihe  einbüßte;  des  Unheils  nicht  ge- 
nug, trat  noch  eine  Kehlkopfentzündung  hinzu,  die  zwar 
nach  langwieriger  Behandlung  nachzulassen  begann,  sich 
aber  zu  einem  immer  heftiger  wiederkehrenden  chroni- 
schen Leiden  entwickelte.  Endlich,  zu  Beginn  des  neuen 
Jahres  (1829),  war  er  wieder  soweit  hergestellt,  daß  er  seine 
Reise  fortsehen  konnte.  Über  Dresden  und  Leipzig, 
wo  aber  wegen  unbilliger  Forderung  der  Konzertdirektion 
das  Konzert  in  lefeter  Stunde  unterblieb,  wandte  er  sich 
sofort  der  preußischen  Residenz  zu.  liier  hatte  ihm  Meyer  - 
beer,  den  er  vor  Jahren  in  Oberitalien  zum  Freund  ge- 
wonnen, bereits  die  Wege  geebnet,  namentlich  den  Hof 
und  die  Gesellschaft  für  ihn  günstig  gestimmt.  Auf  sein 
Gesuch  an  den  König,  dessen  Dringlichkeit  er  mit  den  Wor- 
ten begründete:  „Mein  schlechter  Gesundheitszustand 
zwingt  mich,  die  Zeit  zu  nüfeen,  da  mir  meine  Leiden  nur 
Augenblicke  des  Waffenstillstands  bewilligen,"  wurde  ihm 
für  sein  Konzert  das  Opernhaus  überlassen.  Der  Erfolg 
übertraf  die  kühnsten  Erwartungen.  Mit  den  Worten:  „Ich 
bin  von  neuem  in  Wien,"  kennzeichnete  Paganini  selbst  am 
treffendsten  die  Situation.  „Zum  erstenmal,"  schreibt  er 
in  jenen  Tagen  an  seinen  italienischen  Freund  Germi,  „fand 
ich  im  frostigen  Berlin  eine  Theaterdirektion,  Virtuosen 

38 


usw.,  die  sich  anständig  und  zuvorkommend  benahmen, 
worüber  ich  sehr  überrascht  und  dankerfüllt  bin.  Die 
Feinde  Spontinis  und  Meyerbeers  waren  von  Anfang  an 
natürlich  auch  die  meinigen,  noch  ehe  sie  mich  gehört. 
Sie  zeigten  sich  sogar  im  Konzertsaal  feindselig,  doch 
schon  nach  25  Takten  begannen  sie,  ganz  ohne  es  zu  mer- 
ken, enthusiastisch  zu  applaudieren.  Die  Begeisterung 
wurde  derart,  da&  ich  kaum  weiterspielen  konnte.  Ich  bin 
jefet  im  Begriff,  als  Überraschung  für  den  König  Variationen 
über  die  Nationalhymne  zu  komponieren.  Ich  amüsiere 
mich  hier  sehr,  namentlich  in  der  großen  Oper,  von  deren 
Güte  man  sich,  wenn  man  nicht  dabei  war,  keinen  Begriff 
machen  kann.  Spontini  und  Meyerbeer  haben  mich  mit 
Liebenswürdigkeiten  überhäuft  und  mir,  wo  sie  nur 
konnten,  geholfen."  Der  Erfolg  Paganinis  in  Berlin  war 
so  ungeheuer,  da|  er  seinen  Plan,  sich  sofort  von  dort 
nach  London  zu  begeben,  aufgab  und  immer  neue  Kon- 
zerte ankündigte,  in  deren  jedem  der  Taumel  der  Hörer 
noch  um  einige  Grade  zunahm.  Die  Wiener  Narrheiten 
wurden  hier  wenn  möglich  noch  überboten.  Doch  nicht 
nur  die  Menge,  auch  die  ernste  Musikkritik  leistete  dem 
Künstler  begeistert  Gefolgschaft.  So  schreibt  Rellstab, 
Berlins  angesehenster  Referent:  „Ich  habe  es  gehört,  aber 
ich  glaube  es  doch  nicht.  Alle  gro|en  Geiger  sind 
etwas,  haben  einen  Stil,  man  kann  ihnen  folgen  und  der 
gewaltige  Spohr,  der  sü&e  Polledro,  der  feurige  Lipinski, 
der  elegante  Lafont  haben  mir  blo&  Bewunderung  abge- 
lockt. Paganini  aber  ist  nicht  er  selbst,  er  ist  Lust,  Hohn, 
Wahnsinn  und  glühender  Schmerz,  bald  dies  und  jenes; 
die  Töne  sind  ihm  nur  Mittel,  sich  auszusprechen,  und  selbst 
die  Rührung,  die  er  bereitet,  zerstört  er  im  Augenblick 
durch  grelle,  unschöne  Striche,  durch  freche,  unpassende 

39 


Capricios.  Er  krafei  und  schabt  manchmal  ganz  uner- 
wartet, wie  wenn  er  sich  schämte,  einem  weichen,  edlen  Ge- 
fühle soeben  gehuldigt  zu  haben,und  im  Augenblick,  wo  man 
sich  unwillig  abwenden  möchte,  hat  er  deine  Seele  schon 
wieder  mit  einem  goldenen  Faden  umschlungen  und  droht 
sie  dir  aus  dem  Leibe  zu  ziehen.  In  der  Tat,  Paganini 
leistet  das  Unglaubliche.  Er  überwindet  keine  Schwierig- 
keiten, denn  für  ihn  gibt  es  keine,  Doppelgriffe  sind  ihm 
Kinderspiel,  er  macht  sie  nur,  um  auszuruhen,  aber  drei-, 
vierstimmig  spielen,  das  gilt  etwas.  Zweistimmige  Säfee 
pizzicato  und  zugleich  eine  Melodie  mit  dem  Bogen  spie- 
len, das  ist  so  eines  von  den  kleinen  Zauberstückchen 
dieses  Hexenmeisters.  Das  Publikum  fing  an  mitzuspielen. 
Einzelne  Seufzer  und  Atemzüge  des  Bogens  (denn  anders 
kann  man  es  nicht  nennen)  wurden  mit  dumpfem  Gemurmel 
von  tausend  Menschen  begleitet,  man  vernahm  sonst  keine 
Regung.  Als  er  endlich  in  Flüstertönen  die  Melodie  wie- 
der brachte,  war  es,  wie  wenn  er  allein  im  Saale  wäre; 
jeder  hielt  den  Atem  an,  aus  Furcht,  dem  Geiger  könnte 
die  Luft  ausgehen.  Wie  nun  aber  endlich  der  Schlu&iriller 
kam,  da  brach  der  Jubel  durch.  Die  Damen  legten  sich 
über  die  Brüstungen  der  Gallerie  heraus,  um  zu  zeigen, 
da&  sie  applaudierten;  die  Männer  stiegen  auf  die  Stühle, 
um  ihn  zu  sehen  und  ihm  zuzuschreien;  ich  habe  die  Ber- 
liner noch  nie  so  gesehen.  Man  brachte  ihm  einen  Pelz, 
er  hüllte  sich,  blaf$  wie  der  Tod,  hinein,  trocknete  sich  den 
Schweif  von  der  Stirn  und  sank  förmlich  in  einen  Stuhl."— 
Den  königlichen  Hof  verpflichtete  sich  Paganini  durch 
ein  zugunsten  der  von  Überschwemmungen  heimgesuchten 
Stadt  Danzig  veranstaltetes  Wohltätigkeitskonzert,  in  dem 
er  in  Anwesenheit  des  Monarchen  seine  neuen  Variationen 
über  „Heil  Dir  im  Siegerkranz"  vortrug.     Friedrich  Wil- 

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heim  stellte  ihm  daraufhin  für  sein  Abschiedskonzert  das 
Opernhaus  unentgeltlich  zur  Verfügung  und  übersandte  ihm 
nachstehendes  Handschreiben:  J'ai  resolu  de  vous  donner 
avant  Votre  depari  de  ma  capitale  une  margue  de  la 
satisfaction  gue  j'ai  eprouvee  en  assistant  ä  vos  concerts. 
La  nature  Vous  a  departi  un  rare  talent  gue  Vous  avez 
cultive  avec  un  esprit  original.  Les  sons  gue  Vous  tirez 
de  guelgues  cordes  vont  ä  l'äme  et  excitent  dans  le  coeur 
de  vos  auditeurs  les  emoiions  les  plus  rares.  Je  Vous  ai 
nomme  mon  premier  Maitre  de  concert  honoraire  et  Vous 
autorise  ä  porter  ce  iitre."  Willkommener  als  diese  wenig 
bedeutende  „Ernennung"  wäre  Paganini  ein  —  Orden  ge- 
wesen! Mehrere  Wochen,  nachdem  er  Berlin  verlassen 
hatte,  wandte  er  sich  an  den  Fürsten  Radziwill  mit  der 
Bitte,  ihm  diese  Auszeichnung  nachträglich  noch  auszu- 
wirken. „Es  ist  nicht  Eitelkeit,"  schreibt  er,  „was  mich 
hierzu  drängt,  aber  ich  weifj  deren  Wert  zu  schälen,  wenn 
sie  aus  den  Händen  eines  so  großen  Herrschers  kommt, 
und  sie  scheint  mir  die  beste  Antwort  zu  sein  für  diejeni- 
gen, die  nicht  aufhören,  Betrügereien  zu  erfinden,  um  mein 
Leben  zu  verleumden.  Meine  Ehre  und  Ruhe  sind  also  in 
Ihrer  Hand,  und  Ihre  Freundlichkeit  allein  kann  mir  die 
grö|te  aller  Tröstungen  verschaffen." 

Das  zu  des  Künstlers  Verdruß  leider  erfolglos  ge- 
bliebene Bittgesuch,  das  weniger  der  Eitelkeit  als  dem 
Geschäftssinn  entsprungen  war,  deckt  sich  ganz  mit  einer 
Lebensregel,  die  Paganini  in  jenen  Tagen  seinem  einzigen 
Schüler,  dem  neapolitanischen  Cellisten  C  i  a  n  d  e  1 1  i , 
einschärfte.  „Ich  schicke  Ihnen  hier  die  Empfehlungsbriefe 
für  Mailand,"  schreibt  er  ihm,  „und  werde  mein  Möglichstes 
für  Sie  tun.  Aber  Sie  dürfen  nun  nicht  glauben,  da£  dies 
genügt,    sondern    müssen    sich  selbst  weiterhelfen.     Sich 

41 


Gott  vertrauen,  ohne  selbst  mehr  zu  tun,  ist  gefährlich,  da 
Gott  uns  eifrig  zu  sehen  wünscht.  Es  gehört  sich  also  in 
unserem  Metier  für  einen  Anfänger,  sich  äußerst  tätig  und 
gewandt  zu  zeigen,  sich  im  richtigen  Augenlick  Empfeh- 
lungen zu  verschaffen,  viele  Treppen  zu  steigen  und,  wenn 
es  nötig  ist  und  man  es  ohne  Gemeinheit  tun  kann,  manches 
zu  schlucken.  Man  mufj  Hindernisse  voraussehen  und  ge- 
schickt sondieren,  um  die  Fallen  der  vielen  „gentlemen", 
mit  denen  man  stets  zu  tun  hat,  zu  meiden.  Kurz:  es  ge- 
nügt nicht,  da&  man  spielen  kann,  man  mu|  auch  in  der 
Welt  auftreten  können,  d.  h.  man  mu&  Lebenskünstler 
sein."  Er  selbst  war  einer  der  größten  Lebenskünstler 
aller  Zeiten,  und  ein  gut  Teil  der  glänzenden  äußeren 
Triumphe  seiner  Kunstfahrten  sind  der  sehr  geschickten 
Aufmachung  und  Ausnutzung  aller  gegebenen  Faktoren  und 
Konstellationen  gut  zu  schreiben. 

Nachdem  sich  Paganini  die  Hauptstadt  des  Nordens 
Untertan  gemacht,  durchstreifte  er  zwei  Jahre  lang  in  die 
Kreuz  und  Quer  das  deutsche  Land,  und  es  gibt  kaum  ein 
millelgro&es  Städtchen  innerhalb  der  deutschen  Grenz- 
pfähle, deren  Bewohner  er  nicht  vorübergehend  in  Er- 
regung verseht  hätte.  Bei  diesen  Fahrten,  die  stets  im 
Reisewagen  zurückgelegt  werden  mußten,  litt  der  an  das 
wärmere  Klima  Italiens  gewöhnte  kränkliche  Mann  un- 
sagbar unter  Kälte.  Die  Kutsche  mu|te  daher  stets  dicht 
verschlossen  sein,  er  selbst  lehnte  in  einer  Ecke,  auch  im 
heißesten  Hochsommer  in  dichte  Pelze  gehüllt,  schlief  oder 
unterhielt  sich  angeregt  mit  dem  ihn  meist  begleitenden 
bezahlten  Impresario.  Für  die  Naturschönheiten  der  Um- 
gebung hatte  er  durchaus  keinen  Sinn  und  würdigte  die 
herrlichsten  Gegenden  auf  der  Durchfahrt  kaum  eines 
Blickes.     Sein    ganzes  Reisegepäck    bestand  aus  einem 

42 


großen,  recht  abgenufefen  Geigenkasten,  der  gleichzeitig 
als  Geldbüchse  und  zur  Aufbewahrung  der  Leibwäsche 
diente,  einer  Handtasche  und  einer  Hutschachtel.  C'est 
tout!  In  einem  Jahreskalenderbuch  pflegte  er  unter  dem 
betreffenden  Datum  den  Namen  der  Stadt  einzutragen,  in 
der  er  zu  spielen  beabsichtigte,  und  später  den  Ertrag  des 
Konzertabends  in  preu|ischen  Talern  beizufügen.  Größere 
Abrechnungen  und  dergleichen  vermerkte  er  dagegen  in 
einem  roten  Notizbuch,  das  er  ständig  bei  sich  führte  und 
vor  jedermann  geheim  hielt.  In  dieses  Buch,  von  dessen 
geheimnisvollem  Inhalt  man  wilde  Märchen  erzählte,  trug 
er  alle  größeren  Einnahmen  und  Ausgaben,  Besorgungen, 
Notizen,  Briefentwürfe,  Adressen,  kurz  alles  mögliche  in 
anscheinend  wirrem  Durcheinander  ein,  sodaß  es  für  einen 
Uneingeweihten  kaum  entzifferbar  schien.  Bei  näherem 
Zusehen  erkennt  man  jedoch  bald,  daß  die  Hieroglyphen 
sich  leicht  enträtseln,  wenn  man  nur  einige  Seiten  über- 
schlägt, da  nach  einem  ganz  regelmäßigen  System  die 
verschiedensten  Eintragungen  mit  überspringen  mehrerer 
Seiten  ineinander  eingefügt  sind.  Diese  dürftigen  Uten- 
silien bildeten  die  gesamte  Ausrüstung  des  herumziehen- 
den „Königs  der  Geiger".  War  Paganini  an  seinem  Be- 
stimmungsort angelangt,  so  stieg  er  in  irgendeinem  nicht 
zu  teueren  Gasthof  ab.  Komfort  verlangte  er  nicht,  und  es 
war  ihm  ganz  gleichgültig,  ob  er  eine  einfache  Dachkammer 
oder  ein  Prunkgemach  bezog.  Nur  möglichst  ruhig  ge- 
legen sollte  das  Zimmer  sein,  am  liebsten  nach  einem  stillen 
Hof  hinaus..  Ähnlich  anspruchslos  war  er  bei  den  Freuden 
der  Tafel.  „Wenig  essen  und  trinken  hat  noch  niemand 
geschadet,"  war  hierbei  sein  Leitspruch.  Vormittags  blieb 
er  meist  nüchtern  oder  trank  höchstens,  wenn  er  den  Tag 
über    reisen    mußte,    eine    Tasse  Schokolade,    auch    die 

43 


Abendmahlzeit  bestand  regelmäßig  aus  wenigen  leichten 
Speisen,  oft  nur  aus  einer  Tasse  Kamillentee.  An  Konzert- 
tagen befand  er  sich  häufig  in  seltsamer  Erregung.  Er 
schlief  tief  in  den  Tag  hinein,  bis  er  sich  zur  Probe  be- 
geben mußte.  Üben  hat  ihn  nie  ein  Mensch  gehört.  Im 
Konzertsaal  versicherte  er  sich  vor  Beginn  der  Probe  per- 
sönlich, daß  sich  auch  nirgends  Zuhörer  verborgen  hätten, 
und  konnte  er  deren  Anwesenheit  nicht  hindern,  so  mar- 
kierte er  nur  vereinzelte  Stellen.  Mit  dem  Orchester  ver- 
fuhr er  peinlich  genau  und  ließ  des  geringsten  Fehlers 
wegen  ein  Stück  wiederholen.  Nicht  selten,  wenn  etwas 
nicht  gehen  wollte,  kam  es  zu  leidenschaftlichen  Wutaus- 
brüchen und  italienischen  Schimpfworten,  war  er  dagegen 
befriedigt,  so  kargte  er  auch  nicht  mit  seinem  Lob.  „Bravis- 
simo! Siete  iutti  virtuosi!"  Die  Forte-Stellen  konnten 
ihm  nicht  kräftig  genug  gebracht  werden,  und  sein  „Parlez 
donc  plus  haut!  Courage,  Messieurs!"  klang  häufig  da- 
zwischen. Hatte  er  eine  Solostelle,  auf  die  sich  natürlich 
die  Orchesterleute  gespißt  hatten,  so  warf  er  meist  bloß 
wenige  Noten  hin  und  sagte  lächelnd:  „Et  cetera,  Mes- 
sieurs." Jeder  Effekt  sollte  für  den  Konzertabend  selbst 
aufgespart  bleiben.  Überall,  wo  Paganini  auftrat,  waren 
die  Billetpreise  auf  den  zwei-  bis  dreifachen  Betrag  erhöht, 
der  billigste  Plaß  kostete  bei  seinen  Konzerten  in  Deutsch- 
land nie  unter  zwei  Taler,  ein  für  damalige  Zeit  abnormer 
Preis.  Meist  waren  die  Säle  troßdem  überfüllt.  Seine  erste 
Frage,  wenn  er  das  Haus  am  Abend  betrat,  war,  ob  der 
Saal  gut  beseßt  sei,  und  wenn  die  Antwort  bejahend  aus- 
fiel, murmelte  er:  „Allons,  allons,  ce  sont  de  braves  gens"; 
wenn  nicht,  so  wurde  er  leicht  nervös  und  es  konnte  zu 
Wutausbrüchen  kommen.  So  hat  er  eines  Abends,  wie 
Berlioz  erzählt,    aus  Ärger  über  einen  schwach  beseßten 

44 


Saal  den  Spiegel  im  Foyer  des  Theaters  zerschlagen.  Um 
die  Neugier  des  Publikums  zu  reizen,  ließ  er  gewöhnlieh, 
nachdem  die  vorangehende  Nummer,  für  die  er  übrigens 
mit  Vorliebe  eine  der  von  ihm  so  sehr  verehrten  Sympho- 
nieen  Beethovens  bestimmte,  verklungen  war,  eine  Zeit- 
lang auf  sein  Erscheinen  warten.  Sein  Spiel  griff  ihn  meist 
sehr  an.  „Wenn  ich  das  Podium  betrete,"  schreibt  Paga- 
nini  einmal,  „bin  ich  ein  ganz  anderer  Mensch.  Es  über- 
fällt mich  ein  Ernst,  den  ich  nicht  zu  bemeistern  weiß,  bis 
die  Töne  endlich  mich  fortziehen,  denen  ich  dann  willenlos 
folgen  möchte."  Nach  Beendigung  eines  großen  Konzert- 
stückes zeigt  er  ganz  ähnliche  Symptome,  wie  ein  Mensch, 
der  einen  Anfall  von  Epilepsie  hatte;  er  ist  leichenblaß, 
seine  feuchte  und  kalte  Haut  ist  mit  Schweiß  bedeckt,  man 
fühlt  kaum  seinen  Puls,  und  seine  Augen  starren  wie 
geistesabwesend  ins  Leere.  Erst  allmählich  erholt  er  sich 
wieder.  Der  Künstler  war  natürlich  nicht  an  allen  Aben- 
den gleich  gut  disponiert.  Es  mißlang  ihm  dann  mancherlei. 
„Wäre  ich  in  Paris,"  pflegte  er  dann  zu  sagen,  „so  würde 
ich  heute  meinen  Bogen  nicht  anrühren."  Meist  spielte  er 
sich  aber  auch  an  solchen  Tagen  rasch  in  Feuer.  Dem 
Urteil  des  Publikums  und  der  Kritik  legte  er  großes  Ge- 
wicht bei,  er  sammelte  auf  das  Sorgfältigste  alles,  was 
über  ihn  geschrieben  wurde,  und  ließ  sich,  da  er  außer 
italienisch  nur  die  französische  Sprache  beherrschte,  jedes 
Wort,  das  er  nicht  verstand,  genau  übersehen.  Und  begeg- 
nete er  der  Menge  als  ganzes,  als  Publikum,  naturgemäß 
verbindlich,  so  sah  er  mit  grenzenloser  Verachtung  auf  den 
einzelnen  Mann  des  Volkes  herab.  „Que  me  veut  cet 
animal?"  war  sein  Ausdruck,  wenn  sich  jemand  an  ihn 
wandte.  Untergebene  behandelte  er  sehr  schlecht,  war  er 
z.  B.  mit  seinem  Postillon  zufrieden,  so  beschränkte  sich 

45 


sein  Lob  auf  die  höfliche  Konsiatierung:  „Das  Rindvieh 
fährt  gut,"  und  wagte  gar  jemand  für  geleistete  Dienste 
ein  Trinkgeld  zu  fordern,  so  sefete  es  italienische  Kraft- 
ausdrücke schlimmster  Sorte. 

Von  rührender  Hingabe  und  Geduld  war  Paganini  da- 
gegen im  Verkehr  mit  seinem  Söhnchen  Achille,  von  dem  er 
sich  nie  trennte,  und  der  ihn  auf  allen  Reisen  begleitete. 
„Der  kleine  Achille  wird  täglich  schöner,  er  gefällt  jeder- 
mann, die  Damen  reiben  sich  um  ihn.  Er  ist  mein  Trost 
und  mein  ganzes  Glück,"  hei&t  es  in  einem  Brief  des  stolzen 
Vaters  aus  Wien.  Wenn  man  in  Paganinis  Zimmer  eintrat, 
in  dem  stets  die  genialste  Unordnung  herrschte,  sah  man 
Achille  mitten  zwischen  den  verschiedenartigsten  Spiel- 
zeugen sifeen,  die  der  Vater  mit  rührender  Sorgfalt  für 
ihn  aufgestöbert,  und  wenn  man  Glück  hatte,  so  konnte 
man  eine  urdrollige  Szene  erleben:  Paganini  in  Pantoffeln, 
eine  schwarzseidene  Schlafmü&e  auf  dem  Kopf,  eine  lange 
braune  Hausjacke  um  die  Schultern  und  eine  gelbe  Hals- 
binde lose  um  den  Hals  geschlungen,  übte  sich  mit  dem 
Kleinen,  der  ihm  kaum  bis  an  die  Kniee  reichte,  im  Fechten. 
Achille  ging  mit  seinem  großen  Säbel  auf  den  Vater  los, 
dieser  wich  immer  weiter  zurück,  ihn  unter  Lachen  be- 
schwörend: „Halt  ein,  Liebling,  ich  bin  schon  verwundet." 
Doch  der  ließ  nicht  eher  ab,  bis  er  seinen  riesengroßen 
Gegner  wanken  und  aufs  Bett  niederfallen  sah.  Paganini 
erlaubte  nicht,  daß  ein  anderer  den  Kleinen  wusch  oder 
ankleidete.  Er  tat  dies  stets  selbst.  Aber  Achille  war  sehr 
wasserscheu,  und  da  seßte  es  manchen  Strauß.  Doch  ver- 
lor sein  Vater  nie  die  Geduld  und  wurde  nie  böse,  er 
bat  ihn  inständig,  überhäufte  ihn  mit  Liebkosungen  und 
Süßigkeiten  und  erreichte  auf  diese  Weise  endlich  sein 
Ziel.    Er  ließ  den  Knaben  ganz  frei  aufwachsen,  wie  es  ihm 

46 


gefiel.  Als  ihn  eines  Tages  ein  Freund  gerade  während 
Achilles  Toilette  zur  Probe  abholen  kam,  klagte  er:  „Das 
arme  Kind  langweilt  sich;  ich  weil  nicht,  was  ich  tun  soll, 
ich  bin  schon  ganz  erschöpft  durch  das  viele  Spielen  mit 
ihm.  Ich  habe  den  ganzen  Morgen  mit  ihm  gefochten;  ich 
trug  ihn  herum,  machte  ihm  Schokolade,  doch  jefet  wei&  ich 
nichts  Neues  mehr  mit  ihm  anzustellen."  Als  Achille  endlich 
mühsam  zurechtgemacht  war,  wollte  der  Vater  in  aller  Eile 
seine  eigene  Toilette  beenden.  Doch  seine  sämtlichen  Klei- 
dungsstücke waren  verschwunden.  An  der  Miene  des  Klei- 
nen, der  vergnüglich  seinen  Vater  mit  langen  Schritten 
suchend  im  Zimmer  herumsteigen  sah,  merkte  er,  was  los 
war.  Doch  auf  seine  Frage:  „Wo  hast  du  meine  Sachen 
hingeschafft?"  tut  der  kleine  Strick,  als  wü&te  er  von  nichts. 
Nach  langem  Suchen  finden  sich  endlich  die  Stiefel,  unter 
dem  Bettkissen  versteckt,  die  Cravatte  in  einem  anderen 
Kissen,  der  Rock  im  Koffer  und  die  Weste  in  der  Tischschub- 
lade. ImTriumph  zogPaganini  jedesmal  das  gefundene  Stück 
an  und  ging,  nachdem  er  eine  Prise  Tabak  genommen,  von 
neuem  eifrig  ans  Suchen,  stets  in  Begleitung  von  Achille, 
dem  es  einen  diebischen  Spafe  machte,  den  Herrn  Papa 
immer  da  suchen  zu  sehen,  wo  nichts  versteckt  war.  End- 
lich war  alles  aufgestöbert,  und  der  Künstler  konnte  sich  in 
die  Probe  begeben.  Mit  sieben  Jahren  sprach  Achille  be- 
reits fließend  italienisch,  französisch  und  deutsch,  soda&  er 
dem  Vater  Dolmetscherdienste  zu  leisten  vermochte.  „Mein 
lieber  Achille,"  schreibt  dieser  anDonizetti,  „ist  meine  größte 
Freude.  Er  entwickelt  sich  prächtig  an  Schönheit  und 
Talent;  er  spricht  schon  tadellos  Deutsch  und  dient  mir  als 
Ubersefeer.  Er  liebt  mich  zärtlich  und  ich,  ich  vergöttere  ihn." 
Die  Triumphe  Paganinis  in  deutschen  Landen  zeigen 
fast  überall   das   gleiche   Gesicht.     Abgesehen   von   dem 

47 


äußeren  Blendwerk  seines  Viriuosentums,  wurde  man 
auch  seinem  Künstlerium  hier  am  ehesten  gerecht,  und  ge- 
rade aus  diesen  Jahren  besifeen  wir  die  zuverlässigsten 
Schilderungen  seiner  Persönlichkeit.  Ein  durch  eine  Er- 
krankung Achilles  auf  mehrereMonate  ausgedehnter  Aufent- 
halt in  Frankfurt  a.  Main  gab  dem  dortigen  Kapellmeister 
Guhr  Gelegenheit,  Paganinis  Spiel  und  Technik  eingehend 
zu  beobachten  und  in  einer  längeren  Abhandlung  uns  ein 
getreues  Bild  dieser  Hexenkünste  festzuhalten,  während 
wir  seinen  Hamburger  Konzerten  eine  farbenprächtige 
Vision  aus  der  Feder  Heinrich  Heines  verdanken,  die  mit 
zu  dem  Besten  zählt,  was  über  Paganini  je  geschrieben 
wurde: 

„Ich  glaube,  es  ist  nur  einem  einzigen  Menschen  ge- 
lungen, die  wahre  Physiognomie  Paganinis  aufs  Papier 
zu  bringen;  es  ist  ein  tauber  Maler,  Namens  Lyser,  der  in 
seiner  geistreichen  Tollheit  mit  wenigen  Kreidestrichen  den 
Kopf  Paganinis  so  gut  getroffen  hat,  daf;  man  ob  der 
Wahrheit  der  Zeichnung  zugleich  lacht  und  erschrickt.  Nur 
in  grell  schwarzen,  flüchtigen  Strichen  konnten  jene  fabel- 
haften Züge  erfa|t  werden,  die  mehr  dem  schweflichten 
Schattenreich  als  der  sonnigen  Lebenswelt  zu  gehören 
scheinen.  „Wahrhaftig,  der  Teufel  hat  mir  die  Hand  ge- 
führt," beteuerte  mir  der  taube  Maler,  als  wir  zu  Hamburg 
vor  dem  Alsterpavillon  standen,  an  dem  Tage,  wo  Paganini 
dort  sein  erstes  Konzert  gab.  „Ja,  mein  Freund,"  fuhr  er 
fort,  „es  ist  wahr,  was  die  ganze  Welt  behauptet,  da&  er 
sich  dem  Teufel  verschrieben  hat,  Leib  und  Seele,  um  der 
beste  Violonist  zu  werden,  um  Millionen  zu  erfiedeln,  und 
zunächst,  um  von  der  verdammten  Galeere  loszukommen, 
wo  er  schon  viele  Jahre  geschmachtet.  Denn,  sehen  Sie, 
Freund,  als  er  zu  Lucca  Kapellmeister  war,  verliebte  er  sich 

48 


in  eine  Theaterprinzessin,  ward  eifersüchtig  auf  irgend 
einen  kleinen  Abbate,  ward  vielleicht  cocu,  erstach  auf  gut 
italienisch  seine  ungetreue  Amata,  kam  auf  die  Galeere  zu 
Genua  und,  wie  gesagt,  verschrieb  sich  endlich  dem  Teufel, 
um  loszukommen,  um  der  beste  Violinspieler  zu  werden, 
und  um  jedem  von  uns  diesen  Abend  eine  Brandschafeung 
von  zwei  Talern  auferlegen  zu  können  ....  Aber,  sehen 
Sie,  alle  guten  Geister  loben  Gott!  sehen  Sie,  dort  in  der 
Allee  kommt  er  selber  mit  seinem  zweideutigen  Famulol" 
In  der  Tat,  es  war  Paganini  selber,  den  ich  alsbald  zu 
Gesicht  bekam.  Er  trug  einen  dunkelgrauen  Oberrock,  der 
ihm  bis  zu  den  Füfjen  reichte,  wodurch  seine  Gestalt  sehr 
hoch  zu  sein  schien.  Das  lange  schwarze  Haar  fiel  in  ver- 
zerrten Locken  auf  seine  Schultern  herab  und  bildete  wie 
einen  dunklen  Rahmen  um  das  blasse  leichenartige  Gesicht, 
worauf  Kummer,  Genie  und  Hölle  ihre  unverwüstlichen 
Zeichen  eingegraben  hatten.  Neben  ihm  tänzelte  eine 
niedrige,  behagliche  Figur,  pufeig  prosaisch:  rosig  ver- 
runzeltes Gesicht,  hellgraues  Röckchen  mit  Stahlknöpfen, 
unausstehlich  freundlich  nach  allen  Seiten  hingrü|end,  mit- 
unter aber  voll  besorglicher  Scheu  nach  der  düstern  Ge- 
stalt hinaufschielend,  die  ihm  ernst  und  nachdenklich  zur 
Seite  wandelte.  Man  glaubte  das  Bild  von  Refesch  zu  sehen, 
wo  Faust  mit  Wagner  vor  den  Toren  Leipzigs  spazieren 
geht.  Der  taube  Maler  kommentierte  mir  aber  die  beiden 
Gestalten  in  seiner  tollen  Weise,  und  machte  mich  beson- 
ders aufmerksam  auf  den  gemessenen  breiten  Gang  des 
Paganini.  „Ist  es  nicht,"  sagte  er,  „als  trüge  er  noch  immer 
die  eiserne  Querstange  zwischen  den  Beinen?  Er  hat  sich 
nun  einmal  diesen  Gang  auf  immer  angewöhnt.  Sehen 
Sie  auch,  wie  verächtlich  ironisch  er  auf  seinen  Begleiter 
manchmal  hinabschaut,  wenn  dieser  ihm  mit  seinen  prosai- 
schen Fragen  lästig  wird;  er  kann  ihn  aber  nicht  entbehren, 
1  40 

4  Kapp,    Paganini.  ^ ' 


ein  blutiger  Kontrakt  bindet  ihn  an  diesen  Diener,  der  eben 
kein  anderer  ist  als  Satan.  Das  unwissende  Volk  meint 
freilieh,  dieser  Begleiter  sei  der  Komödien-  und  Anek- 
dotenschreiber Harrys  aus  Hannover,  den  Paganini  auf 
Reisen  mitgenommen  habe,  um  die  Geldgeschäfte  bei  sei- 
nen Konzerten  zu  verwalten.  Das  Volk  wei|  nicht,  da&  der 
Teufel  dem  Herrn  Georg  Harrys  blo£  seine  Gestalt  abge- 
borgt hat,  und  dafj  die  arme  Seele  dieses  armen  Menschen 
unterdessen  neben  anderem  Lumpenkram  in  einem  Kasten 
zu  Hannover  so  lange  eingesperrt  sifet,  bis  der  Teufel  ihr 
wieder  ihre  Fleisch-Enveloppe  zurückgibt,  und  er  vielleicht 
seinen  Meister  Paganini  in  einer  würdigeren  Gestalt,  näm- 
lich als  schwarzer  Pudel,  durch  die  Welt  begleiten  wird." 
War  mir  aber  Paganini,  als  ich  ihn  am  hellen  Mittag 
unter  den  grünen  Bäumen  des  Hamburger  Jungfernstiegs 
einherwandeln  sah,  schon  hinlänglich  fabelhaft  und  aben- 
teuerlich erschienen:  wie  mu&te  mich  erst  des  Abends  im 
Konzert  seine  schauerlich  bizarre  Erscheinung  über- 
raschen. Das  Hamburger  Komödienhaus  war  der  Schau- 
plajs  dieses  Konzertes,  und  das  kunstliebende  Publikum 
hatte  sich  schon  früh  und  in  solcher  Anzahl  eingefunden, 
dafs  ich  kaum  noch  ein  Pläfechen  für  mich  am  Orchester  er- 
kämpfte, jedes  Auge  war  nach  der  Bühne  gerichtet.  Jedes 
Ohr  rüstete  sich  zum  Hören.  Mein  Nachbar,  ein  Pelz- 
makler, nahm  seine  schmufeige  Baumwolle  aus  den  Ohren, 
um  bald  die  kostbaren  Töne,  die  zwei  Taler  Entreegeld 
kosteten,  besser  einsaugen  zu  können.  Endlich  aber,  auf 
der  Bühne  kam  eine  dunkle  Gestalt  zum  Vorschein,  die  der 
Unterwelt  entstiegen  zu  sein  schien.  Das  war  Paganini  in 
seiner  schwarzen  Gala:  der  schwarze  Frack  und  die 
schwarze  Weste  von  einem  entsefelichen  Zuschnitt,  wie  er 
vielleicht  am  Hofe  Proserpinens  von  der  höllischen  Etikette 
vorgeschrieben  ist;  die  schwarzen  Hosen  ängstlich  schlot- 
50 


ternd  um  die  dünnen  Beine.  Die  langen  Arme  schienen  noch 
verlängert,  indem  er  in  der  einen  Hand  die  Violine  und  in 
der  anderen  den  Bogen  gesenkt  hielt  und  damit  fast  die 
Erde  berührte,  als  er  vor  dem  Publikum  seine  unerhörten 
Verbeugungen  auskramte.  In  den  eckigen  Krümmungen 
seines  Leibes  lag  eine  schauerliche  Hölzernheit  und  zu- 
gleich etwas  närrisch  Tierisches,  dafj  uns  bei  diesen  Ver- 
beugungen eine  sonderbare  Lachlust  anwandeln  mu|te; 
aber  sein  Gesicht,  das  durch  die  grelle  Orchesterbeleuch- 
tung noch  leichenartig  weiter  erschien,  hatte  alsdann  so 
etwas  Flehendes,  so  etwas  blödsinnig  Demütiges,  da&  ein 
grauenhaftes  Mitleid  unsre  Lachlust  niederdrückte.  Hat  er 
diese  Komplimente  einem  Automaten  abgelernt  oder  einem 
Hunde?  Ist  dieser  bittende  Blick  der  eines  Todkranken, 
oder  lauert  dahinter  der  Spott  eines  schlauen  Geizhalses? 
Ist  das  ein  Lebender,  der  im  Verscheiden  begriffen  ist  und 
der  das  Publikum  in  der  Kunst-Arena,  wie  ein  sterbender 
Fechter,  mit  seinen  Zuckungen  ergöfeen  soll?  Oder  ist  es 
ein  Toter,  der  aus  dem  Grabe  gestiegen,  ein  Vampyr  mit 
der  Violine,  der  uns,  wo  nicht  das  Blut  aus  dem  Herzen, 
doch  auf  jeden  Fall  das  Geld  aus  den  Taschen  saugt? 

Solche  Fragen  kreuzten  sich  in  unserem  Kopfe,  wäh- 
rend Paganini  seine  unaufhörlichen  Komplimente  schnitt; 
aber  alle  dergleichen  Gedanken  mußten  stracks  verstum- 
men, als  der  wunderbare  Meister  seine  Violine  ans  Kinn 
sefete  und  zu  spielen  begann."  —  —  — 

Auf  dieser  Fahrt  durch  Deutschland  ging  auch  Paga- 
ninis  sehnlicher  Wunsch  nach  einer  höheren  äu|eren  Aus- 
zeichnung in  Erfüllung.  Vom  westfälischen  Hofe  wurde 
ihm  der  Titel  eines  Barons  und  Comturs  verliehen,  und 
stolz  tragen  seine  Visitenkarten  (lila  mit  Goldrand)  jefet  die 
Aufschrift:  „Le  Baron  N.  Paganini.  Commandern"  et  Cheva- 
lier de  plusieurs  ordres." 

4*  51 


V. 

An  der  Seine  und  Themse 

Als  Paganini  in  Paris  erschien,  stand  dort  in  allen 
Gebieten  des  kulturellen  und  sozialen  Lebens  das  Ba- 
rometer auf  Sturm.  Der  Kampf  der  Romantik  gegen  die 
Gesefee  und  Fesseln  der  klassischen  Richtung  tobte  in  allen 
Zweigen  der  Kunst.  Die  Julirevolution  hatte  überall  die 
jungen  Brauseköpfe  aufgereizt  und  ihrem  kühnen,  in  gött- 
licher Frechheit  über  alle  herkömmlichen  Schranken  dahin- 
stürmenden Wollen  den  Weg  freigemacht.  Alle  Bande 
waren  gesprengt,  der  entfesselten  Phantasie  gehörte  das 
Feld.  Auf  eine  Kunstepoche,  die  in  akademisch-klassi- 
schen Doktrinen  zu  erstarren  drohte,  folgte  jefet  als  Re- 
aktion eine  Zeit  wildesten  Uberschwalls,  radikalster  Neu- 
erungssucht. Je  toller,  verblüffender,  desto  besser!  Ehe 
sich  aus  diesem  genieschwangeren  Tasten  und  Suchen  eine 
neue,  in  sichere  Bahnen  geleitete  moderne  Kunst  heraus- 
schälen konnte,  feierte  sie  eine  ausgelassene  Walpurgis- 
nacht, vor  der  sich  die  Anhänger  der  alten  Schule  scheu 
bekreuzigten,  der  aber  das  grofee  Publikum,  dem  dieser 
kraftvolle  Frühjahrssturm  ein  wohliges  Gruseln,  eine  ner- 
venkifeelnde  Spannung  schuf,  willig,  wenn  auch  meist  ohne 
tieferes  Verständnis,  Gefolgschaft  leistete. 

52 


Es  lä&l  sich  daher  leicht  nachfühlen,  welche  Sensation 
in  dem  in  solcher  Gärung  befindlichen  Paris  die  Ankündi- 
gung einer  Erscheinung  wie  der  Paganinis  hervorrufen 
mu&le,  von  deren  unerhörten,  noch  nie  dagewesenen  Neu- 
erungen man  auch  hier  wahre  Wunderdinge  vernommen, 
die  man  längst  mit  fieberhafter  Spannung  herbeigewünscht 
hatte.  Endlich,  nachdem  die  Zeitungen  schon  so  häufig 
das  falsche  Gerücht  seiner  Ankunft  verbreitet  hatten,  traf 
er  Ende  Februar  1831  in  der  Seine-Stadt  ein.  Trofe  drei- 
fach erhöhter  Eintrittspreise  vermochte  der  gro&e  Saal  des 
Opernhauses  die  Zahl  der  Besucher  an  seinem  ersten 
Konzertabend  nicht  zu  fassen.  „Es  war  eine  göttliche,  es 
war  eine  diabolische  Begeisterung,"  berichtet  Ludwig 
Boerne  von  diesem  denkwürdigen  Ereignis,  „ich  habe  so 
etwas  in  meinem  Leben  nicht  gesehen  noch  gehört.  Dieses 
Volk  ist  verrückt  und  man  wird  es  unter  ihm.  Sie  horch- 
ten auf,  dag  ihnen  der  Atem  verging,  und  das  notwendige 
Klopfen  des  Herzens  störte  sie  und  machte  sie  böse.  Als 
er  auf  die  Bühne  trat,  noch  ehe  er  spielte,  wurde  er  zum 
Willkommen  mit  donnerndem  Jubel  empfangen.  Und  da 
mu§te  man  diesen  Todfeind  aller  Tanzkunst  sehen,  in  der 
Verlegenheit  seines  Körpersl  Er  schwankte  umher  wie  ein 
Betrunkener.  Er  gab  seinen  eigenen  Beinen  Fußtritte  und 
stiel  sie  vor  sich  hin.  Die  Arme  schleuderte  er  bald  him- 
melwärts bald  zur  Erde  hinab;  dann  streckte  er  sie  nach 
den  Kulissen  zu  und  flehte  Himmel,  Erde  und  Menschen 
um  Hilfe  an  in  seiner  großen  Not.  Dann  blieb  er  wieder 
stehen  mit  ausgebreiteten  Armen  und  kreuzigte  sich  selbst. 
Er  war  der  prächtigste  Tölpel,  den  die  Natur  erfinden  kann, 
er  war  zum  Malen.  Himmlisch  hat  er  gespielt.  In  Frankfurt 
halte  er  mir  bei  weitem  nicht  so  gut  gefallen;  das  machte 
die  Umgebung." 

53 


Unter  der  durch  das  Spiel  des  sagenumwobenen  Ita- 
lieners elektrisierten  tobenden  Menge  sa&  in  einer  Ecke 
des  Saales  still  in  sich  gekehrt  ein  schmächtiger,  zwanzig- 
jähriger Jüngling.  Nur  die  feurig  unter  einer  wüsten  Haar- 
mähne hervorfunkelnden  Augen  liefen  die  gewaltige  Er- 
regung erkennen,  die  sein  Inneres  durchwühlte  und  ihn  am 
liebsten  hätte  aufschreien  lassen  wie  ein  verwundetes  Wild. 
Weltentrückt  starrte  er  auf  jenen  seltsamen  Mann  da  vor 
sich  auf  der  Bühne,  dessen  Erscheinen  ihm  blifeartig  den 
eigenen  Zukunftsweg,  nach  dem  er  seit  lange  tastend  in 
der  Irre  ging,  erhellt  hatte.  Franz  Liszt  war  es,  in  dem 
diese  schicksalsschwere  Stunde  den  Virtuosen  der  Zukunft, 
der  einst  sogar  noch  Paganinis  Triumphe  in  den  Schatten 
stellen  sollte,  gebar.  Des  Geigers  fabelhaftes  Können  ließ 
ihn  ahnen,  welche  Leistungsmöglichkeiten  auch  seinem  In- 
strument noch  innewohnen  müßten,  und  er,  der  sich  schon 
die  ganze  klavierspielende  Welt  Untertan  gemacht,  schwur 
sich  einen  heiligen  Eid,  nicht  eher  zu  rasten,  als  bis  er  in 
seinem  Kunstgebiet  mindestens  dem  von  Paganini  Er- 
reichten Ebenbürtiges  geleistet.  Mit  Feuereifer  ging  er  ans 
Werk.  Für  jedermann  unsichtbar  sa&  er,  der  schon  als 
Knabe  keine  technischen  Schwierigkeiten  mehr  gekannt, 
ganze  Tage  vor  seinem  Instrument  und  übte.  „Entweder 
ich  werde  närrisch  oder  der  Künstler,  den  die  Welt  jefet 
braucht,"  stand  mit  ehernen  Lettern  vor  seinem  geistigen 
Auge.  Paganinis  kurz  zuvor  veröffentlichte  „24  Capricci" 
waren  die  Zauberfibel,  an  deren  Geheimnissen  er  zum  Zau- 
berer reifen  sollte.  Bei  dem  Versuch,  diese  technischen 
Wunder  auf  dem  Klavier  nachzuahmen,  erschlossen  sich  Liszt 
allmählich  immer  neue  Wege,  aus  denen  er  sich  schließlich 
eine  ganz  eigene  Technik  des  Klavierspiels  gewann.  So 
war  der  größte  Meister  der  Geige,  ohne  es  zu  ahnen,  zum 

54 


Anreger  und  Lehrmeister  des  gewaltigsten  Klaviertitanen 
geworden. 

Paganini  gab  in  Paris  hintereinander  elf  Konzerte, 
die  ihm  zusammen  über  160  000  Franken  einbrachten.  Wie 
einst  in  Wien  und  Berlin,  so  verbreitete  sich  jefet  auch  über 
Paris  diese  neueste  Krankheit,  die  akut  und  sehr  heftig 
auftretende,  unheimlich  ansteckende  „Paganinitis",  eine 
Epidemie,  deren  Verlauf  glücklicherweise  in  den  meisten 
Fällen  ungefährlich  blieb  und  mit  Entfernung  des  Bazillen- 
trägers sofort  erlosch.  Weniger  angenehm  waren  ihrem 
Erreger  die  Begleiterscheinungen,  die  sich,  wie  bisher  über- 
all, so  auch  in  Paris  einstellten  und  zwar  hier  in  einem  so 
heftigen  Grade,  daB  Paganini  es  für  gut  befand,  dagegen 
Front  zu  machen.  Er  tat  dies  in  einem  offenen  Brief  an 
den  Herausgeber  der  Revue  musicale,  Professor  Fetis: 
„Das  französische  Publikum  hat  mich  mit  soviel  Beweisen 
seiner  Bewunderung  und  mit  solchen  Beifallstürmen  über- 
schüttet, da|  ich  wohl  oder  übel  glauben  mufe,  da§  ich  in 
meinen  Konzerten  nicht  allzuviel  hinter  dem  glanzvollen 
Ruf,  der,  wie  man  sagt,  mir  nach  Paris  vorausgeeilt  war, 
zurückgeblieben  bin.  Hegte  ich  daran  noch  Zweifel,  so 
würden  sie  zerstreut  durch  die  Emsigkeit,  mit  der  die 
Künstler  meine  Gestalt  wiederzugeben  sich  bemühen,  durch 
die  Unzahl  von  guten  und  schlechten  Paganini-Porträts, 
die  Paris  überschwemmen.  Doch  diese  Geschäftsspeku- 
lation begnügte  sich  nicht  bei  Porträts.  Als  ich  gestern  das 
Boulevard  des  Italiens  entlang  ging,  sah  ich  in  einem 
Schaufenster  eine  Lithographie:  „Paganini  im  Ge- 
tan g  n  i  s".  Gut,  sagte  ich  mir,  das  sind  halt  die  Dunkel- 
männer, die  eine  Verleumdung,  von  der  ich  seit  fünfzehn 
lahren  verfolgt  werde,  geschickt  zu  ihrem  Vorteil  auszu- 
nüfeen  suchen.    Doch  ich  ging  lächelnd  heran,  um  mir  die 

55 


Einzelheiten,  mit  denen  die  Phantasie  des  Zeichners  diese 
Mystifikation  ausgestattet,  zu  betrachten.  Da  sah  ich  mich 
plöfelich  von  einer  großen  Menschenmenge  umringt,  die 
meine  Gestalt  mit  der  jenes  Jünglings,  der  auf  der  Litho- 
graphie wiedergegeben  war,  verglich  und  konstatierte, 
da&  ich  mich  seit  der  Zeit  meiner  Gefangenschaft  stark 
verändert  habe.  Da  merkte  ich  erst,  da&  diese  Tölpel  die 
Sache  für  ernst  nahmen,  und  da&  die  Spekulation  mit  dem 
Bild  keine  schlechte  war.  Die  Herren  Zeichner  stellen  mich 
als  Gefangenen  dar,  doch  was  mich  ins  Gefängnis  gebracht 
hat,  wissen  sie  wohl  ebensowenig,  wie  ich  selbst  und  die 
Erfinder  dieser  Anekdote.  Hierfür  gibt  es  mehrere  Fas- 
sungen, die  alle  als  Vorlage  für  ein  Bild  dienen  könnten! 
Z.  B.  erzählt  man  sich,  daß  ich  einen  Nebenbuhler  bei 
meiner  Geliebten  ertappt  und  ihn  tapfer  von  hinten,  als  er 
sich  nicht  zur  Wehr  sefeen  konnte,  niedergestochen  habe. 
Andere  wieder  behaupten,  da&  ich  meine  wütende  Eifer- 
sucht an  der  Geliebten  selbst  gekühlt  hätte,  doch  über  die 
Art  und  Weise,  wie  ich  ihrem  Leben  ein  Ende  gemacht,  ist 
man  sich  nicht  ganz  einig.  Die  einen  lassen  mich  zum 
Dolch  greifen,  die  anderen  sie  langsam  mit  Gift  zu  Tode 
martern.  Kurz,  jeder  lä&t  da  seine  eigene  Phantasie  spie- 
len, die  Lithographen  könnten  es  ja  ebenso  machen!  Ich 
selbst  erlebte  vor  ungefähr  15  Jahren  in  Padua  folgendes: 
Am  Tage  nach  einem  erfolgreichen  Konzert  sefete  ich 
mich,  ohne  da&  man  mein  Eintreten  bemerkt  hatte,  an  die 
table  d'hote.  Einer  der  Gäste  schwärmte  in  schmeichel- 
haften Worten  vom  Eindruck  des  vergangenen  Abends. 
Sein  Nachbar  stimmte  ihm  begeistert  bei,  fügte  aber  hinzu: 
„An  der  Geschicklichkeit  Paganinis  ist  schließlich  nichts 
Verwunderliches,  er  verdankt  sie  seinem  achtjährigen 
Aufenthalt  im  Kerker,  während  dessen  er  eben  nichts  an- 

56 


deres  hatte  als  seine  Geige.  Er  war  zu  dieser  langen  Bu£e 
verurteilt  worden,  weil  er  feige  einen  meiner  Freunde,  der 
sein  Nebenbuhler  war,  niedergestochen  hatte."  Alles  be- 
zeugte seinen  Abscheu  über  das  Verbrechen.  Da  wandte 
ich  mich  an  denjenigen,  der  meine  Lebensgeschichte  so 
genau  zu  kennen  schien,  mit  der  Bitte,  mir  zu  sagen,  wo 
und  wann  dieses  Abenteuer  sich  abgespielt  habe.  Aller 
Augen  waren  auf  mich  gerichtet,  und  das  Erstaunen  war 
unbeschreiblich,  als  man  in  mir  die  Hauptperson  dieser 
tragischen  Geschichte  erkannte.  Der  Erzähler  geriet  in 
arge  Verlegenheit.  Jefet  war  es  schon  nicht  mehr  sein 
Freund,  der  ums  Leben  gekommen  war;  er  hatte  sagen 
hören  .  .  .  man  hatte  ihm  bestätigt  ...  er  hatte  geglaubt 
.  .  .  aber  es  wäre  möglich,  daB  ein  Irrtum  vorliege  usw.  — 
So  spielt  man  mit  dem  guten  Namen  eines  Künstlers,  weil 
die  Alltagsmenschen  in  ihrer  Faulheit  es  nicht  fassen  kön- 
nen, da|  er  als  freier  Mann  ebenso  fleiBig  geübt  haben 
könne,  wie  hinter  SchloB  und  Riegel.  In  Wien  stellte  ein 
noch  lächerlicheres  Gerücht  die  Leichtgläubigkeit  der  Ent- 
husiasten auf  die  Probe.  Ich  hatte  dort  meine  Variationen 
Le  Streghe  (Die  Hexen)  mit  groBem  Effekt  gespielt.  Ein 
Herr  mit  blassem  Teint,  melancholischem,  seltsamem  We- 
sen versicherte,  an  meinem  Spiel  durchaus  nichts  Er- 
staunliches gefunden  zu  haben:  denn  er  habe  deutlich 
während  der  Hexenvariationen  den  Teufel  neben  mir 
stehen  und  mir  die  Hand  und  den  Bogen  führen  sehen. 
Seine  verblüffende  Ähnlichkeit  mit  meinen  eigenen  Ge- 
sichtszügen verrate  deutlich  meine  Herkunft;  er  war  rot  ge- 
kleidet, hatte  Hörner  auf  der  Stirn  und  einen  Schwanz 
zwischen  den  Beinen.  Es  ist  klar,  daB  nach  einer  so  ge- 
nauen Beschreibung  die  Wahrheit  des  Gehörten  auBer 
Zweifel  stand,    und  daB  nunmehr  viele  Leute  überzeugt 

57 


waren,  hinter  das  Geheimnis  meiner  „Bravourleistungen" 
gekommen  zu  sein.  Lange  Zeit  beunruhigten  mich  der- 
artige Gerüchte,  und  ich  bemühte  mich,  sie  als  Unsinn  zu 
entlarven.  Ich  wies  darauf  hin,  da&  ich  seit  meinem  vier- 
zehnten Jahr  ununterbrochen  öffentlich  in  Konzerten  mich 
zeige,  da|  ich  sechzehn  Jahre  lang  als  Kapellmeister  am 
Hofe  zu  Lucca  angestellt  war,  und  dafe  im  Falle  der  Rich- 
tigkeit meine  achtjährige  Gefangenschaft  wegen  Tötung 
meiner  Geliebten  oder  meines  Nebenbuhlers  sofort  hätte 
bekannt  werden  müssen,  oder  ich  bereits  mit  sieben 
Jahren  eine  Geliebte  gehabt  haben  müfete.  Ich  rief  in  Wien 
das  Zeugnis  des  italienischen  Botschafters  an,  der  erklärte, 
mich  seit  ungefähr  zwanzig  Jahren  als  Ehrenmann  zu  ken- 
nen, und  brachte  dadurch  das  Gerücht  vorübergehend  zum 
Schweigen.  Doch  es  bleibt  bei  solchen  Dingen  immer 
etwas  haften,  und  ich  war  daher  nicht  erstaunt,  ihm  hier 
wieder  zu  begegnen.  Was  ist  da  nun  zu  tun?  Ich  sehe 
keinen  anderen  Weg,  als  es  geduldig  über  mich  ergehen  zu 
lassen,  da§  die  Böswilligkeif  der  Menschen  sich  auf  meine 
Kosten  gütlich  tut.  Ich  halte  es  jedoch  für  meine  Pflicht,  zum 
Schluß  noch  auf  ein  Ereignis  hinzuweisen,  das  den  über 
mich  umlaufenden  beleidigenden  Gerüchten  Nahrung  ge- 
boten hat.  Ein  Violinist,  namens  Duranowski,  liefe  sich  1793 
in  Mailand  von  zwei  üblen  Kumpanen  verleiten,  eines 
Nachts  auf  einen  reichen  Priester  einen  Mordanschlag  aus- 
zuführen. Zum  Glück  sank  einem  der  Schuldigen  kurz  vor 
der  Tat  der  Mut  und  er  denunzierte  seine  Helfershelfer. 
Die  Polizei  lauerte  Duranowski  und  seinem  Komplizen  am 
Tatorte  auf  und  verhaftete  sie.  Sie  wurden  zu  20  Jahren 
schweren  Kerkers  verurteilt,  aber  der  General  Menou  gab, 
nachdem  er  Gouverneur  von  Mailand  geworden,  nach  zwei 
Jahren  dem  Künstler  die  Freiheit  zurück.    Auf  dieser  Grund- 

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läge,  es  ist  kaum  zu  glauben,  hat  man  die  Geschichte  über 
mich  erfunden.  Es  handelte  sich  um  einen  Geiger,  dessen 
Namen  auf  i  endete,  also  war  es  Paganini.  Da  man  sich 
über  jede  Wahrscheinlichkeitsmöglichkeit  glatt  hinwegseht, 
so  bleibt  mir  nichts  anderes  übrig,  als  nachzugeben.  Es 
bleibt  mir  nur  die  eine  Hoffnung,  da§  nach  meinem  Tode 
die  Verleumdung  ihr  Opfer  freilassen  wird  und  dafe  die, 
die  sich  so  grausam  wegen  meiner  Triumphe  an  mir  ge- 
rächt,  wenigstens  meine  Asche  in  Frieden  lassen  werden." 
Dieser  Appell  an  die  Öffentlichkeit,  der,  soweit  er  sich 
auf  Tatsachen  zu  stüfeen  sucht,  durchaus  unrichtige  An- 
gaben enthält,  verhallte  ungehört,  und  auch  Paganinis  lebte 
Hoffnung,  dafe  nach  seinem  Tode  all  diese  Gerüchte  ver- 
stummen würden,  sollte  nicht  in  Erfüllung  gehen.  Zu  all 
dem  Gerede,  das  den  Künstler  reichlich  ärgerte,  gesellte 
sich  unerwartet  noch  ein  Vorfall,  der  in  Paris  böses  Blut 
machte  und  die  durch  Paganinis  Verteidigungsbrief  etwas 
herausgeforderte  öffentliche  Meinung  gegen  ihn  heftig  an- 
schwellen liefe.  Man  hatte  ihn  aufgefordert,  bei  einem  im 
Opernhaus  veranstalteten  Wohltätigkeitsballfest  mitzu- 
wirken, und  er  hatte  dies  als  seiner  unwürdig  abgelehnt. 
Er  wurde  daher  in  den  Zeitungen  heftig  angegriffen  und 
des  Geizes  und  kaltherzigen  Egoismus  beschuldigt.  Pa- 
ganini suchte  zwar  sofort  durch  eine  öffentliche  Erklärung 
den  Entrüstungssturm  zu  bannen.  „Einige  Zeitungen  ver- 
künden," lautet  seine  Zuschrift  an  die  Revue  musicale, 
„da|  ich  mich  geweigert  habe,  bei  einem  von  der  National- 
garde für  den  11.  April  im  Opernhaus  vorbereiteten  Ball- 
fest zu  Gunsten  der  Armen  zu  spielen.  Ohne  mich  hier  in 
Erörterungen  einzulassen,  inwieweit  es  für  einen  Künstler 
angängig  oder  überhaupt  möglich  wäre,  sich  mit  oder  ohne 
Orchester  an  einer  derartigen  Veranstaltung  zu  beteiligen, 

59 


beschränke  ich  mich  auf  folgende  Darlegungen,  als  ein- 
ziger Antwort  auf  die  gegen  mich  gerichteten  Beschuldi- 
gungen. Der  Saal  des  Opernhauses  stand  mir  für  kom- 
menden Sonntag  zur  Verfügung  für  eines  meiner  Konzerte, 
und  ich  habe  keinen  Augenblick  gezögert,  ihn  für  die  Vor- 
bereitungen des  Balls  der  Nationalgarde  am  folgenden  Tag 
freizugeben;  dieser  Verzicht  bedeutet  für  mich  ein  Opfer 
oder  wenigstens  den  Aufschub  einer  Einnahme  von  15-  bis 
20  000  Frcs.  Ich  füge  noch  hinzu,  dafj  ich  es  in  Wien, 
Berlin  und  allen  Städten,  in  denen  ich  länger  verweilte,  für 
meine  Pflicht  hielt,  für  die  Armen  zu  spielen,  und  da(s  ich 
sicher  gerade  in  Paris,  wo  man  mich  mit  solchem  Wohl- 
wollen überhäufte,  hiervon  keine  Ausnahme  machen  werde. 
Ich  bitte  Sie  daher,  möglichst  bald  bekannt  zu  geben,  da& 
der  Ertrag  einer  meiner  nächsten  Soireen  in  der  Oper  in 
vollem  Umfang  für  die  Armen  der  Stadt  bereitgestellt  wird." 
Dieses  so  angekündigte  Wohltätigkeitskonzert  fand  auch 
wenige  Tage  später  statt,  d.  h.  Paganini  stellte  die  Ein- 
nahme seines  nächsten  Konzertes,  die  übrigens  die  schlech- 
teste von  allen  seinen  Pariser  Konzerten  war,  am  Tag  da- 
nach wohltätigen  Stiftungen  zur  Verfügung.  Der  Aufent- 
halt in  Paris  war  ihm  durch  all  diese  Streitigkeiten  ziem- 
lich verleidet,  er  brach  ihn  daher,  früher  als  ursprünglich 
geplant,  ab,  um  noch  den  Schluß  der  Saison  in  London  für 
sich  ausnützen  zu  können.  Vor  der  Abreise  richtete  er  an 
den  Dirigenten  seiner  Pariser  Konzerte,  Kapellmeister 
Habenek,  ein  schmeichelhaftes  Dankschreiben.  „Ich  will 
Paris  nicht  verlassen,"  hei&t  es  darin,  „ohne  Ihnen  meinen 
Dank  auszusprechen  für  die  Mühe,  die  Sie  auf  die  Leitung 
meiner  Konzerte  verwandten  und  Ihr  großes  Talent,  das  mit 
zu  meinen  Erfolgen  beitrug.  Man  hatte  mir  das  Orchester 
der  Pariser  Oper  sehr  gerühmt,  aber  Sie  und  Ihre  trefflichen 

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Leute  haben  meine  Erwartungen  weit  übertroffen.  Erst  in 
Paris  fand  ich  das  erste  Orchester  Europas,  das  mir  meine 
Musik  so  zu  Gehör  brachte,  wie  ich  sie  mir  gedacht,  und 
das  mich  vollendet  begleiten  konnte." 

Der  Aufenthalt  in  London  begann  mit  einem  herben 
Mi&klang.  Der  Direktor  der  italienischen  Oper,  ein  ge- 
wisser Laporle,  figurierte  als  Paganinis  Manager;  er  hatte 
aber  im  Vertrauen  auf  die  Neugier  und  Reklamesucht  seiner 
Landsleute  den  Bogen  zu  straff  gespannt  und  für  das  erste 
Konzert  des  italienischen  Weltwunders  auf  englischem  Bo- 
den so  unerhörte  Preise  angekündigt  (sie  schwankten  zwi- 
schen 262  Frcs.  für  eine  Loge  und  12,50  Frcs.  für  den 
billigsten  Einzelplatz),  dag  sich  in  der  Presse  ein  Ent- 
rüstungssturm erhob  und  das  Publikum  die  Gefolgschaft 
verweigerte.  Paganini  sagte  daher  „gesundheitshalber" 
einen  Tag  vor  dem  fesigese&ten  Termin  das  Konzert  ab 
und  kündigte  für  wenige  Tage  später  ein  neues  Konzert 
zu  normalen  Preisen  an.  In  einem  Rundschreiben  an  die 
Presse  suchte  er  den  üblen  Eindruck  seines  verunglückten 
Debüts  zu  verwischen  und  als  Mi|verständnis  hinzustellen: 
„Die  knappe  Zeit,  die  mir  vor  dem  angekündigten  Konzert 
im  Kings  Theatre  zur  Verfügung  stand,  erlaubte  mir  nicht, 
mich  um  die  Organisation  selbst  zu  kümmern.  In  allen 
Städten,  in  denen  ich  bisher  konzertierte,  wurden  die  Ein- 
trittspreise verdoppelt.  Wie  man  mir  nun  sagte,  sind  die 
Preise  der  Pläfee  hier  an  sich  weit  höher  als  anderwärts, 
und  darin  liegt  der  Grund,  da|  mein  Manager,  der  wie 
sonst  bei  mir  üblich  verfuhr,  die  Preise  in  fast  lächerliche 
Höhen  hinaufschraubte.  Ich  unterwerfe  mich  natürlich  den 
Gewohnheiten,  die  in  der  englischen  Metropole  üblich  sind, 
und  hoffe  mir  die  Achtung  des  Publikums,  dessen  Protek- 
tion mir  der  höchste  Gewinn  ist,  zu  erringen." 

61 


Weniger  nachgiebig  zeigte  sich  der  Künstler  dem  eng- 
lischen Hof  gegenüber.  Er  forderte  für  seine  Mitwirkung 
in  einem  Hofkonzert  100  Pfund,  und  als  man  ihm  die  Hälfte 
bot,  antwortete  er,  Seine  Majestät  könne  ihn  noch  viel  billi- 
ger hören,  wenn  sie  seine  Konzerte  im  Theater  besuche, 
aber  feilschen  liege  er  nicht  mit  sich.  Die  englische  Presse 
blieb  nach  wie  vor  ihm  wenig  günstig  gesinnt  und  brand- 
markte bei  jeder  Gelegenheit  das  Ausplünderungssystem, 
das  dieser  geizige  Ausländer  in  England  betreibe.  Das 
Publikum  liefe  sich  aber  dadurch  nicht  beirren  und  drängte 
sich  in  hellen  Scharen  zu  seinen  Konzerten.  An  fünfzehn 
Abenden  liefe  sich  Paganini  in  London  hören  und  erzielte 
dabei  eine  Einnahme  von  rund  260  000  Francs!  Hierzu 
kamen  noch  zuvor  unerhörte  Beträge,  die  ihm  in  hoch- 
aristokratischen  Kreisen  für  Soireen  geboten  wurden  und 
für  Privatstunden,  die  er  vornehmen  Ladies  erteilte,  die 
darauf  brannten,  diesen  Höllensohn  einmal  aus  nächster 
Nähe  zu  sehen  und  sich  rühmen  zu  können,  seinen  Unter- 
richt genossen  zu  haben:  ein  Scherz,  den  sich  der  Künstler 
mit  tausend  Mark  für  die  Stunde  bezahlen  liefe! 

Als  die  Konzert-Einnahmen  in  London  nachzulassen 
begannen,  folgte  auf  das  lefele,  allerlebte,  unwiderruflich 
lefete,  das  wirklich  lebte  Konzert,  und  Paganini  trat  eine 
Reise  durch  die  Provinz  an,  auf  der  er  alle  gröfeeren  und 
mittleren  Städte  der  drei  Königreiche  heimsuchte.  Für  die 
Tournee  hatte  er  sich  einem  spekulativen  englischen  Im- 
presario „verkauft",  wie  die  Zeitungen  verächtlich  berich- 
teten, d.  h.  er  erhielt  eine  bestimmte  feste  Monatseinnahme, 
wogegen  er  verpflichtet  war,  überall  aufzutreten,  wo  sein 
Impresario,  der  allein  das  Risiko  und  den  Gewinn  an 
allen  Veranstaltungen  trug,  Konzerte  arrangierte.  Paga- 
nini wurde  damit  der  Begründer  eines  Systems,  das  später 

62 


von  vielen  Künstlern,  die  der  geschäftlichen  und  organisa- 
torischen Schwierigkeiten  ihres  Berufs  ledig  sein  wollten, 
nachgeahmt  wurde.  Damals  war  es  noch  etwas  Unerhör- 
tes, und  diese  „Erniedrigung  zum  willenlosen  Werkzeug 
eines  Geschäftsmannes"  wurde  dem  Künstler  als  schmach- 
voll angerechnet.  Auch  auf  diese  Fahrt  durch  das  englische 
Land  folgte  ihm  der  Groll  der  Presse  nach.  So  versah 
eine  Zeitung  in  Bristol  die  Anzeige  seiner  Konzerte  mit  fol- 
gender Randbemerkung:  „Mitbürger,  mit  dem  Gefühl  tief- 
sten Abscheus  kündige  ich  die  bevorstehenden  Konzerte 
Paganinis  in  unserer  Stadt  an.  Was  sollen  diese  in  den 
gegenwärtigen  Zeiten  des  Unglücks  und  der  Not?  Über- 
all werden  Sammlungen  für  die  Armen  veranstaltet,  wozu 
kommt  aber  dieser  fremde  Geiger?  Er  will  das  den  Elen- 
den bestimmte  Geld  entführen.  La§t  Euch  durch  die  „musi- 
kalischen Ungeheuerlichkeiten"  dieses  Fremden  nicht  be- 
hexen, der  nur  die  Naivität  John  Bulls  ausbeuten  will." 
Doch  das  Publikum  folgte  überall  willig  seinem  Ruf,  und 
reich  beladen  mit  dem  Golde  Albions  kehrte  Paganini  nach 
neunmonatlichem  Verweilen  auf  englischem  Boden  und 
Absolvierung  von  insgesamt  132  Konzerten  nach  Paris 
zurück. 

Hier  hatte  indes  ein  anderer,  noch  unheimlicherer 
Spielmann  zum  Tanz  aufgespielt,  dessen  Weisen  die  Mas- 
sen noch  unwiderstehlicher  niederzwang,  als  der  Zauber- 
bogen des  Genuesen:  der  Tod  wütete  mit  Hilfe  eines  furcht- 
baren Genossen,  der  Cholera,  in  den  Mauern  der  Stadt 
und  raffte  ein  blühendes  Menschenleben  nach  dem  anderen 
dahin.  Paganini  schreckte  selbst  vor  dem  Wettstreit  mit 
diesem  furchtbaren  Nebenbuhler  nicht  zurück.  Neunmal 
lud  er  die  Pariser  während  dieser  entsefelichen  Wochen  der 
Trauer  und  Todesangst  zu  Konzerten  in  die  gro|e  Oper, 

63 


und  wenn  die  Einnahmen  auch  nur  ein  Viertel  der  Höhe  des 
Vorjahres  erreichten,  so  konnte  er  doch  mit  seinem  Publi- 
kum zufrieden  sein.  Das-  zweite  dieser  Konzerte  hatte  den 
grö|ten  Zulauf:  es  fand  zu  Gunsten  der  Cholerakranken 
statt. 

Ungefährdet  von  der  todbringenden  Seuche  verliefe 
Paganini  nach  drei  Monaten  wieder  die  Seinestadt,  um,  wie 
im  Vorjahr,  während  der  Sommermonate  in  England 
frischen  Lorbeer  zu  erringen.  Wenn  er  auch  diesmal  wieder 
mit  Begeisterung  aufgenommen  wurde,  so  drängte  sich  die 
Menge  doch  nicht  annähernd  so  gierig  zu  seinen  Konzerten 
wie  früher,  und  der  Ertrag  der  diesmaligen  zwölf  Lon- 
doner Soireen  war  nur  ein  Viertel  des  vorjährigen.  Nach 
einer  kürzeren  Tour  durch  Südengland  kehrte  der  Künst- 
ler im  Herbst  wieder  nach  Paris  zurück,  wo  er  abgesehen 
von  einem  Abstecher  nach  Rouen  und  Le  Havre,  den  Winter 
verbrachte,  ohne  wesentlich  hervorzutreten.  Erst  im  Früh- 
jahr 1833  begann  er  wieder  einen  Zyklus  von  Konzerten  in 
der  gro&en  Oper.  Sehr  verübelt  wurde  ihm  seine  Weige- 
rung, an  einer  zugunsten  der  englischen  Schauspielerin 
Henriette  Smithson  veranstalteten  Matinee  mitzuwirken. 
Diese  wenige  Jahre  zuvor  in  Paris  überschwänglich  ge- 
feierte Künstlerin,  jefet  Braut  Hektor  Berlioz',  hatte  mit 
ihrem  englischen  Theater  falliert  und  war  in  Not  geraten. 
Alle  bekannteren  Pariser  Künstler,  so  Chopin,  Liszt,  Hiller, 
kamen  bereitwillig  der  bedrängten  Kollegin  zu  Hilfe  und 
beteiligten  sich  an  einem  von  Berlioz  veranstalteten  Bene- 
fizkonzert. Nur  Paganini  schloß  sich  aus.  Er  wurde  des- 
halb heftig  angegriffen.  „Paganini  hat  eine  Contribution 
von  sieben-  oder  achtmalhunderttausend  Francs  in  Eng- 
land einzutreiben  geruht,"  schreibt  bissig  l'Europe  litte- 
raire,  „der  Zauber  seines  Bogens    ist  mächtiger  als  das 

64 


Szepter  vieler  Herrscher  .  .  .  MiP;  Smilhson  bittet  von 
ihrem  Schmerzenslager  aus  Herrn  Paganini  ein  kleines 
Stückchen  um  ihretwillen  zu  spielen  .  .  .  Herr  Paganini 
lehnt  abl  Primo  mihi  (Erst  komme  ich),  diese  Devise  des 
Egoismus  kann  zuweilen  gerechtfertigt  sein,  doch  in  diesem 
Fall  gewif;  nicht.  Es  scheint  aber,  da{j  Herr  Paganini  den 
unabänderlichen  Entschlu|  gefaxt  hat,  gar  nie  zu  dem  Nach- 
safe  cras  tibi  (Dann  kommst  du)  weiter  zu  schreiten."  — 
Im  Mai  begab  sich  Paganini  zum  dritten  Mal  nach  Eng- 
land und  kehrte  nach  einer  leidlich  erfolgreichen,  aber  an- 
strengenden Konzertsaison  im  Herbst  wieder  nach  Paris 
zurück,  um  den  in  diesem  Jahr  wieder  heftiger  auftretenden 
körperlichen  Leiden  durch  Ruhe  und  sorgsame  Pflege  wirk- 
samer entgegenarbeiten  zu  "können.  Nachdem  sich  sein 
Befinden  langsam  gebessert  hatte,  trat  er  Ende  Februar 
1834,  ohne  den  Winter  über  in  Paris  im  Konzertsaal  auf- 
getreten zu  sein,  eine  Rundreise  durch  Belgien  an.  Doch 
diese  endete  mit  einem  eklatanten  Mi&erfolg.  Nachdem  er 
schon  infolge  der  He^e  der  katholischen  Presse,  die  das 
Volk  vor  den  Hexenkünsten  dieses  „Verdammten"  warnte 
und  sich  im  Anschluß  an  die  Pariser  Ereignisse  über  seinen 
Geiz  in  hä|lichster  Weise  erging,  in  den  meisten  Städten 
vor  leerem  Saal  gespielt  hafte,  wurde  er  in  Brüssel  bei 
seinem  Erscheinen  im  Theälre  de  la  Monnaie  ausgelacht, 
mit  Kosenamen  wie  „schwarzes  Skelett"  u.  a.  begrü|t, 
und  auch  sein  Spiel  vermochte  die  boshafte  Heiterkeit  der 
Hörer  nicht  zu  beschwichtigen.  Paganini  zog  es  daher  vor, 
so  schnell  wie  möglich  dieses  ungastliche  Land  zu  verlassen, 
und  begab  sich  von  neuem  nach  England.  Doch  auch  hier 
blieb  der  Erfolg  diesmal  in  bescheidenen  Grenzen.  Eine 
solche,  immerhin  einseitige  Ausnahmeerscheinung  wie  er 
mu§te  eben  bei  allzu  häufiger  Wiederkehr  ein  gut  Teil  ihres 


5     Kapp,    Paganini. 


65 


geheimnisvollen  Reizes  einbüßen.  Der  mystische  Schleier 
schwand  allmählich,  was  an  dieser  seltsamen  Erscheinung 
die  ersten  Male  frappiert  und  eben  durch  das  Fremdartige 
hingerissen  hatte,  verlor  auf  durch  Wiederholung  abge- 
stumpfte Sinne  immer  mehr  an  Einwirkung,  der  Rausch 
verflog  und  es  blieb  —  nicht  am  wenigsten  dank  der 
hämisch  zersehenden  Zeitungsangriffe  —  eine  Art  Kaßen- 
jammer  zurück.  Man  schämte  sich  gewissermaßen  seiner 
ersten  übertriebenen  Huldigungen  und  ließ  den  Künstler 
das  jefet  entgelten. 

Zu  allem  Überfluß  endete  diesmal  die  englische  Reise 
noch  mit  einem  großen  öffentlichen  Skandal.  Kaum  war 
Paganini  auf  der  Rückreise  in  Boulogne-sur-mer  einge- 
troffen, als  die  französischen  Zeitungen  spaltenlange  Be- 
richte über  eine  geheimnisvolle  Entführung  einer  Sechzehn- 
jährigen durch  ihn  aus  London  brachten.  Sein  Londoner 
Impresario,  ein  Mr.  Watson,  beschuldigte  ihn,  seine  Toch- 
ter, der  er  die  Ehe  versprochen  und  die  er  mit  kostbaren 
Geschenken  verblendet  habe,  zur  Flucht  aus  England  be- 
tört zu  haben.  Er  war  den  Flüchtigen  nachgeeilt  und  hatte 
durch  die'  Behörden  in  Boulogne  die  Auslieferung  seiner 
Tochter  erzwungen.  „Was  Paganini  betrifft,"  fügten  die 
Zeitungen  boshaft  hinzu,  „so  soll  er  durch  diese  Ent- 
täuschung nicht  sonderlich  erschüttert  worden  sein:  die 
Schöpfungen  seines  Genies,  diese  himmlischen  Geliebten, 
die  er  mit  einem  einzigen  Strich  seines  Zauberbogens  um 
sich  erwecken  kann,  dürften  ihn  leicht  trösten  über  den  Ver- 
lust einer  gewöhnlich  Sterblichen  .  .  ."  Paganini  vertei- 
digte sich  in  einem  langen  „Offenen  Brief",  stellte  den  Mr. 
Watson  als  ein  gänzlich  verkommenes  Subjekt  dar,  der 
schon  mehrfach  im  Gefängnis  gesessen,  seine  Frau  ins 
Elend   gestoßen   habe,   mit    einer   Maitresse    schlimmster 

66 


Sorte  lebe  und  seine  Kinder  bis  aufs  Blut  peinige  und  aus- 
nüfee.  Die  Tochter  habe  er  zur  Konzertspielerin  ausbilden 
wollen,  da  sie  sehr  talentiert  sei,  der  Vater  habe  dies  aber 
aus  Eigennufe  abgelehnt.  „Um  sich  den  Mißhandlungen  zu 
entziehen,"  fährt  Paganini  fort,  „floh  sie  aus  dem  Hause 
ihres  Vaters  und  kam,  eingedenk  meines  Anerbietens,  aus 
eigenem  Antrieb  zu  mir  und  bat  um  meinen  Schüfe 
und  Hilfe.  Ich  habe  also  Miß  Watson  keineswegs  entführt, 
wie  der  Betrüger  von  Vater  mich  zu  beschuldigen  wagte. 
Wenn  ich  diese  verwerfliche  Absicht  gehegt  hätte,  so  wäre 
nichts  leichter  als  das  gewesen,  denn  während  Watson  im 
Gefängnis  saß,  aus  dem  ihn  meine  Freigebigkeit  auslöste, 
war  seine  Tochter  frei  und  allein,  da  seine  Geliebte  jede 
Nacht  das  Haus  verließ,  um  den  Gefangenen  zu  erfreuen. 
Doch,  ich  gestehe  es  kühn,  Miß  Watson  war  überzeugt,  daß 
sie  in  mir  den  Beschüfeer  finden  würde,  den  sie  brauchte, 
und  den  Beistand,  den  ihr  ihr  Erzeuger  versagte  ...  Ich 
folgte  also  einer  selbstlosen  und  edelwollenden  Regung, 
die  anstelle  des  Tadels  und  einer  niederträchtigen  Beschul- 
digung, das  Lob  eines  jeden  anständigen  Menschen,  der 
fähig  ist,  eine  gute  Tat  zu  würdigen,  verdiente.  Für  die- 
jenigen, die  in  meiner  Handlung  eine  Ausschweifung  und 
schändliche  Regungen  erkennen  wollen,  habe  ich  nur  mit- 
leidige Verachtung  übrig."  Auf  diesen  stolzen  Rechtferti- 
gungsversuch des  Künstlers  erwiderte  die  Presse,  zwar  ver- 
blümt, aber  doch  deutlich  genug,  aaß  sie  den  Beteuerungen 
des  berühmten  Paganini,  „dessen  Lob  als  Künstler  sie  so 
oft  gesungen,  dessen  Charaktereigenschaften  aber  ihn  als 
Menschen  schon  so  häufig  kompromittiert  hätten",  keinen 
Glauben  schenke.  Auch  eine  nochmalige  Entgegnung  auf 
diese  beleidigende  Beschuldigung  vermochte  die  öffentliche 
Meinung  nicht  zu  Gunsten  des  Künstlers  umzustimmen. 

5*  67 


Kaum  war  Paganini  nach  diesem  peinlichen  Vorfall  in 
Paris  eingetroffen,  so  eröffnete  der  allmächtige  Kritiker  des 
„Journal  des  Debats",  Jules  J  a  n  i  n  ,  gestüfet  auf  die 
Paganini  ungünstige  Stimmung  des  Publikums,  einen  hef- 
tigen Federkrieg  gegen  ihn.  „Wie  empfing  man  zuerst 
dieses  groteske  Etwas,  diesen  lebenden  Leichnam  Paga- 
nini bei  uns!  Man  hätte  die  Mauern  von  Paris  gestürmt, 
wenn  die  Tore  nicht  weit  genug  gewesen  wären!  .  .  .  Um 
ihn  zu  hören,  überwand  man  sogar  die  Furcht  vor  der  Cho- 
lera. Und  heute?  Jefet  ist  er  für  uns  tot!  Als  Künstler  ist 
er  tot!  Der  Geizhals  hat  den  Künstler  in  ihm  getötet  An 
jenem  Tag,  an  dem  Paganini,  goldbeladen  aus  London 
zurückgekehrt,  sich  weigerte,  in  dem  Benefiz  für  einige 
arme  englische  Schauspieler  (Harriett  Smithson),  deren 
lebte  Hilfsquellen  erschöpft  waren,  zu  spielen,  verlor  er 
bei  uns  jeden  Kredit.  Er  kann  reisen  in  Frankreich,  wohin 
er  will,  seine  Geige  wird  überall  in  ihrem  Kasten  bleiben 
müssen,  zu  unnüfeem  Schweigen  verdammt!"  Indem  er 
ihm  die  traurigen  Erfahrungen  in  Belgien  und  London  vor 
Augen  stellt,  weist  er  ihm  in  lefeter  Stunde  noch  einen  Weg 
zur  Rettung:  Paganini  gebe  ein  grofees  Konzert  zu  Gunsten 
der  Überschwemmten  von  Saint-Etienne  und  alles  soll  ver- 
gessen sein.  Die  Presse  wird  ihm  das  Publikum  wieder  zu- 
führen. Da  Paganini  dieser  Aufforderung  nicht  nachkam, 
so  erneuerte  Janin  seine  Angriffe  in  verschärfter  Form  in 
einem  sechsspaltigen  Feuilleton:  „Paganini  und  die  Über- 
schwemmten von  Saint-Etienne."  Paganini  erkannte,  dafj 
die  Situation  für  ihn  verloren  war.  Weitere  Konzertreisen 
versprachen  für  die  nächste  Zeit  doch  nur  geringen  Ertrag, 
und  da  ihm  der  Aufenthalt  in  Frankreich  wie  England  durch 
die  Vorfälle  der  legten  Zeit  begreiflicherweise  arg  verleidet 
war,  überdies  seine  Gesundheit  nach  den  Anstrengungen 

68 


und  Aufregungen  der  ununterbrochenen  Virtuosenfahrten 
dringend  einer  längeren  Erholungszeit  bedurfte,  so  zog  er 
es  vor,  allen  Weiterungen  aus  dem  Wege  zu  gehen.  In 
einem  kurzen  Brief  an  die  „Debats"  erklärte  er,  er  sei  krank 
und  könne,  nachdem  er  schon  seit  drei  Monaten  in  Frank- 
reich nicht  mehr  konzertiert  habe,  auch  jefet  nicht  spielen; 
er  begebe  sich  nach  dem  Süden.  Mißmutig  und  verfolgt 
von  dem  Hohn  der  Gegner,  verlief  er  Paris,  in  das  er  vor 
drei  Jahren  als  Triumphator  eingezogen,  und  kehrte  nach 
einer  Abwesenheit  von  über  sechs  Jahren,  während  deren 
er  die  Huldigungen  von  halb  Europa  empfangen  und  uner- 
hörte Reichtümer  gewonnen  hatte,  in  sein  Heimatland 
zurück. 


69 


VI. 

Der  Abstieg 

Von  seinen  Landsleuten  wurde  Paganini  bei  der  Heim- 
kehr mit  fürstlichen  Ehren  empfangen.  In  jeder  Stadt, 
durch  die  er  kam,  feierte  man  ihn  durch  prunkvolle  Feste, 
und  enthusiastische  Dilettanten  wetteiferten  mit  den  nam- 
haftesten Dichtern  des  Landes  in  Hymnen  und  Volksgesän- 
gen zu  seinem  Ruhm.  Die  Wogen  nationaler  Begeisterung 
gingen  hoch,  und  man  beweihräucherte  in  dem  zum  Natio- 
nalheros erhöhten  Mann  sich  selbst,  das  Italienertum.  Paga- 
nini beabsichtigte  sich  in  Oberitalien  anzusiedeln  und  hielt 
Umschau  nach  einem  hübschen  Landsife.  Er  wählte  eine 
größere  Besitzung  unweit  Parmas,  dessen  prächtiges,  mit 
breiter  Säulenterasse  umgebenes  Herrenhaus,  Villa  Gajone, 
ihn  wegen  der  gesunden  ländlichen  Lage  mitten  in  dichtem 
Cypressenwald  derart  entzückte,  dajj  er  sofort  den  Kauf 
abschloß  Hier  verbrachte  Paganini  künftighin  den  grölten 
Teil  des  Jahres  und  unternahm  nur  selten,  wenn  irgendein 
Kunstereignis  seiner  harrte,  kürzere  Abstecher  in  umlie- 
gende  Städte. 

Es  beschäftigten  ihn  verschiedene  wichtige  Pläne. 
Vor  allem  gedachte  er  seine  Kompositionen  zu  veröffent- 
lichen und  in  einer  umfassenden  Violinschule  das  Ge- 
heimnis seiner  Kunst  der  Welt  zu  erschließen.     Einer  der 

70 


grö&len  Pariser  Musikverleger  hatte  ihm  schon  vor  Jahren 
ein  glänzendes  Angebot  für  seine  Manuskripte  gemacht, 
doch  war  das  Geschäft  an  Paganinis  unmöglichen  Geld- 
forderungen gescheitert.  Jefet  wollte  er  die  Werke  im 
Selbstverlag  erscheinen  lassen,  um  die  kaufmännische  Ver- 
wertung restlos  für  sich  ausnüben  zu  können.  Da|  dieser 
Plan  bereits  bestimmte  Formen  angenommen,  beweist  eine 
Aufstellung  von  Paganinis  Hand,  die  sich  in  seinem  Nach- 
laß gefunden  hat.  Er  stellte  hier  unter  der  Überschrift 
„Verzeichnis  von  Musikstücken  zum  Druck"  achtundzwan- 
zig der  bekanntesten  Nummern  seines  Repertoires  zusam- 
men und  versah  die  Liste  mit  dem  Vermerk  „druckfertig". 
Da&  es  schließlich  doch  nicht  zur  Verwirklichung  dieses  Ob- 
jektes kam,  mag  darin  seinen  Grund  gehabt  haben,  da&  in 
Paganini  der  Komponist  immer  noch  im  Kampf  mit  dem 
Virtuosen  lag.  Hatte  er  sich  nun  auch  vorübergehend  auf 
sein  idyllisches  Landgut  zurückgezogen  und  für  absehbare 
Zeit  größeren  Konzertreisen  abgeschworen,  so  hatte  er 
doch  nicht  für  immer  darauf  verzichtet,  und  er  fürchtete 
wohl  durch  Bekanntgabe  seiner  Werke  das  Interesse  für 
seine  späteren  Virtuosenfahrten  abzuschwächen.  An  den 
künstlerischen  Veranstaltungen  im  benachbarten  Parma 
nahm  Paganini  regen  Anteil  und  erschien  auch  häufig  in 
der  dortigen  Gesellschaft.  Namentlich  in  der  Gro&herzogin 
Marie  Luise  fand  er  eine  hingebende  Gönnerin.  Nachdem 
er  zur  Feier  ihres  Geburtstagsfestes  ein  glänzendes  Hof- 
konzert arrangiert  und  selbst  durch  einige  Soli  die  ganze 
Hofgesellschaft  in  Aufruhr  gebracht  hatte,  ernannte  ihn  die 
Fürstin  zum  Mitglied  der  „Commissione  amministrativa  di 
Teatro  Ducale".  Seine  Aufgabe  sollte  eine  Reorganisie- 
rung des  Orchesters  sein,  und  höchst  schmeichelhaft  fügte 
sie  ihrem  Wunsch  hinzu:  „Tout  ce  que  proposera  Paganini 

71 


sera  adopte".  Als  sichtbares  Zeichen  ihrer  Huld  schenkte 
sie  ihm  einen  kostbaren  Ring  und  verlieh  ihm  wenige  Tage 
später  das  Diplom  eines  Cavaliere  des  Ordens  vom  heiligen 
Georg.  Besonders  glanzvoll  war  der  Empfang  des  Künst- 
lers, als  er  seiner  Vaterstadt  Genua  einen  kürzeren  Besuch 
abstattete,  und  er  fand  seinen  Höhepunkt  in  der  feierlichen 
Enthüllung  einer  Marmorbüste  Paganinis.  Eine  in  Ober- 
italien  um  jene  Zeit  ausgebrochene  Choleraepidemie  be- 
wog  den  Gefeierten,  seine  Wundergeige,  die  so  lange 
stumm  geblieben,  nochmals  in  einigen  Städten  erklingen  zu 
lassen,  um  mit  dem  Ertrag  dieser  Wohltätigkeitskonzerte 
zur  Linderung  der  Not  beizusteuern. 

Bei  einer  solchen  Gelegenheit  entstand  plöblich  das 
Gerücht,  Paganini  sei  selbst  von  der  Seuche  befallen  und 
liege  im  Sterben.  Ja  in  Paris  ward  sogar  die  Nachricht 
seines  Todes  verbreitet,  und  die  Zeitungen  brachten  bereits 
ausführliche  Nekrologe.  Er  selbst  strafte  diese  Meldungen 
Lügen,  indem  er  unerwartet  in  der  französischen  Metropole 
auftauchte.  Noch  wandelte  er  zwar  unter  den  Lebenden, 
aber  er  war  ein  vom  Tode  Gezeichneter.  Sein  chronisches 
Halsleiden  war  auch  unter  dem  südlicheren  Himmel  Italiens 
nicht  gewichen,  im  Gegenteil!  Kehlkopfschwindsucht  hiej$ 
das  furchtbare  Gift,  das  rettungslos  seinen  Lebensnerv  ver- 
nichtete. Das  Sprechen  machte  ihm  unsägliche  Mühe. 
„Kaum  vermochte  man,"  erzählt  Berlioz,  „wenn  man  das 
Ohr  nah  an  seinen  Mund  hielt,  ein  paar  Worte  zu  verstehen. 
Wenn  ich  an  Tagen,  wo  das  Wetter  ihm  Lust  dazu  machte, 
in  Paris  mit  ihm  spazieren  ging,  so  hatte  ich  Buch  und  Blei- 
stift bei  mir.  Paganini  bezeichnete  mit  einigen  Worten  den 
Gegenstand,  über  den  er  sich  zu  unterhallen  wünschte;  ich 
liefe  mich  darüber  aus,  so  gut  ich  konnte,  und  von  Zeit  zu 
Zeit  einen  Bleistift  ergreifend,    unterbrach  er  mich  durch 

72 


sehr  originelle,  häufig  recht  lakonische  Befrachtungen. 
Seiner  geliebten  Kunst  konnte  er  übrigens  auch  jefet  nicht 
völlig  entsagen.  In  seltenen  Augenblicken  des  Wohlbefin- 
dens ergriff  er  seine  Geige,  um,  wie  es  der  Zufall  gab,  Trios 
oder  Quartette  von  Beethoven,  die  er  glühend  liebte,  mit 
einigen  Genossen,  die  zugleich  die  einzigen  Zuhörer  waren, 
vorzutragen.  Ein  anderes  Mal,  wenn  ihn  das  Violinspiel 
zu  sehr  ermüdete,  zog  er  eine  allen  unbekannte  Sammlung 
selbstverfa^ter  Duette  für  Violine  und  Guitarre  hervor, 
übernahm  selbst  die  Guitarrepartie  und  entlockte  dem  In- 
strumente unerhörte  Wirkungen. 

Paganinis  Aufenthalt  in  Paris  war  diesmal  weniger 
durch  künstlerische  als  geschäftliche  Gründe  bedingt. 
Einigen  geschickten  französischen  Spekulanten  war  es 
nämlich  gelungen,  den  sonst  so  vorsichtigen  Künstler  in  ein 
Unternehmen  zu  verwickeln,  das  zunächst  sehr  harmlos  und 
gewinnbringend  (was  wohl  für  Paganini  den  Ausschlag  ge- 
geben hatte)  aussah,  sich  aber  bald  als  großer  Schwindel 
entpuppte.  Es  sollte  in  einem  der  vornehmsten  Stadtteile 
von  Paris  ein  „etablissement  musical  et  litteraire"  gegrün- 
det werden.  Dieses  Etablissement  sollte,  wie  die  Ankündi- 
gung versprach,  alle  Genüsse  in  sich  vereinigen,  die  dem 
Publikum  und  namentlich  den  zahlreichen  Fremden  in  Paris 
auf  dem  Gebiet  der  Musik,  des  Tanzes,  der  schönen  Künste, 
der  Conversation,  Lektüre  und  eleganten  Promenade  über- 
haupt geboten  werden  konnten,  und  ihnen  gleichzeitig 
prächtige  Räume  zur  Erholung  und  gesellschaftlichen  Zu- 
sammenkünften zur  Verfügung  stellen.  Um  dieser,  wie  man 
sieht,  nicht  gerade  wenig  verheizenden  Neugründung  ein 
zugkräftiges  Mäntelchen  umzuhängen,  hatte  man  es  ge- 
schickt verstanden,  den  Namen  Paganinis  für  die  Sache  zu 
gewinnen,  und  unter  der  stolzen  Flagge  Casino  Paga- 

73 


n  i  n  i  wurde  das  Unternehmen  im  November  1837  möglichst 
geräuschvoll  und  prunkhaft  mit  einem  Festkonzert  eröffnet. 
Doch  dieser  ganze  Kunstrummel  sollte  in  der  Tat  nur  nach 
au&en  den  wahren  Zweck  dieser  Institution,  eine  Spielhölle 
großen  Stils,  verhüllen.  Die  Sache  ging  auch  kurze  Zeit 
über  ganz  nach  Wunsch  und  warf  den  Unternehmern 
hübsche  Summen  ab,  bis  eines  Tages  infolge  einer  Durch- 
stecherei die  Polizei  von  den  wahren  Vorgängen,  die  sich 
in  diesem  Kunsttempel  abspielten,  Wind  bekam  und  den 
Spielklub  aushob.  Jefet  stand  das  Unternehmen  vor  einer 
entscheidenden  Krisis,  es  war,  da  die  Kunsfveranstaltungen 
allein  natürlich  die  Kosten  nicht  einbrachten,  nur  noch 
lebensfähig,  wenn  der  Mann,  der  leichtsinnig,  ohne  den 
wahren  Sachverhalt  zu  ahnen,  seinen  guten  Künstlernamen, 
und  als  Hauptaktionär  ein  schönes  Stückchen  Geld  zu  der 
Sache  hergegeben  halte,  jebl  persönlich  auf  der  Bildfläche 
erschien  und  durch  seine  Mitwirkung  in  den  Casino-Kon- 
zerten  die  Massen  anzog.  Da  Paganini  sich  weigerte, 
überdies  gesundheitlich  auch  garnicht  mehr  dazu  imstande 
gewesen  wäre,  ging  die  Gesellschaft  gerichtlich  gegen  ihn 
vor  und  erreichte  ein  vorläufiges  Gerichis-Urleil,  nach  dem 
er  bei  einer  Unterlassungsstrafe  von  6000  Franken  für 
jeden  Abend  gezwungen  wurde,  zweimal  wöchentlich  im 
Casino  zu  spielen.  Der  Künstler  verwahrte  sich  energisch 
dagegen  und  eilte  unverzüglich  selbst  nach  Paris,  um  seine 
Sache  an  Ort  und  Stelle  erfolgreich  durchführen  zu  kön- 
nen. Es  kam  nun  zu  langwierigen  Prozessen,  die  nach 
dem  nun  nicht  mehr  aufzuhaltenden  Bankerott  des  Casinos 
mit  erneuter  Heftigkeit  einsefeten  und  damit  endeten,  da§ 
Paganini  zu  20  000  Franken  Schadenersafe  verurteilt  wurde. 
Als  er  gegen  das  Urteil  Revision  einlegte,  hafte  er  das 
Pech,  da|  die  höhere  Gerichtsinstanz  die  Summe  sogar 

74 


auf  50  000  Franken  erhöhte  und,  da  er  inzwischen  wieder 
Frankreich  verlassen  hatte,  seine  in  Marseille  befindliche 
kostbare  Instrumentensammlung,  bestehend  aus  elf  Vio- 
linen (darunter  sieben  Stradivarius  und  zwei  Amati),  einer 
Viola  und  vier  Violincelli  (zwei  Stradivarius  und  eine  Guar- 
nerius),  einstweilen  pfändete.  Es  blieb  Paganini,  der 
weidlich  auf  die  „ladri  mascalgoni  di  Parigini"  (Diebe  und 
Stra|enräuber  in  Paris)  schimpfte,  nichts  übrig,  als  zu 
zahlen. 

Peinlicher  als  diese  Einbuße  an  Geld  war  es,  daß  der 
Name  Paganini  Jahre  hindurch  im  Zusammenhang  mit  den 
bei  diesen  Prozessen  aufgedeckten  schmufeigen  Geldge- 
schichten durch  alle  Zeitungen  geschleift  wurde,  und  daß 
hierbei  naturgemäß  nie  vom  Künstler  die  Rede  war, 
sondern  immer  nur  vom  Geschäftsmann.  Zum  Über- 
fluß gab  es  zur  selben  Zeit  noch  einen  zweiten  kleinen 
Paganini-Skandal  in  Paris,  bei  dem  auch  das  Geld  das 
Streitobjekt  abgab.  Der  Künstler  war,  als  er  aus  Parma 
nach  Paris  geeilt  war,  bei  einem  Freunde,  Douglas  Loveday, 
abgestiegen  und  hatte  drei  Monate  lang  dessen  Gast- 
freundschaft in  Anspruch  genommen.  Hier  traf  er  häufig 
mit  einem  Bekannten  des  Hausherrn,  der  Arzt  war,  zusam- 
men und  nahm  wiederholt  dessen  Dienste  in  Anspruch.  Als 
dieser  vor  der  Abreise  für  seine  Konsultationen  eine  Rech- 
nung über  110  Frcs.  übersandte,  war  Paganini  sehr  unge- 
halten und  beguemte  sich  erst  nach  mehrfacher  Interven- 
tion seines  Gastgebers  zur  Zahlung.  Er  behauptete,  Love- 
day habe  ihm,  nur  um  seinem  Freunde  eine  Einnahme  zu 
verschaffen,  listig  diesen  Arzt  aufgedrängt,  der  ganz  un- 
tauglich sei  und  sich  unter  dem  Deckmantel  einer  harm- 
losen Konversation  an  ihn  herangemacht  habe,  um  das 
Gespräch  dann  als  Konsultation  zu  zehn  Franken  zu  be- 

75 


rechnen.  Um  sich  für  die  ihm  verursachten  Unkosten  zu 
rächen,  sandte  Paganini  wenige  Tage,  nachdem  er  sein 
Haus  verlassen  und  in  das  damals  sehr  beliebte  Sana- 
torium Neothermes  übergesiedelt  war,  an  Loveday  folgen- 
des Schreiben: 

„Paris,  16.  Juni  1838. 
Ich  sehe  mich  genötigt,  Ihnen  mein  Erstaunen  da- 
rüber   auszudrücken,    wie    schlecht  Ihr  Gedächtnis    ist, 
wenn  es  sich  darum  handelt,  Ihre  Schuld  gegen  mich  ab- 
zutragen.    Diese    Unterlassungssünde    Ihrerseits    zwingt 
mich,    Ihre  Erinnerung  wachzurufen  an  Dinge,    die  Sie 
wohl  schwerlich  vergessen  haben  dürften.    Ich  übersende 
daher  meine  kleine  Forderung  mit  der  Bitte,  sie  bald- 
möglichst regeln  zu  wollen: 
Für  zwölf   Stunden,  die  ich   Ihrer   Fräulein 
Tochter    gab,    um  ihr  den  musikalischen 
Ausdruck  und  den  Gehalt  der  Noten,  die 
sie  in  meiner  Gegenwart  spielte,  klar  zu 

machen 2  400  Fr. 

Für  eigene  Musikvorträge,  wie  ich  sie  bei 
verschiedenen  Gelegenheiten  achtmal  in 
Ihrem  Hause  zum  Besten  gab    ....  24000  Fr. 

Insgesamt:  26  400  Fr. 
Ich  füge  dabei  dieser  Rechnung  n  i  ch  t  an  all'  die 
Stunden,  die  ich  m  ü  n  d  1  i  ch  Ihrer  Fräulein  Tochter  bei 
Tisch  gab,  wodurch  ich  meinerseits  alles  bis  auf  den 
lefeten  Heller  bezahlte,  da  ich  ihr  die  viele  Mühe  zum 
Geschenk  machen  will,  die  ich  mir  bei  diesen  Gelegen- 
heiten gab,  in  dem  Streben,  ihr  einen  wirklichen  Begriff 
der  musikalischen  Kunst  zu  geben,  wünschend,  sie  möge 
ihn  erfassen  und  daraus  lernen.    Ich  will  Sie  auch  mit 

76 


keinem  Wort  darauf  hinweisen,  da§  es  nur  g  e  r  e  ch  t 
ist,  Leute  für  ihre  Dienste  und  Bemühungen  zu  entschä- 
digen, zumal  Sie  ja  kürzlich  bei  der  Angelegenheit  des 
Arztes  nicht  versäumten,  mir  über  diesen  Punkt  Ihre 
eigene  Meinung  kundzulun,  nach  der  ich  zur  Zahlung 
von  110  Franken  verpflichtet  war  für  —  zum  Glück  für 
meine  Gesundheit  nur  vereinzelte  —  Ratschläge,  die  ich 
in  Ihrem  Hause  ganz  nebenbei  erhielt.  Sie  fühlen  sicher, 
mein  Herr,  da£  ein  zu  gewaltiger  Unterschied  besteht 
zwischen  diesen  sogenannten  Besuchen  des  Arztes  und 
meinen  Stunden,  ja  noch  mehr  meinen  Vorträgen,  —  um 
nicht  einzusehen,  dafj  ich  im  Verhältnis  noch  weit  be- 
scheidener in  meinen  Forderungen  bin,  als  er  es  in  den 
seinigen  war. 

Ich  ersuche  Sie  daher,  sich  dieser  Schuld  gegen  mich 
alsbald  zu  entledigen,  und  füge  zur  Vorsicht  gleich  bei, 
da{3  ich  andernfalls  gewig  nicht  unterlassen  werde,  dem 
Beispiel  zu  folgen,  das  mir  andere  gegeben  haben,  in 
der  Überzeugung,  dag  mir  mindestens  das  gleiche  Recht 
zusteht.    Ich  grü&e  Sie  achtungsvollst  und  habe  die  Ehre 

Nicolo  Paganini." 

Doch  diesmal  war  er  an  den  Unrechten  gekommen. 
Loveday  stellte  für  seine  dreimonatliche  Gastfreundschaft 
und  die  Klavierstunden,  die  seine  Tochter  täglich  Paga- 
ninis  dreizehnjährigem  Söhnchen  erteilt,  eine  Gegenforde- 
rung von  37  800  Franken  und  sehte  Paganini  durch  Be- 
kanntgabe seines  Briefes  dem  Spott  der  Pariser  aus. 
Auch  Paganinis  öffentliche  Erwiderung,  daS  das  Ganze 
nur  ein  Scherz  gewesen  sei,  konnte  den  üblen  Eindruck, 
den  auch  diese  Geldgeschichte  bei  der  Mehrzahl  der  Leser 
hervorgerufen  hatte,  nicht  verwischen. 

77 


Um  so  überraschender  kam  für  jedermann  eine  an- 
dere Kunde,  die  wie  ein  Lauffeuer  Paris  durcheilte  und 
überall  freudigen  Widerhall  fand,  wenn  die  Urteile  über 
das  Motiv  zur  Tat  auch  wesentlich  auseinandergingen. 
Nach  dem  rettungslosen  Durchfall  seines  „Benvenuto 
Cellini"  an  der  gro|en  Oper  war  Hector  B  e  r  1  i  o  z  zu- 
sammengebrochen. Der  aufreibende  Kampf  um  den  Erfolg, 
der  mit  allen  Künsten  der  Reklame  immer  wieder  aufge- 
nommene Sturm  auf  das  Pariser  Publikum  war  von  neuem 
gescheitert,  und  Berlioz  war  drauf  und  dran,  die  Flinte  ins 
Korn  zu  werfen,  zumal  seine  Geldmittel  völlig  erschöpft 
waren.  Da  geschah  ein  Wunder.  Um  ihn  zu  ermutigen, 
haften  seine  Freunde  zwei  Konzerte  arrangiert,  in  denen 
er  mehrere  seiner  Werke  dirigieren  sollte.  Zum  ersten  war 
er  garnicht  erschienen,  am  zweiten  Abend  jedoch  fand  er 
sich  im  Orchester  ein.  Von  den  denkwürdigen  Vorgängen 
dieses  Tages  entwirft  Janin  folgendes  anschauliche  Bild: 
„Diesmal  war  Berlioz  an  seinem  gewohnten  Posten  und 
führte  das  Orchester  selbst  an;  doch  man  brauchte  ihn  nur 
anzusehen,  um  sofort  seine  verzagte  Mutlosigkeit  zu  er- 
kennen. Das  war  nicht  mehr  jener  kühne  Himmelsstürmer, 
der  von  seiner  Estrade  aus  beim  Getöse  der  Fanfaren  die 
Zukunft  zu  erobern  willens  war,  sondern  ein  Besiegter. 
Doch  allmählich,  beim  Anhören  der  „Phantastigue",  jenes 
erschütternden  Werkes,  in  der  er  all  seine  Freuden  und 
Schmerzen  geborgen,  kehrte  ihm  der  Lebensmut  zurück, 
seine  Augen  füllten  sich  mit  Tränen,  sein  Herz  schlug 
höher,  und  die  Zuhörer,  gleich  ihm  ergriffen,  spornten  seine 
Kraft  immer  stärker  an.  Doch  dies  alles  trat  augenblick- 
lich zurück  vor  einer  überraschenden  Erscheinung:  in  einer 
Ecke  des  düsteren  Saales  sah  er  einen  schwarzhaarigen, 
allgemein  als  herzlos  verschrieenen  Mann,  der  zu  weinen 

78 


schien.  Wahrhaftig,  er  hatte  dicke  Tränen  in  den  Augen, 
sein  eisiges,  italienisches  Lächeln  war  verschwunden;  es 
war  in  der  Tat  Paganini,  der  hier  seinen  Gefühlen  freien 
Lauf  lie£-  Dieser  Paganini  ist  ein  seltsamer  Mensch,  er 
ist  das  unlösbarste  Rätsel,  das  sich  jemals  vor  einem  Ver- 
gnügungspublikum hat  blicken  lassen.  Er  hat  eigentlich 
nichts  Menschliches  an  sich.  Sein  langes,  knochiges  und 
unordentlich  mit  schwarzen  Haaren  umrahmtes  Gesicht 
kann  kaum  das  Feuer  bergen,  das  oft  aus  seinen  mürri- 
schen Blicken  zuckt,  denen  kein  Mensch  standzuhalten 
vermag.  Man  wei§,  wenn  man  ihn  sieht,  wirklich  nicht, 
ob  das  nicht  ein  vom  Tode  Auferstandener  ist,  so  sehr 
gleicht  er  Rembrandts  vom  Tode  erwecktem  Lazarus.  Die 
Arme  hängen  lang  zur  Erde  herab,  und  wenn  man  seine 
beiden  Knochenhände  mit  ihren  stahlharten  Sehnen  sieht, 
so  kann  man  ahnen,  durch  welche  aufreibenden  Kämpfe 
dieser  Mann  erst  sich  seine  Geige  zum  Sklaven  hat  machen 
können.  Mir  war  Paganini  immer  unheimlich,  ob  er  mit 
seinem  verlegenen,  eisigen  Lächeln  das  Publikum  grü£le, 
oder  ob  er  in  fantastischer  Laune  drei  Saiten  seiner  Violine 
zum  Zerspringen  brachte,  oder  ob  er  sich  frei  und  stolz 
seiner  plöfelich  erwachten  Inspiration  überlief,  die  uns  ver- 
stummen machte  und  entrückte.  Ich  sah  ihn  bei  den  ver- 
schiedensten Gelegenheiten,  so  als  er  an  einem  herrlichen 
Frühlingsabend  „Moses'  Gebet"  sang,  wie  es  nur  die  Hei- 
lige Cäcilie  in  Mozarts  Paradies  singen  könnte,  ich  sah 
ihn  in  jenen  furchtbaren  Wintertagen,  als  er  inmitten  der 
Cholera,  ernster  und  unheimlicher  als  je,  den  Bogen  in  der 
Hand,  erschien,  und  sich  ein  beklemmendes  Schweigen  auf 
eines  jeden  Brust  legte  bei  seinem  Anblick,  der  allen  ein 
Vorbote  des  Todes  schien.  Nichts  hat  je  solchen  Effekt 
hervorgebracht,  wie  einzig  das  Erscheinen  dieses  schwar- 

79 


zen  Phantoms  aus  Genieland.  Er  besafe  dazu  alle  Eigen- 
schaften eines  Phantoms.  Er  tauchte  plöfelich  auf,  eben- 
soschnell war  er  verschwunden;  ausgelassenste  Freude 
schlug  bei  ihm  plöfelich  in  schmerzlichste  Trauer  um.  Er 
irrte  von  einem  Ende  Europas  zum  andern,  und  wie  sein 
Schatten  folgte  ihm  ein  Schwall  mystischer  Gerüchte  nach. 
Er  war  das  Abbild  des  ewigen  luden,  wie  ihn  uns  Lewis 
dargestellt  hat,  mit  einem  leuchtenden  Feuerkreuz  zwischen 
den  schwarzen  Augenbrauen.  So  zog  er  durch  die  Welt 
und  hob  goldene  Schäle,  und  die  dichteste  Menge  gab  ihm 
bereitwilligst  den  Weg  frei.  Von  den  andern  Sterblichen 
war  er  durch  eine  unsichtbare  Kluft  getrennt,  die  niemand 
zu  überspringen  gewagt.  Diesen  Menschen  —  diesen  wan- 
delnden Schatten  entdeckte  nun  Berlioz  in  seinem  Konzert, 
wie  er  in  tiefster  Ergriffenheit  den  Schicksalen  seines 
„Harold"  Beifall  spendete.  Als  das  Stück  beendet,  der 
lefete  Seufzer  des  Orchesters  verhallt  war,  näherte  sich 
Paganini  unerwartet  Berlioz  und  lie&  sich  in  Gegenwart 
aller  vor  ihm  auf  die  Kniee  fallen.  Sprechen  kann  er  ja 
nicht  mehr,  seine  Stimme  ist  bereits  erloschen,  aber  nicht 
sein  Enthusiasmus.  Und  dieser  hat  sich  wohl  nie  elemen- 
tarer geäu&ert.  Und  Berlioz?  Er  blickte  verwirrt  um  sich, 
als  ob  ihn  ein  lügenhaftes  Spiel  umgaukelte.  Alles  schwand 
vor  seinen  Augen,  er  sah  nur  immer  Paganini  zu  seinen 
Fü&en  —  er  war  erschüttert!  Zum  erstenmal  haben  wir  be- 
griffen, daf;  Paganini  in  der  Tat  ein  Mensch  wie  andere 
ist,  da&  ihm  wirklich  ein  warmes  Herz  im  Busen  schlägt, 
da£  seine  Augen  weinen,  seine  Seele  fühlen  kann,  und 
dafe  also  an  dem  Talent  dieses  Sonderlings  nichts  über- 
natürlich ist  als  eben  sein  Talent  selbst.  Von  dieser  Stunde 
an  war  Berlioz  gerettet.  Die  Hoffnung  kehrte  ihm  wieder 
und  damit  das  Selbstvertrauen  in  seinen  Genius.    Wie  ein 

80 


Triumphator  betrat  er  seine  Schwelle,  die  er  vor  wenig 
Stunden  als  Verzweifelter  verlassen!" 

Und  hier  wartete  seiner  ein  noch  größeres  Wunder. 
Am  andern  Morgen  überbrachte  ihm  der  kleine  Achille 
einen  Brief  seines  Vaters.  Berlioz  öffnete  und  las:  „Teurer 
Freund!  Nach  Beethovens  Tod  konnte  nur  Berlioz  ihn 
wieder  erstehen  lassen,  und  ich,  der  ich  Zeuge  Eurer  herr- 
lichen Werke,  die  eines  Genies  wie  des  Eurigen  würdig 
sind,  gewesen,  halte  es  für  meine  Pflicht,  Euch  als  Ehren- 
gabe 20  000  Franken  anzubieten  mit  der  Bitte,  sie  nicht 
abzuweisen."  Er  glaubte  zu  träumen.  Doch  nein,  da 
stand  es  wirklich.  20  000  Franken!  Noch  gestern  hatte  er 
nicht  gewagt,  daran  zu  denken,  wovon  er  seinen  Lebens- 
unterhalt bestreiten  sollte.  Nur  journalistische  Frohnarbeit 
um  des  Brotes  willen  stand  ihm  bevor,  sein  Genius  mu&te 
zur  Untätigkeit  verdammt  bleiben.  Und  heute?  Jefet  war  er 
reich,  die  Lebenssorge  gebannt,  und  er  konnte  —  er 
durfte  schaffen!  In  tiefster  Ergriffenheit  dankte  er  sei- 
nem Retter:  „O  würdiger  und  großer  Künstler,  wie  soll  ich 
meinen  Dank  in  Worte  fassen!!  Ich  bin  nicht  reich,  aber 
glauben  Sie  mir,  die  Anerkennung  durch  ein  Genie  wie 
das  Eurige  ist  mir  tausendmal  teurer  als  die  königliche 
Gro|mut  Ihres  Geschenkes.  Die  Worte  fehlen  mir,  ich 
werde  zu  Ihnen  eilen,  sobald  ich  wieder  das  Bett  ver- 
lassen darf,  das  ich  heute  noch  hüten  mufe." 

Sein  erster  Ausgang  galt  natürlich  Paganini.  „Ich 
traf  ihn  allein  in  einem  groBen  Saal  der  Neothermes.  Du 
weifet,  da£  er  seit  ungefähr  Jahresfrist  vollständig  die 
Stimme  verloren  hat  und  dafe  man  ihn  ohne  die  Hilfe 
seines  Sohnes  kaum  verstehen  kann.  Als  er  mich  sah, 
stürzten  ihm  Tränen  in  die  Augen,  und  ich  hielt  sie  nur 
krampfhaft  zurück.    Ja,  er  hat  geweint,  dieser  wilde  Men- 

6     Kapp,    Paganini.  ö  I 


schenfresser,  dieser  Frauenmörder,  dieser  freigelassene 
Galeerensträfling,  und  wie  man  ihn  sonst  noch  zu  nennen 
beliebt,  er  vergoß  hei|e  Tränen,  als  er  mich  umarmte: 
„Sprechen  Sie  nicht  davon,"  sagte  er,  „ich  verdiene  keinen 
Dank.  Es  war  die  aufrichtigste  Freude  und  tiefste  Genug- 
tuung meines  ganzen  Lebens.  Sie  haben  mich  ergriffen, 
wie  ich  es  nie  geahnt,  Sie  haben  die  gewaltige  Kunst  Beet- 
hovens fortgeführt."  Er  trocknete  sich  die  Augen,  schlug 
mit  einem  seltsamen  Auflachen  auf  den  Tisch  und  begann 
eifrig  zu  sprechen.  Doch  ich  konnte  ihn  nicht  mehr  ver- 
stehen. Da  rief  er  seinen  Sohn  zu  Hilfe  und  mit  Unter- 
stübung des  kleinen  Achille  hörte  ich  ihn  sagen:  „Ach  ich 
bin  glücklich,  ich  bin  toll  vor  Freude,  wenn  ich  denke,  da£ 
dieses  ganze  Geschmei|,  das  gegen  Sie  schreibt  und 
schimpft,  jelst  nicht  mehr  so  kühn  wie  vorher  sein  wird. 
Denn  man  kann  nicht  sagen,  da&  ich  nichts  versiehe  und 
man  weil,  da&  ich  nicht  leicht  zu  begeistern  bin."  „Ganz 
Paris  spricht  nur  von  diesem  Vorfall,"  erzählt  Berlioz  in 
dem  Brief  an  seine  Schwester  weiter,  „denn  der  arme  Mann 
war  seines  Geizes  wegen  ebenso  berühmt  wie  seines  Ta- 
lents wegen.  Jeder  sagte  mir:  „Das  ist  ein  Wunder!  Das 
ist  der  unerhörteste  Triumph,  den  die  Kunst  jemals  davon- 
getragen, es  ist  fast  unglaublich!"  —  Viele  wollen  es  auch 
nicht  glauben.  Sie  können  eben  einen  Künstler  wie  ihn 
nicht  begreifen.  Paganini  besiht  eine  gewaltige  Gering- 
schäfeung  für  die  materiellen  Bedürfnisse  und  Alltagsge- 
nüsse des  Lebens  und  bedauert  infolgedessen  jede  auch 
noch  so  kleine  Ausgabe,  die  er  dafür  machen  mu&;  aber 
in  Kunstsachen  ist  er  edler  und  gro&denkender  wie  jeder 
andere.     Davon  gab  er  jefet  den  Beweis." 

Die  Pariser  waren  grö&tenteils  nicht  so  leicht  zu  be- 
kehren, wie  der  beglückte  Berlioz:  die  Gerüchte,  da&  die- 

82 


ser  ganze  Edelmut  nur  ein  gut  inszenierter  Theatercoup  sei, 
wollten  nicht  verstummen.  Die  Einen  wollten  wissen,  da& 
gerade  Janin,  der  sich  jefet  im  Lob  des  vor  wenigen  Jahren 
durch  seine  gehässigen  Presseangriffe  in  Paris  fast  unmög- 
lich gemachten  Paganini  gar  nicht  genug  tun  konnte,  ihn 
zu  diesem  Geschenk  für  seinen  Busenfreund  Berlioz  ge- 
zwungen habe,  indem  er  ihm  drohte,  ihn  nach  den  Casino- 
und  Loveday-Skandalen  jefet  in  Paris  für  alle  Zeiten  abzu- 
tun,  wenn  er  nicht  durch  ein  solches  Sühneopfer  die  öffent- 
liche Meinung  für  sich  zurückzugewinnen  trachte.  Andere 
wiederum  behaupteten,  daß;  reiche  Gönner  Berlioz'  das 
Geld  deponiert  und  nur  Paganini  vorgeschoben  hätten, 
um  das  künstlerische  Ansehen  des  Komponisten  Berlioz 
durch  eine  solch  aufsehenerregende  öffentliche  Partei- 
nahme eines  allgemein  anerkannten  Fachmannes  beim 
großen  Publikum  zu  festigen.  Wie  dem  auch  sei,  es  war 
eine  gute  Tat,  die  kostbare  Frucht  getragen  hat.  Berlioz 
schuf  in  der  ihm  durch  das  Geschenk  ermöglichten  Arbeits- 
ruhe seine  gro&e  dramatische  Symphonie  „Romeo  und 
Julie",  und  widmete  das  Werk  seinem  Wohltäter  Paganini. 
Dem  sich  an  diesen  Vorfall  anknüpfenden  Gerede  trat  er 
Zeit  seines  Lebens  energisch  entgegen  und  konnte  das  auch 
mit  gutem  Gewissen,  da  e  r ,  selbst  wenn  es  auf  Wahrheit 
beruhte,  davon  wohl  schwerlich  unterrichtet  gewesen  wäre. 
Die  Paganini-Legenden  andererseits  waren  wieder  um  eine 
zugkräftige  Nummer  vermehrt.  Was  der  arme  Mann  auch 
sein  Leben  lang  beginnen  mochte,  sofort  bemächtigte  sich 
das  Gerücht  seiner  Tat  und  trug  die  Kunde  davon  in  mehr 
oder  minder  verzerrter  Frafee  in  alle  Winde.  Das  nufelose 
Beginnen,  sich  dagegen  zur  Wehr  zu  sehen,  eine  Arbeit,  an 
der  selbst  Herkules  versagt  hätte,  hatte  er  längst  aufge- 
geben. 

6*  83 


Auch  diesmal  ließ  er  sich  die  Pariser  ruhig  über  des 
Wunders  Lösung  weiter  die  Köpfe  zerbrechen,  und  begab 
sich  dem  Rat  der  Ärzte  folgend  nach  dem  Süden,  in  der 
Hoffnung,  hier  Linderung  von  seinen  immer  quälender 
werdenden  Leiden  zu  finden.  Längere  Zeit  verweilte  er  in 
Marseille,  besuchte  mehrere  Schwefelbäder,  griff  immer  zu 
neuen  Arzneien  und  Geheimmitteln,  doch  alles  vergebens! 
Der  Tod  saß  ihm  im  Nacken.  Es  gab  kein  Entrinnen  mehr. 
Die  Unruhe  trieb  ihn  von  Ort  zu  Ort,  er  kehrte  nach  Genua 
zurück,  hoffte  dann  wieder  in  Villa  Gajone  die  Rettung  zu 
finden,  und  landete  schließlich  in  Nizza,  auf  dessen  mildes 
Klima  seine  lefete  Hoffnung  sich  gründete.  Wohin  er  auch 
irrte,  immer  folgte  dicht  hinter  ihm  der  Unerbittliche,  der 
seinen  Tribut  einzukassieren  kam,  dessen  dürre,  leben- 
erstarrende Krallenhand  sich  immer  unentrinnbarer  nach 
ihm  ausstreckte.  Seine  Leiden  wurden  mit  jedem  Tag  uner- 
träglicher. „Ich  fühle  mich  hier  noch  leidender,"  klagt  er 
aus  Nizza  seiner  Schwester,  die  ihm  einen  neuen  Balsam 
gesandt  hat,  „aber  trofedem  habe  ich  beschlossen,  einst- 
weilen hier  zu  bleiben.  Später  will  ich  nach  Toskana 
gehen,  um  dort  unter  dem  azurblauen  Himmel  meine  lebte 
Stunde  zu  erwarten  und  gern  will  ich  sterben,  darf  ich  zu- 
vor noch  die  Luft  eines  Dante  und  Petrarca  atmen."  Ein 
neuer  schwerer  Anfall  zwang  ihn,  dauernd  das  Bett  zu 
hüten.  Er  litt  unsagbar.  Die  Stimme  war  jefet  völlig  ver- 
nichtet, auch  seinem  Sohn  konnte  er  nur  mit  zittriger  Hand 
seine  Wünsche  auf  kleine  Zettel  krifeeln,  das  Schlucken 
war  so  erschwert,  daß  er  sich  oft  stundenlang  quälte,  den 
kleinsten  Bissen  herunterzuwürgen.  Endlich  nahte  ihm  der 
Erlöser.  Von  heftigen  Brustkrämpfen  ermattet,  war  Paga- 
nini  eingeschlummert.  Plöfelich,  wie  aus  einer  Fiebervision 
aufgeschreckt,  richtete  er  sich  empor,  Angstschweiß  perlte 

84 


von  seiner  Stirn,  sein  irrend  suchendes  Auge  blieb  auf 
seiner  geliebten  Geige  haften,  die  stets  neben  seinem  Bette 
hing,  erleichtert  atmete  er  auf,  ein  freudiges  Lächeln  ver- 
klärte sein  Gesicht,  er  versuchte  den  Arm  zu  heben,  noch 
einmal  den  treuen  Genossen  seines  Lebens  zu  berühren,  da 
—  ein  schriller  Klang,  ein  schreckhaftes  Röcheln  —  eine 
Saite  war  gesprungen.    Paganini  war  tot. 


Selbst  der  Majestät  dieser  Stunde  gegenüber  ver- 
stummte das  Gerede  der  Welt  nicht.  Geheimnisvoll  und 
sagenumrauscht  wie  sein  Leben,  blieb  auch  sein  Sterben. 
Und  als  der  arme  Kranke,  der,  wie  alle  Schwindsüchtigen, 
die  Nähe  des  Todes  sich  nicht  eingestehen  wollte,  endlich 
von  seinem  Leiden  erlöst  ward,  ohne  die  Tröstungen  der 
Kirche  zuvor  empfangen  zu  haben,  da  reckte  sich  plöfelich 
jener  hämische  Doppelgänger,  den  törichter  Aberglaube, 
Freude  am  Klatsch,  Dummheit  oder  Bosheit  der  Menge, 
Zeit  seines  Lebens  Paganini  zugesellt,  zu  so  riesenhafter 
Grö&e  empor,  da£  der  Bischof  von  Nizza  sich  veranlagt 
sah,  diesem  offenkundigen  Sohn  der  Hölle  ein  Begräbnis 
in  geweihter  Erde  zu  verweigern.  Jeder  Einspruch  der 
Freunde  des  Toten  war  vergebens,  und  auch  das  Gericht 
bestätigte  die  Verfügung  des  Kirchenfürsten.  Der  Leich- 
nam wurde  daher  einbalsamiert  und  im  Sterbehaus  aufge- 
bahrt. Nun  wallfahrteten  die  Leute  aus  ganz  Oberitalien 
zum  Sarg  des  vergötterten  Künstlers,  das  Außergewöhn- 
liche des  Ereignisses  zeugte  in  der  an  sich  schon  über- 
holen Phantasie  des  Volkes  die  wildesten  Hirngespinste, 
und  die  Erregung  in  der  Stadt  wuchs  infolge  der  verbrei- 

85 


teten  und  geglaubten  Gerüchte  derart  an,  da&  die  Behörde 
die  Schließung  des  Sarges  erzwang.  In  einem  Gewölbe 
des  „Lazaret  de  Villefranche"  harrte  nun  der  Tote  seiner 
legten  Ruhestätte.  Inzwischen  waren  Achille  und  Freunde 
seines  Vaters  unablässig  bemüht,  das  unmögliche  Verbot 
des  Bischofs  zu  beseitigen.  Der  Papst  ordnete  schließlich 
eine  genaue  Untersuchung  darüber  an,  wie  sichPaganini  der 
Kirche  gegenüber  verhalten  habe,  ob  er  der  katholischen 
Gemeinde  würdig  zugezählt  werden  könne,  und  willigte  in 
eine  vorläufige  Beisefeung  in  dessen  Heimatstadt  Genua. 
Drei  Jahre  nach  dem  Tode  —  solang  hatten  sich  die  Ver- 
handlungen noch  hingezogen  —  wurde  endlich  der  Leich- 
Besifeung  Polevra  bestattet.  In  der  Kirche  des  Ritterordens 
nam  zu  Schiff  nach  Genua  überführt  und  auf  Paganinis 
vom  heiligen  Georg  zu  Parma,  dem  Paganini  angehört 
hatte,  wurde  zum  Gedächtnis  des  Verstorbenen  eine  wür- 
dige Leichenfeier  abgehalten.  Durch  mehrere  beträchtliche 
Stiftungen  zu  kirchlichen  Zwecken  erlangte  schließlich 
Achille  die  Genehmigung  des  Bischofs  von  Parma,  die 
Leiche  seines  Vaters  in  die  Heimat  einholen  und  auf  dem 
der  Villa  Gajone  benachbarten  Dorfkirchhof  in  geweihter 
Erde  beisefeen  zu  dürfen.  Doch  auch  hiermit  hatten  die 
Irrfahrten  dieses  Unglücklichen,  der  selbst  im  Tod  nicht 
Ruhe  finden  durfte,  noch  nicht  ihr  Ende  erreicht.  Dreißig 
Jahre  später,  nachdem  inzwischen  dieser  häßliche  Streit 
längst  verklungen,  wurde  das  Grab  des  gefeierten  Toten, 
zu  dem  alljährlich  Verehrer  seiner  Kunst  wallfahrteten,  von 
der  abgelegenen  und  schwer  auffindbaren  Stätte  nach  dem 
großen  allgemeinen  Friedhof  zu  Parma  verlegt  und  mit 
einem  prächtigen  Grabdenkmal  und  Paganinis  Büste  ge- 
schmückt. Als  jedoch  nach  zwanzig  Jahren  (1895)  die  Stadt 
Parma  ihren  Toten  einen  neuen  Begräbnisplaß  erschließen 

86 


mufjle,  störte  man  noch  einmal  den  Frieden  von  Paganinis 
Gruft  und  räumte  ihm  hier  ein  Ehrengrab  ein.  Jefet  endlich, 
ein  halbes  Jahrhundert  nach  seinem  Tode,  war  dieser  un- 
stäte  Erdenwanderer  zur  legten  Ruhe  eingegangen. 
Quiescat  in  pacel 


87 


VII. 


Biographische  Tabelle 


1784     18.  Februar 
1790 

1792 

1793 


1797 

1799      November 
1800-05 

1805  14.  September 


1807  15.  August 

1808  Sommer 


Nicolo  Paganini  in  Genua  geboren. 
P.  erlernt  das  Geigenspiel  bei  seinem 
Vater,  Servetto,  Costa. 
P.  komponiert  die  erste  Sonate.  (Ver- 
loren.) 

Sein  erstes  öffentliches  Auftreten  im 
Grand  Theatre  in  Genua. 
Schüler  von  Rolla,  Ghiretti  und  Paer 
in  Parma. 

Tournee  durch  die  Städte  der  Lom- 
bardei mit  seinem  Vater. 
Konzert  in  L  u  c  c  a  am  St.  Martinstag. 
Künstlerfahrten  und  Lebensgenüsse 
auf  eigene  Faust.  (?) 
Konzert  in  L  u  c  c  a.  Anstellung  als 
Kammervirtuose  und  Kapellmeister 
am  Hof  der  Fürstin  Marie  Elise 
Bacciochi. 

Erste  Vorführung  eines  Konzertstückes 
(„Napoleon")   auf   einer   Saite. 
Konzerte  in  Livorno,  Turin  u.  a. 


1809        Oktober 


1810/11 


1812 

1813 

Frühjahr 

29.  Oktober 

1814 

24.  März 

1815 

1816 

7.  März 

August 

Oktober 

1817 

Herbst 

1818 

April 

Dezember 

1819 

Sommer 

1820 

März 

Dezember 

1821 

Sommer 

1821/22    Winter 

1822 

März/April 

1823 

Januar 

1824 

März 

14.  u.  21.  Mai 

12.  Juni 

Übersiedlung  nach  Florenz,  da 
Marie  Elise  zur  Herzogin  von  Toskana 
ernannt. 

Konzerte  in  der  Lombardei  und  Ro- 
magna. 
Florenz  (?) 

Bruch    mit    der    Fürstin,    Flucht    nach 
Mailand.  Komponiert  „LeStreghe". 
Erstes  Auftreten   in  der   Scala,   dem 
noch  elf  weitere  Konzerte  folgen. 
Konzert  in  Mailand  mit  seiner  Schüle- 
rin   Catarina   Carcagno. 
Tournee   durch   Oberitalien   (Ancona). 
Wettstreit  mit  Lafont  in   Mailand. 
Parma  und  Ferrara. 
Venedig;  Begegnung  mit  Spohr. 
Rom.    Verkehr  mit  Rossini. 
Piacenza.     Freundschaft  mit  Lipinski. 
Carignano,  Turin,  Florenz. 
Neapel.     (Schwere   Erkrankung.) 
Konzerte  in  Mailand.    Leitet  Konzerte 
der  Musikvereinigung  „Gli  Orfei". 
Rom;   dirigiert  Rossinis  „Mathilde  di 
Sabran". 

Neapel  und  Sizilien. 
Parma. 

Rom,  Venedig,  Piacenza,   Mailand. 
Turin.    Tournee  durch  Oberitalien. 
Venedig.     Bekanntschaft  mit  A  n  t  o  - 
ni  a  B  i  an  ch  i. 
Konzerte  in  Genua. 
Mailand. 


89 


1824  30.  Juni  u.  7.  Juli  Genua. 

Herbst         Mailand,  Venedig. 

1825  Januar         Triest. 

1825  15.  April       Neapel,  dann  Sizilien. 

23.  Juli         Geburl    von    A  c  h  i  1 1  e    Paganini    in 
Palermo. 

1826  Sommer        Wiederbeginn    der    Konzerte:     Triest, 

Venedig,  Mailand. 

1827  Frühjahr        Rom    (5   Konzerte). 

25.  April       Papst  Leo  XII.  verleiht  Paganini  den 

Sporenorden. 
Herbst         Florenz.     Erkrankung,     beginnt    seine 
Kur  mit  Elixier  de  „Le  Roi". 
Bologna. 

Ankunft  in  Wien. 
Erstes  Konzert. 

Öffentliche  Erklärung  gegen  das  Ge- 
fängnis-Gerücht. 

Ernennung  zum  k.  k.  Kammervirtuosen. 
Benefizkonzert    für    die    Bianchi    im 
Kärntnertortheater. 
Verleihung  der  Salvatormedaille. 
20.  und  Abschiedskonzert  in  Wien. 
Auszahlung     der    Bianchi    nach    der 
Trennung. 
Konzert  in  Karlsbad.  —  Badekur.  — 

20.  Dezember  6  Konzerte  in  Prag.   —   Schwere  Er- 
krankung. 
1829      23.  Januar      Konzert  in  Dresden. 

12.  Februar     Leipzig   —  Konzert  kommt  nicht  zu- 
stande. 


1827/28 

Winter 

1828 

16.  März 

29.  März 

10.  April 

23.  Mai 

17.  Juni 

10.  Juli 

24.  Juli 

28.  Juli 

19.  August 

u 

,4.,  9.,  13.,  16 

90 


1829       4.  März 

13.  März 

6.  April 

29.  April 

13.  Mai 

23.  Mai 
19.  Juli 

24.  u.  28.  Juli 
August/Sepl. 


9.,  12.,  21.  Okt. 
14.  Okiober 
17. 

26. 
31. 
November 

9.,  12.  Novbr. 
17.-26.     „ 

28./30.      „ 
7.  Dezember 
18.  Dezember 

Dezember  bis 
Ende  April  1830 


Erstes  Konzert  in  Berlin. 
Zweites   Konzert   in   Berlin. 
Wohltätigkeitskonzert. 
Wohltäiigkeitskonzert  fürStadtDanzig. 
Zehntes  u.  Abschiedskonzert  in  Berlin. 
Ernennung   zum   „Kammermusikus". 

Erstes  Konzert  in  Warschau. 
Zehntes    Konzert    in    Warschau     und 
Abschiedsbankett. 

Konzerte  in  Breslau. 

Frankfurt  a.  Main  (6  Konzerte).    Von 

hier  aus  Konzerte  in  Darmstadt,  Mainz, 

Mannheim. 

Konzert  in  Leipzig. 

„  Halle. 

„  Magdeburg,    anschließend 
Halberstadt 

„  Dessau. 

„  Weimar. 
Konzerte  in  Erfurt,  Gotha,  Rudolstadt, 
Coburg,  Bamberg,  Regensburg. 

Nürnberg. 

München  (3  Konzerte)  und  bei  Hof  in 

Tegernsee. 

Augsburg. 

Stuttgart. 

Konzert  in  Frankfurt  a.  M.  (Museums- 

gesellschafts-Ehrenmitglied.) 

Aufenthalt    in  Frankfurt    (Erkrankung 
Achilles.  —  Guhr). 


91 


1830*) 


1831 


12.  Mai 

Coblenz. 

14.     „ 

Bonn. 

16. 

t 

Cöln. 

19. 

, 

Düsseldorf. 

20.,  22. 

* 

Elberfeld. 

25. 

> 

Cassel. 

28. 

» 

Görlingen. 

30. 

, 

Cassel. 

3.,  5.,  6.  Juni 

Hannover. 

8.    „ 

Celle. 

10.-23.    „ 

Hamburg   (Konzerte  am  12.,   16.,  19.). 

25.-30.    „ 

Bremen  (Konzerte  am  25.,  28.). 

Juli 

Braunschweig  (Verleihung  des  Baron- 

Titels).    Frankfurt  a.  Main. 

Juli/August 

Badekur  in  Ems. 

24.  August 

Ems. 

26.       „ 

Wiesbaden. 

8.  November 

Frankfurt  a.  Main. 

Herbst  und 

Ende  1830 

Baden-Baden    (Erholungsaufenthalt). 

14.-19.  Febr. 

Stra|burg  i.  E. 

24.  Feb 

mar 

Ankunft  in  P  a  r  i  s  (Hotel  des  Princes, 

9.  März 
13.      „ 


rue  Richelieu). 

Einnahme 
1 .  Konzert  im  Opernhaus    1 9  080  Frcs. 
2  15  771 


Übertrag    34  851  Frcs. 


*)  Die  bisher  unbekannten  genauen  Angaben  über  die  Konzert- 
reisen der  Jahre  1830 — 32  entstammen  den  von  Paganini  eigenhändig 
geführten  Kalenderbüchern,  die  sich  in  seinem  Nachlaß  befinden.  Von 
1Ö33,  einem  Jahr,  über  das  die  Quellen  überhaupt  sehr  spärlich  fliegen, 
fehlt  das  Buch  leider. 


92 


Übertrag     34  851  Frcs. 


1831 


20. 

März 

3. 

Konzert  imOpernhaus 

21895 

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23. 
27. 

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ff 

4. 
5. 

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99 

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20  929 
16014 

1. 

April 

6. 

99 

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14  436 

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3. 

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7. 

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14113 

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8. 

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8. 

19 

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16  063 

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15. 

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9. 

ff 

„     Theälre 
italien 

9  144 

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17. 

«i 

10. 

Wohltätigkeitskonzert 

für   die 

Armen 

6  105 

tj 

24. 

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11 

Abschie 

dskonzert 

11502 

>f 

Gesamteinnahme 
der  11  Konzerte  in  Paris  165  052  Frcs. 

28.  April       P.     verlädt      Paris      (Dankbrief      an 
Habenek). 
Anfang  Mai    Konzerte     in     Boulogne     s/m.     und 
Calais. 
28.  Mai        Geplantes    erstes  Konzert    in    Lon- 
don scheitert  an  den  Billettpreisen. 

Einnahme 
3.  Juni    1.  Konzert  in  London  (Theatre Royal)    792  Pfd. 


10.     „ 

2. 

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1  307 

rr 

13.     „ 

3. 

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954 

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16.     „ 

4. 

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981 

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22.     „ 

5.        „         „        „ 

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1463 

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27.     „ 

6. 

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1  104 

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30.     „ 

7. 

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801 

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4.  Juli 

8.        „         „        „ 

t 

455 

7» 

15.    „ 

9. 

7 

515 

»» 

Übertrag    8  372  Pfd. 


93 


Übertrag    8  372  Pfd. 
1831  22.  Juli  10.  Konzert  in  London  (Thealre  Royal)    395    „ 


25.  „11. 

343 

»» 

5.  Aug.  12. 

402 

>> 

11.   „  13.   „   „   „ 

287 

»» 

17.   „  14.   „    „   „ 

166 

tj 

20.   „  15. 

243 

tt 

1832 


Gesamteinnahme  aus 
den  15  Londoner  Konzerten  10  208  L. 
(ca.  260  000  Frcs.) 

Ende  Juli       Konzert  in  Norwich. 
6.  August      Konzert  in  Cheltenhan. 
30.        „  Konzert  in  Dublin. 

3.  September   Konzert    in    Dublin.      Tournee    durch 

Irland  (23  Konzerte). 
10.  Dezember   Konzert  in  Bristol. 

Tournee  durch  die  englischen  Provin- 
zen (49  Konzerte). 

Einnahme 

5.  März        Konzert  in  Winchester  160  Pfund. 

6.  „  Konzert  in  Southampton      126 
8.      „  Abreise  nach  Frankreich. 

Insgesamt  in  z/i  Jahren  auf  englischem 
Boden  132  Konzerte  gegeben. 

Einnahme  netto*) 
25.  März  Konzert  in  Paris  (Theätre  Italien)  4  484  Frcs. 
20.  April  „        „     „     (Opera)  für 

Cholerakranke        9  800     „ 


"Übertrag    1 4  284  Frcs. 


*)  D.  h.  9/s  der  Gesamteinnahmen. 


94 


Übertrag     14  284  Frcs. 


27.  April    \ 

(onzerf  in  Paris   (Opera) 

5  420 

jf 

4.  Mai 

»>             n         r>                  n 

6185 

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7.     „ 

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3  258 

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14.     „ 

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5  944 

t* 

19.     „ 

(Theätre  de  Versailles) 

3  000 

>t 

21.     „ 

in  Paris  (Opera) 

6  486 

ft 

25.     „ 

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6  295 

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1.  Juni 

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4  038 

„ 

18.    „ 

„  Boulogne  s/m 

3  000 

19 

Frühjahr        Gesamteinnahmen  in  den 

10  Konzerten  in  Paris/Boulogne  57  910 


Frcs. 


Einnahme 
6.  Juli     1 .  Konzert  in  London  (Theätre  Royal)     352  Pfd. 


10.     „ 

2. 

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291 

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13.     „ 

3. 

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4. 

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264 

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5. 

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6. 

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31.     „ 

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3.  Aug 

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14.     „ 

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143 

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15.     „ 

Konzer 

t  im 

Saal  des  Royal-Hotel 

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92 

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17.     „ 

Abs 

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onzert 

107 

ir 

Sommer  Gesamteinnahme  von 

12  Konzerten  in  London  2  419  L. 

(ca.  60  000  Frcs.) 


95 


1832 


21.  August 

Vertrag 

mit  der  Sängerin 

Constanza 

Pietralia 

für    den  Herbst. 

(Honorar 

50  Napoleons.) 

23. 

Konzert 

in  Canterbury- 

27. 

„  Brighton. 

30./31.     „ 

„  Southampton. 

4.  September 

„  Winchester. 

7. 

3.       „ 

„  Southampton. 

10./11.      „ 

„  Portsmouth. 

12./13.      „ 

„  Chichester. 

24. 

Abreise 

von  London  nach  Dover. 

27. 

Ankuntt 

in  Paris. 

Einnahme  netto 

13.  Oktober 

1.  Konzert  in  Rouen 

5  547  Frcs. 

15. 

2.        „ 

„  Rouen 

6  078      „ 

17. 

3. 

„  Rouen 

3  400      „ 

18. 

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„  Euven 

1  429      „ 

20. 

1.        „ 

„  Havre 

2  548      „ 

22. 

2. 

„  Havre 

1  890      „ 

23. 

Rückkehr  nach  Paris  (Rue  Honore  237). 

20.  Dezember  Umzug  in  das  Hotel  di  Malta. 

1833   Februar/März   Konzerte  in  Paris. 

Ende  März     Paganini  weigert  sich,  in  dem  Benefiz 
für  Mi&  Smithson  zu  spielen. 
Mai/Juli         Konzerte    in  London    und    den    eng- 
lischen Provinzen. 
6.  Mai         Konzert  für  die  „Societe  Musicale"  in 

London. 
8.  Juli  Konzert    für    die    „politischen  Flücht- 

linge" in  London. 
Herbst/Winter  In  Paris. 


96 


1834  20.  Februar    Abreise    nach   Belgien    (Amiens,  Lille, 

Valenciennes). 
15.  März       Mißerfolg  in  Brüssel. 
April/Juni       England  (6.  Mai  in  Liverpool). 
Ende  Juni      Boulogne-sur-mer    (Enlführungsge- 
schichle  der  Mi&  Watson). 
3.  Juli  Offener  Brief  an  die  Presse. 

10.    „  Zweiter   Verteidigungsversuch    in   der 

Presse. 
8.  September  Rückkehr  nach  Paris. 
15.  „  Erster  Angriff  Janins  im  „Journal  des 

Debats". 
22.  „  Zweiter   Angriff  Janins:   „Paganini   et 

les  Inondes  de  Sainf-Etienne". 

24.  „  Antwort  Paganinis. 

25.  „  Abreise  nach  Genua. 

Oktober       Übersiedlung    nach   Villa    Gajone    bei 
Parma. 
14.  November   Konzert  für  die  Armen  in  Piacenza. 
12.  Dezember  Hofkonzert  in  Parma. 

1835  16.  Mai        Genua  verleiht  ihm  die  gro&e  goldene 

Medaille. 
28.  Juli        Enthüllung  seiner  Büste  in  Genua. 
25.  Dezember  Ernennung  zum  Intendanten  des  her- 
zoglichen Theaters  in  Parma. 

1836  4.  Januar       Verleihung  des  Diploms  zum  Cavaliere 

des  Ordens  vom  Heiligen  Georg. 
15.  März       Ehrenmitglied  der  S.  Cecilia  in  Rom. 
17.  Dezember  Konzert  in  Nizza. 

1837  27.  April       Niederschrift  seines  Testaments. 

9.   Juni         Konzert  in  Turin. 
Juli  Eintreffen  in  Paris. 

7     Kapp,   Paganini.  97 


1837 

25.  November 

1838 

15.  März 

16.  Juni 

16.  Dezember 

18. 

1839 

Januar 

August 

Oktober 

Dezember 

1840 

27.  Mai 

1.  Juni 

1843 

August 

1845 

Mai 

1876 

1896 

August 

Eröffnung  des  Casino  Paganini. 
Verurteilung  Paganinis  zu  Gunsten  der 
Casino-Gesellschaft. 
Brief  an  Loveday. 
Paganini  im  Berlioz-Konzert. 
Schenkung    von    20  000    Franken    an 
Berlioz. 
Marseille. 

Schwefelbäder  in  Vernet-les-Bains. 
Genua— Gajone. 
Nizza. 

Tod  in  Nizza. 

Testamentseröffnung  (Achille  ist  Uni- 
versalerbe). 

Überführung  der  Leiche  nach  P  o  - 
levra,  einem  Landgut  Paganinis  bei 
Genua. 

Beisefeung  auf  der  Besüjung  Gajone 
bei  Parma. 

Überführung  auf  den  Friedhof  von 
Parma. 

Überführung  auf  den  neuen  Friedhof 
von  Parma  (Grabdenkmal). 


98 


BERICHTE 
UND  BETRACHTUNGEN 


Gerüchte  über  Paganini 

Aus  der  Flut  phantastischer,  größtenteils  natürlich  ganz 
unsinniger  Gerüchte,  die  überall,  wohin  Paganini 
seinen  Fuß  seßte,  unaustilgbar  hervorsprossen,  heben  sich 
namentlich  drei  ab,  die  mit  solcher  Hartnäckigkeit  auf- 
traten, daß  sich  der  Künstler  gezwungen  sah,  selbst  öffent- 
lich dazu  Stellung  zu  nehmen.  Eines  davon  können  wir 
heutzutage  allerdings  nur  noch  mit  ungläubigem  Lächeln 
als  Zeitkuriosum  registrieren,  und  es  erscheint  uns  moder- 
nen Menschen  kaum  faßbar,  daß  Paganini  genötigt  war, 
das  Gerede:  er  stamme  gar  nicht  von  Men- 
schen, sondern  sei  ein  Satanssproß,  durch 
ein  Zeugnis  seiner  leibhaftigen  Mutter  zu  widerlegen.  Doch 
dies  war  tatsächlich  der  Fall!  Als  während  seines  Aufent- 
halts in  Wien  die  Tollheit  der  abergläubischen  Menge  aufs 
Höchste  gestiegen  war,  ließ  Paganini  als  Beweis  für  das 
Vorhandensein  seiner  irdischen  Mutter  ein  Schreiben,  das 
er  gerade  von  ihr  aus  Genua  erhalten  hatte,  veröffent- 
lichen: 

„Teuerster  Sohn!  Endlich,  sieben  Monate,  nachdem 
ich  meinen  lefeten  Brief  an  Dich  nach  Mailand  abgesandt, 
wird  mir  die  Beruhigung,  von  Dir  durch  Vermittlung  des 
Herrn  Agnino  Nachricht,  datiert  vom  9.  dieses  Monats, 
zu  erhalten.    Zu  meiner  größten  Freude  ersehe  ich  da- 

101 


raus,  daß  es  mit  Deiner  Gesundheit  gut  geht;  noch  freu- 
diger überrascht  hat  mich  die  Mitteilung,  daß  Du  nach 
Deiner  Londoner  und  Pariser  Reise  wieder  nach  Genua 
zurückkehren  willst,  um  mich  zu  umarmen.  Ich  ver- 
spreche Dir,  alltäglich  zu  Gott  bitten  zu  wollen,  daß  er 
uns  beide  gesund  erhalten  möge,  damit  unser  Wunsch 
sich  erfüllen  kann.  —  Der  Traum  ist  Wahrheit  geworden, 
und  was  der  Himmel  mir  vorausgesagt  hat,  ist  einge- 
troffen. Dein  Name  fliegt  von  Mund  zu  Mund  und  die 
Kunst  hat  Dir  mit  Gottes  Beistand  ein  sorgenfreies  Le- 
ben ermöglicht.  Geliebt  und  geachtet  von  Deinen  Lands- 
leuten, pflege  in  meinen  und  den  Armen  Deiner  Freunde 
endlich  der  Ruhe,  die  Deine  Gesundheit  gebieterisch 
fordert.  —  Dein  Bild,  das  Deinem  Briefe  beilag,  machte 
mir  große  Freude,  die  näheren  Einzelheiten  Deiner  Tri- 
umphe las  ich  bereits  hier  in  den  Zeitungen,  und  Du 
wirst  begreifen,  wie  glücklich  solche  Nachrichten  eine 
Mutter  machen  müssen.  —  Mein  teurer  Sohn,  mein  sehn- 
lichster Wunsch  ist  stets,  recht  oft  von  Dir  Nachrichten 
zu  erhalten,  diese  Hoffnung  erhält  mich  am  Leben  und  gibt 
mir  Gewißheit,  Dich  eines  Tages  wieder  an  mein  Herz 
drücken  zu  dürfen.  Uns  allen  geht  es  gut,  und  im  Na- 
men Deiner  Verwandten  danke  ich  Dir  für  die  über- 
sandte Summe.  Tue  alles,  was  in  Deinen  Kräften  steht, 
um  Deinem  Namen  Unsterblichkeit  zu  erringen.  Hüte 
Dich  vor  dem  gesundheitsschädlichen  Klima  der  Groß- 
städte und  denke  stets  daran,  daß  Du  eine  Mutter  hast, 
die  Dich  von  Herzen  liebt,  die  nur  Deine  Gesundheit  und 
Dein  Glück  erfleht  und  ohne  Unterlaß  den  lieben  Gott 
darum  anruft.  Umarme  Deine  liebenswürdige  Beglei- 
terin in  meinem  Namen  und  küsse  den  kleinen  Achille 
von  mir.     Liebe  mich,  so  wie  Dich  herzlich  liebt  Deine 


102 


Dir  unabänderlich  treu  zugetane  Mutter  Teresa  Paganini. 

-  Genua,  21.  Juli  1828." 
Das  Verhältnis  des  Künstlers  zu  seiner  Mutter  war 
zeitlebens  ein  herzliches.  Solange  noch  der  Vater  am 
Leben  war,  herrschte  zwischen  Sohn  und  Elternhaus  aller- 
dings offene  Fehde,  da  der  Alte,  wütend,  da&  Nicolo  sei- 
nem Zwange  entschlüpft,  ihn  ständig  mit  Geldforderungen 
verfolgte,  und  dieser  gegen  den  hartherzigen  Peiniger 
seiner  Jugend  einen  instinktiven,  unauslöschlichen  Ha|  hegte. 
Nach  des  Vaters  Tod  jedoch  stand  der  Sohn  der  Mutter 
treulich  zur  Seite  und  unterstüfete  sie  bereitwillig  und  reich- 
lich mit  allem  Nötigen.  Zu  dem  ersehnten  Wiedersehen, 
von  dem  in  dem  oben  veröffentlichen  Brief  die  Rede  ist, 
sollte  es  nicht  mehr  kommen,  da  Paganini  wegen  der  un- 
erhörten Erfolge  seine  Heimkehr  nach  Italien  immer  aufs 
Neue  verschob  und  die  Mutter  während  seines  dritten  eng- 
lischen Aufenthaltes  im  Hause  ihrer  Tochter  Nicoletta,  bei 
der  sie  die  legten  Jahre  verbrachte,  starb.  Auf  die  Kunde 
ihres  Todes  schreibt  Paganini  an  seine  Schwester  aus 
Manchester  am  15.  Januar  1832:  „Ich  habe  bittere  Tränen 
vergossen  über  den  Verlust  unserer  geliebten  Mutter  und 
weine  noch  immer.  Aber  trösten  wir  uns  mit  der  Hoff- 
nung, sie  dank  ihrer  Gebete  zum  Heiland  im  Paradies 
wiederzusehen.  Was  ihre  zu  Euren  Gunsten  testamenta- 
risch ausgedrückten  Wünsche  betrifft,  so  werde  ich  sie 
achten  in  Anbetracht  der  guten  Pflege,  die  sie  bei  Euch 
genofj.  Beziehe  also  die  Pension,  die  sie  innehatte,  und 
was  ich  künftighin  für  die  Fortschritte  Deines  Sohnes, 
meines  Neffen,  tun  kann,  soll  geschehen.  Inzwischen  sei 
guten  Mutes  und  gib  Deinem  Manne  gute  Ratschläge." 
Dieser  Mann  war  ein  Taugenichts,  der  alles  Geld  ver- 
spielte, sodafe  Paganini  wiederholt  der  Schwester  aus  der 

103 


Not  helfen  mu&te.  Auch  seine  zweite  Schwester  Dominica 
erhielt  von  ihm  zu  mehreren  Malen  kleinere  Darlehen.  In 
seinem  Testament  setzte  Paganini  den  Schwestern  Legate 
von  75  000  und  50  000  Franken  aus,  deren  Nufenie&ung  nach 
ihrem  Tode  auf  ihre  Kinder  und  Kindeskinder  übergehen 
sollte.  Zum  Universalerben  seiner  Habe  und  seines  Ver- 
mögens, das  auf  etwa  21j2  Millionen  geschäht  war,  erklärte 
er  dagegen  seinen  als  legitim  anerkannten  Sohn  Achille, 
während  er  dessen  Mutter  den  lächerlich  kleinen  Betrag 
von  1200  Franken  als  jährliche  Pension  bestimmte.  Seine 
Lieblingsgeige,  eine  Joseph  Guarneri  (del  Gesu)  aus  dem 
Jahre  1741,  vermachte  er  seiner  Vaterstadt  Genua  mit  der 
Bestimmung,  sie  zu  seinem  ewigen  Gedächtnis  aufzube- 
wahren, da  er  nicht  wünschte,  da&  nach  ihm  je  ein  anderer 
darauf  spiele.  Wohl  aus  diesem  Grunde  fügte  er  auch 
seiner  Stiftung  den  zu  der  Geige  gehörigen  Bogen  nicht 
bei.  Diesen  hat  die  Stadt  Genua  erst  viele  Jahrzehnte 
später  bei  der  öffentlichen  Versteigerung  von  Paganinis 
Nachlaß  für  800  Franken  angekauft. 

Anordnungen  dieser  und  ähnlicher  Art  galten  mit 
Recht  als  kleinlich  und  gaben  häufig  Anlafj  zu  Erörterun- 
gen über  Paganinis  Geiz  und  Eigennufe.  Und  hier- 
mit wären  wir  bei  dem  zweiten  der  gegen  ihn  geschleuder- 
ten Verdikte  angelangt.  Dem  Künstlertum  Paganinis  fehlte 
fraglos  jene  höchste  ideale  Weihe,  für  die  Franz  Liszt,  hul- 
digend der  Erkenntnis:  „Genie  oblige",  später  so  kraftvoll 
eintrat.  Das  „um  der  Kunst  willen"  blieb  dem  Italiener  ein 
fremder  Begriff,  er  kannte  nur  den  persönlichen  Triumph, 
den  Erfolg  bei  der  Masse,  den  klingenden  Gewinn.  Pa- 
ganini ist  der  Urtypus  des  Nur-Virtuosen,  dem  die  Vir- 
tuosität nicht  Mittel,  sondern  Selbstzweck  ist,  des  wan- 
dernden Stars,  der  mit  allen  Künsten  einer  meisterhaft  be- 

104 


triebenen  Reklame  die  Menge  anlockte,  sie  durch  sein 
fabelhaftes  Können  und  seine  sagenumwobene  Erschei- 
nung hypnotisierte  und  in  kürzester  Zeit  unerhörte  Reich- 
tümer gewann.  Zu  wohltatigen  Zwecken  spielte  er,  wie 
wir  sahen,  nur  sehr  selten,  und  selbst  bei  diesen  wenigen 
Gelegenheiten  verfolgte  er  meist  einen  egoistischen  Ne- 
benzweck. Die  Not  anderer  kümmerte  ihn  kaum,  und 
wenn  sein  eigener  Vorteil  oder  Lebensgenuß  in  Frage 
stand,  war  er  von  rücksichtslosester  Strenge  und  Harther- 
zigkeit. Er  war  in  allem  ein  Sonderling,  der  troh  der  Flut 
der  sich  um  ihn  drängenden  Enthusiasten  im  Grunde  ein- 
sam durchs  Leben  schritt  und  kaum  einen  wahrhaften 
Freund  besaß.  Der  einzige  Mensch,  an  dem  er  aufrich- 
tigen, innerlichen  Anteil  nahm,  ja  für  den  er  eine  blind 
vergötternde  Zuneigung  hegte,  war  sein  Sohn  Achille. 
Ihn  hatte  er  stets  um  sich  und  bis  zu  seinem  Tode  — 
Achille  hatte  kaum  sein  fünfzehntes  Lebensjahr  vollendet  — 
trennte  er  sich  nur  zweimal  auf  wenige  Tage  von  ihm.  Ein- 
mal in  Frankfurt  a.  M.,  als  Achille  schwer  erkrankt  war  und 
den  Anstrengungen  einer  Konzertreise  noch  nicht  ausgeseßt 
werden  sollte,  ein  anderes  Mal  bei  einer  kürzeren  Tournee 
durch  die  englische  Provinz.  Ein  Brief  des  Vaters  aus 
diesen  Tagen  beleuchtet  am  anschaulichsten  das  herzliche 
Verhältnis,  das  zwischen  beiden  bestand.  „Diese  wenigen 
Tage,"  schreibt  er  aus  Liverpool  vom  6.  Mai  1834,  „die  ich 
von  Dir  fern  bin,  scheinen  mir  zehn  Jahre  zu  sein  —  der 
Himmel  weiß,  welche  Qualen  ich  litt,  da  ich  Dich  verlassen 
mußte!  Da  ich  aber  Deine  zarte  Konstitution  kenne,  habe 
ich  auf  das  Glück,  Dich  bei  dieser  unseligen  Reise  um  mich 
zu  haben,  verzichtet  und  Dich  in  London  zurückgelassen, 
umsomehr,  da  Du  Dich  in  so  guter  Gesellschaft  befindest, 
wie  der  Schwägerin  von  Watson  und  ihrem  Sohn  Wilhelm. 

105 


...  Es  vergeht  kein  Tag,  an  dem  ich  nicht  Deiner  gedenke; 
ich  spreche  dann  zu  Dir  und  küsse  Dich  in  Gedanken,  doch 
Sonntag  Abend  werde  ich  endlich  wieder  die  Freude 
haben,  Dich  wirklich  umarmen  zu  dürfen.  Ich  hoffe,  daß 
Deine  Führung  bis  dahin  musterhaft  ist,  und  daß  Du  auch 
aus  dem  Besuch  der  Schule  Vorteil  ziehen  mögest.  Es 
sehnt  sich  nach  dem  glücklichen  Augenblick,  Dich  in 
glühendster  Liebe  wieder  an  seine  Brust  drücken  zu  kön- 
nen, Dein  Papa  Paganini."  Achille  war  musikalisch  reich 
begabt;  doch  spielte  er  die  Violine  nur  zur  Unterhaltung. 
Nie  hat  er  sich  der  Kunst  ernstlich  zugewandt.  Auch  er 
war,  was  eigentlich  stubig  machen  muß,  nicht  in  das  „Ge- 
heimnis" seines  Vaters  eingeweiht. 

Wenn  Paganini,  wie  er  selbst  wiederholt  angedeutet 
hat,  wirklich  im  Besiß  eines  technischen  Geheimnisses  ge- 
wesen wäre,  das  jedem  Violinspieler  ganz  andere  Mög- 
lichkeilen auf  seinem  Instrument  erschließen  und  ihn  zur 
Bewältigung  aller  technischen  Schwierigkeiten  in  der 
Hälfte  der  Zeit  befähigen  sollte,  und  dies  unenthüllt  mit 
sich  ins  Grab  genommen  hätte,  nur  um  für  alle  Zeiten  un- 
erreicht dazustehen,  so  wäre  dies  eine  Tat  häßlichster 
Selbstsucht.  Daß  er  andererseits  zu  Lebzeiten  die  meisten 
seiner  Kompositionen  ängstlich  geheim  hielt,  und  troß 
glänzender  Angebote  sich  nicht  zur  Veröffentlichung  ent- 
schließen konnte,  war  lediglich  ein  eines  Künstlers  aller- 
dings unwürdiger  Geschäftskniff,  der  verhüten  sollte,  daß 
andere  außer  ihm  ähnliche  Kunststücke  auf  der  Geige  voll- 
führen könnten,  und  daß  die  Spannung  der  Hörer  durch 
vorherige  Kenntnis  der  Stücke  etwa  herabgemindert  und 
dadurch  seine   Konzerteinnahmen   geschädigt  würden. 

Je  größeren  Gewinn  Paganini  seine  Virtuosenfahrten 
eintrugen,   desto  schroffer  kam  seine  Freude   am  Besiß, 

106 


seine  selbst  in  kleinlichen  Dingen  übertriebene  Sparsam- 
keit zum  Durchbruch.  Da  er  selbst  für  Eleganz,  Luxus 
und  Behaglichkeiten  des  Lebens  gar  keinen  Sinn  hatte,  so 
war  ihm  jede  für  den  täglichen  Unterhalt  erforderliche 
Ausgabe  ein  Ärgernis,  und  den  Künstler  um  wenige  Sous 
feilschen  zu  sehen,  war  durchaus  nichts  Ungewöhnliches. 
Mit  Hoteliers,  Gastgebern,  Lieferanten  und  Bedienten  kam 
es  daher  nicht  selten  zu  Zwistigkeiten,  die  oft  sogar  erst 
vor  Gericht  einen  Ausgleich  fanden.  Fast  immer  war,  wie 
verschiedene  Dokumente  seines  Nachlasses  bezeugen,  e  r 
dabei  der  Leidtragende,  und  er  mu&te  sich  unter  vernehm- 
lichen Flüchen  über  die  „Ausbeutung  eines  wehrlosen  Aus- 
länders" zum  Zahlen  bequemen.  Fraglos  neigte  Paganini 
seiner  Naturanlage  nach  zum  Geiz,  doch  mochten  manche 
der  vielen  unliebsamen  Vorfälle,  die  sich  während  seiner 
abenteuerlichen  Reisen  durch  Europa  abspielten,  in  dem 
fremdländischen  Wesen,  den  ganz  anders  gearteten  An- 
sprüchen und  Lebensgewohnheiten  wurzeln  und  der  All- 
gemeinheit dadurch  in  falschem,  schlimmerem  Lichte  er- 
schienen sein.  Auch  darf  man  nie  vergessen,  wenn  man 
die  schroffe,  oft  brutale  Art  mancher  seiner  Handlungen 
tadelt,  da&  Paganini  dem  italienischen  Proletariat  ent- 
stammte, auch  nie  eine  richtige  Herzens-  oder  Geistes- 
bildung genossen  hat,  kurz,  in  allem  den  Emporkömm- 
ling aus  eigener  Kraft  verrät,  der  darauf  stolz  war. 

Am  wenigsten  glücklich  war  Paganini  mit  seinen  wie- 
derholten öffentlichen  Erklärungen  gegen  das  dritte,  ihn 
persönlich  am  unangenehmsten  berührende  Gerücht  seiner 
Gefangenschaft.  Konnte  zwar  auch  niemand  hierfür 
bestimmte  Tatsachen  vorbringen,  so  knüpfte  das  Gerede 
doch  immer  von  neuem  an  einen  Umstand  an,  der  aller- 
dings manchem  verdächtig  erscheinen  muBte,  und  den  auf- 

107 


zuhellen  einzig  Paganini  imstande  gewesen  wäre.  Er  zog 
es  aber  vor,  sieh  darüber  in  Schweigen  zu  hüllen  oder 
falsche  Angaben  zu  verbreiten,  soda|  er  selbst  es  war, 
der  dadurch  nur  noch  all  den  verschiedenen  Kombina- 
tionen Vorschub  leistete.  Wenn  man  die  Lebensgeschichte 
Paganinis  verfolgt,  mufc  es  sofort  auffallen,  da&  über  zwei 
verschiedenen  Perioden  seiner  Jugendjahre  ein  rätselhaf- 
tes Dunkel  lastet;  es  sind  die  Jahre  1800—05,  d.  h.  die 
Zeit  vor  der  Anstellung  in  Lucca,  und  die  Jahre  1811/12, 
d.  h.  die  Zeit  vor  dem  Bruch  mit  dem  Hof  von  Florenz.  Für 
eineGefangenschaftPaganinis  kommt  natürlich  nur  die  erste 
dieser  beiden  Lücken  in  seinem  Leben  in  Betracht.  Wo  er 
diese  sechs  Jahre,  die  mit  dem  Sprengen  der  väterlichen 
Bande  und  der  ungezügelten  Hingabe  an  die  Freuden  des 
Lebens  und  der  Liebe  beginnen  und  mit  seinem  Erscheinen 
am  Hof  zu  Lucca  enden,  verbracht  hat,  ist  völlig  unauf- 
geklärt. Als  Paganini,  nachdem  er  schon  1828  in  Wien 
ein  allgemein  gehaltenes  Dementi  der  Gefängnisgeschichte 
veröffentlicht  hatte,  sich  während  seines  Pariser  Aufent- 
haltes 1831  in  einem  tauf  Seite  55—59  dieses  Buches  in 
vollem  Wortlaut  wiedergegebenen)  offenen  Brief  an  Fetis 
unter  Aufzählung  näherer  Gegenbeweise  erneut  gegen 
dieses  Gerücht  verwahrt,  geht  er  unauffällig-schlau  über 
diese  ominösen  sechs  Jahre  hinweg,  indem  er  seine  An- 
stellung in  Lucca,  die  in  Wahrheit  vom  14.  September  1805 
bis  zum  Frühjahr  1813,  also  knapp  acht  Jahre,  währte, 
sich  über  s  e  ch  z  e  h  n  Jahre  erstrecken  lä|t,  sodaS  man 
aus  seinen  Angaben  leicht  folgern  kann,  es  könne  für  eine 
Gefangenschaft  gar  keine  Zeit  übrig  geblieben  sein. 
Mochte  er  auf  diese  Weise  das  gro&e  Publikum  vielleicht 
getäuscht  haben,  einen  Kenner  seiner  Lebensschicksale 
konnte  er  dadurch  nicht  überzeugen.    Ein  solcher  meldete 

108 


sich  denn  auch  einige  Tage  nach  der  Veröffentlichung  von 
Paganinis  Brief  in  der  Revue  musicale  zum  Worte.  Es 
war  der  aus  Richard  Wagners  Pariser  Notjahren  bekannt 
gewordene  Musikforscher  und  Bibliothekar  G.  E.  An- 
ders. In  einem  offenen  Brief  an  Paganini  vom  3.  Mai 
1831  in  der  Revue  weist  er  zunächst  nach,  da&  die  von  die- 
sem angegebenen  Daten  der  Wirklichkeit  nicht  entspre- 
chen, und  da&  bei  richtigen  Angaben  in  Paganinis  Dar- 
stellung eine  Lücke  klaffe.  Er  habe  den  Künstler  schon 
wiederholt  mündlich  ersucht,  ihm  den  Schleier,  der  über 
diesen  Jahren  lagere,  zu  lüften,  doch  habe  dieser  nie  dazu 
Zeit  gefunden.  Er  fordert  ihn  daher  jefet  öffentlich  auf, 
dies  zu  tun.  „Wünschen  Sie,"  hei&l  der  Schluß  der  sehr 
geschickt  und  überzeugend  abgefallen  Interpellation,  „daß 
diese  Gerüchte  verstummen,  und  daß  jeder  anständige 
Mensch  dies  Gerede  von  Ihrer  Gefangenschaft  als  elende 
Verleumdung  verabscheue,  so  wählen  Sie  das  leichteste 
und  wirksamste  Mittel:  erhellen  Sie  das  Dunkel  dieser 
Jahre  und  entziehen  Sie  dadurch  dem  Geschwäfe  jeden 
Boden!"  Paganini  zog  es  vor,  auf  diese  sehr  bestimmte 
öffentliche  Anfrage,  deren  Nichtbeachtung  eigentlich  nur  ein- 
deutig ausgelegt  werden  konnte,  die  Antwort  schuldig  zu 
bleiben!  Man  wird  daher  die  Annahme  nicht  von  der  Hand 
weisen  dürfen,  da§  dem  natürlich  später  mit  allerhand 
übertriebenen  Einzelheiten  ausgeschmückten  Märchen  von 
Paganinis  Gefangenschaft  ein  tatsächlicher  Vorfall  zu- 
grunde liegt,  den  der  Künstler  in  Dunkel  zu  hüllen  bestrebt 
war.  Näheres  hierüber  lä|t  sich  heutzutage  bei  der  Un- 
sicherheit der  nur  nach  sehr  langwierigen  Nachforschun- 
gen schwach  sickernden  italienischen  Quellen  kaum  mehr 
nachweisen. 


109 


Paganini  und  Berlioz 

Eine  der  interessantesten  und  zugleich  umstrittensten 
Episoden  in  Paganinis  Leben  ist  seine  Begegnung  mit 
Hektor  Berlioz  und  das  vielbesprochene  Geld-Geschenk 
von  20  000  Franken.  Die  Freunde  des  jungen  französi- 
schen Brausekopfes  liebten  es  von  je,  den  in  Paris  Wun- 
der wirkenden  Namen  des  gefeierten  Virtuosen  für  ihre 
Zwecke  durch  geschickte  Reklamekunststückchen  zu  ver- 
werten. So  hatte  schon  nach  dem  ersten,  mit  großem 
Trara  in  Szene  geseilten  Konzert  des  aus  Italien  zurück- 
gekehrten Berlioz  (Dezember  1832)  sein  Intimus  d'Ortigue 
den  staunenden  Parisern  verkündet:  „Nach  Schluß  der 
Aufführung  durcheilte  ein  sichtlich  ergriffener  Mensch  die 
Gänge  des  Conservatoire,  stürzte  in  das  Künstler- 
zimmer und  trug  nach  Berlioz,  den  er  nicht  kannte.  Er 
umarmte  ihn  und  sagte  mit  erhobener  Stimme:  ,Herr,  Sie 
beginnen  da,  wo  die  anderen  aufgehört  haben!'  Dieser 
Mann  war  Paganini."  Einige  Jahre  später  wurde  dieses 
Zitat  noch  gesteigert,  indem  statt  „die  anderen"  „Beet- 
hoven" genannt  wurde.  Da  sich  in  den  schriftlichen  Äuße- 
rungen des  sonst  so  mitteilsamen  Berlioz  aus  jenen  Tagen 
nirgends  eine  Erwähnung  dieses  immerhin  für  ihn  auler- 
gewöhnlichen  Vorfalls  findet,  darf  man  ihn  wohl  ins  Reich 
der  Fabel  verweisen. 

110 


Nicht  besser  steht  es  mit  der,  diesmal  allerdings  auch 
von  Berlioz  selbst  überlieferten  Propaganda  für  sein  sym- 
phonisches Werk  „Harold".  In  einer  ihrer  ersten  Nummern 
meldet  die  neubegründete,  Berlioz  nahestehende  Zeit- 
schrift „Gazette  musicale":  „Paganini,  dessen  Gesundheit 
sich  von  Tag  zu  Tag  bessert,  hat  soeben  von  Hektor  Ber- 
lioz eine  neue  Komposition  in  der  Art  der  „Symphonie 
Fantastique"  erbeten,  die  der  berühmte  Virtuose  auf  seiner 
englischen  Tournee  aufführen  will.  Dieses  Werk  soll  be- 
titelt sein:  ,Die  lebten  Augenblicke  der  Maria  Stuart,  eine 
dramatische  Phantasie  für  Orchester,  Chor  und  Bratschen- 
solo/ Paganini  wird  zum  erstenmal  in  der  Öffentlichkeit 
die  Bratschenpartie  ausführen."  Diese  Notiz  ging  durch 
alle  Zeitungen.  Berlioz  hat  später  in  seinen  Memoiren  diese 
Geschichte  noch  dramatisch  ausgeschmückt,  ohne  sie  da- 
durch glaubhafter  zu  machen.  Paganini  habe  ihn  besucht 
und  dabei  geäußert:  „Ich  besihe  eine  wundervolle  Bratsche 
von  Stradivarius,  aber  ich  kenne  bis  heute  keine  Musik 
dafür.  Ihnen  traue  ich  einzig  zu,  mir  ein  Solo  für  mein 
Instrument  zu  schreiben."  Später  habe  ihn  der  Künstler 
dann  wiederholt  aufgesucht  und  ungeduldig  das  inzwi- 
schen Komponierte  durchgesehen.  —  Man  kann  sich  des 
Gefühls  nicht  erwehren,  da&  bei  Berlioz  hier  der  Wunsch 
der  Vater  des  Gedankens  war.  Es  ist  wohl  möglich,  da£ 
er  sein  Werk  im  Hinblick  auf  Paganini  begann,  und  sich 
in  kühnen  Träumen  wiegte,  dieser  werde  das  Solo  über- 
nehmen und  ihm  dadurch  zum  Erfolg  verhelfen;  von 
Paganini  aber  ist  die  Anregung  bestimmt  n  i  ch  t  ausge- 
gangen. Die  ganze  Zeitungsgeschichte  war  nur  ein  Re- 
klamemanöver, ein  vorsichtiges  Sondieren  des  Terrains. 
Wenn  Paganini,  der  auch  auf  der  Violine  nur  eigene 
Kompositionen  spielte,  wirklich,  was  überdies  sehr  zwei- 

111 


felhaft  erscheinen  mu|,  den  Wunsch  gehegt  haben  sollte, 
sich  vor  der  Öffentlichkeit  auch  als  Bratschenspieler  hören 
zu  lassen,  was  wäre  da  naheliegender  gewesen,  als  da& 
er  selbst  sich  das  gewünschte  Solo  geschrieben  hätte? 
Berlioz,  dem  die  Technik  des  Instruments  gar  nicht  so 
vertraut  sein  konnte,  wäre  kaum  imstande  gewesen,  das 
von  Paganini  gewünschte  Effektstück  mit  all  den  von  ihm 
benötigten  technischen  Finessen  zu  schreiben,  jedenfalls 
nicht  so,  wie  der  Virtuose  selbst.  Die  ganze  Sache  klingt 
daher  wenig  glaubhaft.  Da§  Berlioz  die  vorläufig  durch 
die  Zeitungsnachricht  eingefädelte  Angelegenheit  später 
nicht  wieder  aufgriff  und  den  Versuch  unterlie|,  Paganini 
für  sein  Vorhaben  zu  gewinnen,  lag  an  der  inzwischen  ein- 
getretenen Wandlung  der  Verhältnisse.  Als  Paganini  von 
seiner  Tournee  durch  Belgien  und  England  nach  Paris  zu- 
rückkehrte, lag  zwar  Berlioz'  Werk,  das  jefet  „Harold"  be- 
nannt wurde,  beendet  vor,  aber  die  Stellung  des  Künstlers 
in  Paris  war  durch  den  wegen  der  Entführungsgeschichte 
der  Mi{3  Watson  ausgebrochenen  öffentlichen  Skandal  er- 
schüttert, und  seine  Mitwirkung  bei  der  „Harold-Auffüh- 
rung,  die  überdies  wohl  nie  von  Berlioz  erreicht  worden 
wäre,  hätte  dem  Komponisten  kaum  Nufeen  bringen  kön- 
nen. Als  jefet  Berlioz'  Busenfreund,  Janin,  der  Stimme  der 
öffentlichen  Meinung  Rechnung  tragend,  gegen  den  zuvor 
so  gern  als  Reklameschild  für  ihre  Richtung  benufeten  Vir- 
tuosen vom  Leder  zog  und  ihn  durch  seine  gehässigen 
Feuilletons  bewog,  Paris  den  Rücken  zu  kehren,  verhielt 
sich  Berlioz  zunächst  passiv  und  vermied  es,  in  seinen 
Zeitungsberichten  auf  den  „Fall  Paganini"  näher  einzu- 
gehen; als  der  Künstler  aber  nach  Italien  abgereist  war, 
trat  er  auch  öffentlich  auf  die  Seite  seines  Freundes  Janin. 
Vier   Jahre   später  kam   dann   unerwartet   die  Huldi- 

112 


gung  Paganinis  im  Konzertsaal  (sein  Kniefall  vor  Berlioz) 
und  die  Schenkung  von  20  000  Franken.  Wir  haben  schon 
im  ersten  Teil  dieses  Buches  die  verschiedenen  Kommen- 
tare verzeichnet,  die  dieser  Schritt  in  der  Öffentlichkeit  er- 
fuhr, und  es  bleibt  uns  hier  nur  noch  übrig,  diese  auf  ihre 
Glaubwürdigkeit  hin  zu  prüfen.  Eines  steht  bei  allen  Les- 
arten fest:  daß  Berlioz  die  Summe  von  20  000  Franken 
durch  das  Bankhaus  Rothschild,  wo  sie  tags  zuvor  auf  Pa- 
ganinis Namen  deponiert  worden  war,  erhalten  hat,  und 
daß  Paganini  offiziell  als  Spender  galt  und  auftrat.  Einem 
Freunde  Berlioz'  gegenüber  gab  er  die  Erklärung  ab: 
„Ich  tat  dies  um  Berlioz'  und  um  meinetwillen.  Für  Berlioz, 
da  ich  in  ihm  ein  Genie  erblickte,  dessen  Kraft  und  Mut  in 
dem  verzweiflungsvollen  Ringen  eines  Tages  erlöschen 
konnten  und  den  es  gegen  eifersüchtige  Mittelmäßigkeit 
oder  teilnahmslose  Dummheit  zu  unterstüben  galt;  ich 
sagte  mir:  ,Hier  tut  Hilfe  not!'  Für  mich,  denn  später  wird 
man  auch  mir  Gerechtigkeit  widerfahren  lassen,  und  wenn 
man  dann  meine  Verdienste  auf  musikalischem  Gebiete 
aufzählen  wird,  so  wird  es  nicht  das  geringste  sein,  als 
einer  der  ersten  ein  Genie  erkannt  und  der  Bewunderung 
der  Mitwelt  empfohlen  zu  haben."  Die  öffentliche  Meinung, 
die  Paganini  einer  solchen  Tat  nicht  für  fähig  hielt,  sah  in 
dem  aufsehenerregenden  Ereignis  eine  zuvor  abgekartete 
Sache.  Entweder  habe  Janin  des  Künstlers  Notlage  der 
Öffentlichkeit  gegenüber  ausgenüßt  und  ihm  unter  An- 
drohung einer  Zeitungsheise  die  Summe  zugunsten  seines 
Freundes  erpreßt  —  diese  Anschauung  vertrat  später 
Franz  Liszt  —  oder  der  Besißer  des  Journal  des  Debats, 
Bertin,  habe  seinem  Mitarbeiter  Berlioz,  der,  wie  ein 
offenes  Geheimnis  war,  den  Opern-Partituren  seiner  Toch- 
ter nicht  ganz  fern   stand,   diesen   Betrag  geschenkt,  um 

8     Kapp,   Paganini,  '  ' J 


aber  der  Öffentlichkeit  gegenüber  die  Sache  wirkungs- 
voller und  für  das  Ansehen  des  Künstlers  beim  Publikum 
nufebringender  zu  gestalten,  eine  musikalische  Autorität 
wie  Paganini  vorgeschoben  —  solches  erzählte  später 
Rossini.  Beide  Darstellungen  sind  glaubhaft  und  haben 
eine  gewisse  Wahrscheinlichkeit  für  sich.  Welche  von 
beiden  oder  ob  überhaupt  eine  zutrifft,  wird  wohl  nie  ein- 
wandfrei klargelegt  werden,  da  über  derartige  Ab- 
machungen natürlich  keine  schriftlichen  Beweisstücke  vor- 
handen sind  und  die  Eingeweihten  strenges  Stillschweigen 
bewahrt  haben.  Auch  in  Paganinis  Nachlaß  findet  sich 
nichts,  was  hier  einen  Fingerzeig  geben  könnte,  es  sei 
denn  gerade  diese  Tatsache  selbst.  Denn  es  mufj  immer- 
hin auffällig  erscheinen,  da&  in  dem  berüchtigten  „roten 
Buch",  das  sonst  gerade  in  Geldangelegenheiten  genaue 
Aufzeichnungen,  oft  sogar  über  ganz  unbedeutende  Sum- 
men enthält,  eine  so  beträchtliche  Ausgabe  wie  jene  20  000 
Franken  vollkommen  u  n  erwähnt  geblieben  ist.  Als  Ver- 
dachtsmoment kann  man  den  Umstand  fraglos  gelten 
lassen,  wenngleich  sich  darauf  keine  entscheidenden  Fol- 
gerungen stüfeen  lassen. 

Berlioz  selbst  jedenfalls,  dem  diese  unerwartete  Hilfe 
wie  ein  liimmelsgeschenk  in  höchster  Notlage  zuteil  ge- 
worden, bewahrte  Paganini  bis  zu  seinem  Tode  aufrichtige 
Dankbarkeit.  Noch  in  einem  Feuilleton,  das  er  gerade  bei 
Eintreffen  der  Nachricht  von  des  Künstlers  Hinscheiden  für 
die  „Debats"  aufzeichnete,  klingt  diese  deutlich  an.  Er 
schreibt  (Journal  des  Debats,  7.  Juni  1840,  in  der  Gesamt- 
ausgabe von  Berlioz'  Schriften  nicht  enthalten,  hier  nach 
dem  Original  überseht) :  „Ich  bitte  um  die  größte  Nachsicht 
des  Lesers,  denn  mir  fehlt  heute  jede  Möglichkeit,  einen 
klaren  Gedanken    zu  fassen    und   freudigen   Herzens  zu 

114 


plaudern,  Wer  die  gestern  aus  Nizza  eingetroffene  Trauer- 
botschaft gelesen  hat,  wird  mich  begreifen;  und  alle,  die 
verstehen  können,  welche  Ergebenheit  und  unaussprech- 
liche Zuneigung  in  einem  Künstlerherzen  Bewunderung  und 
grenzenlose  Dankbarkeit  auslösen  können,  werden  er- 
staunt sein,  daB  ich  überhaupt  heute  fähig  bin,  meine 
Zwangsarbeit  selbst  mangelhaft  zu  leisten.  Wenn  man 
dem  Gerücht,  das  sich  schon  mehrfach  erfreulicherweise 
grundlos  verbreitete,  diesmal  Glauben  schenken  mu§,  so 
ist  einer  dieser  Titanen  der  Musikgeschichte  dahingesun- 
ken,  die  nur  in  gro&en  Zeitabständen  das  Szepter  im  Reich 
ihrer  Kunst  führen  und  abtreten,  ohne  einen  Nachfolger 
zu  hinterlassen,  ja  selbst  das  Geheimnis  ihrer  Macht  mit 
sich  entführen,  eines  jener  Genies,  die  denken,  fühlen  und 
handeln  wie  nie  ein  Mensch  vor  ihnen,  einer  jener  Künstler, 
deren  Erdenleben  wilde  Leidenschaften  aufwühlt  und  die 
farbenreiche  Skala  der  menschlichen  Gefühls-  und  Emp- 
findungswelt zum  Ertönen  bringt,  ein  Wesen,  das  man  ha|t 
oder  anbetet,  vergöttert  oder  durch  die  niedersten  Ver- 
leumdungen mordet,  das  man  aber  im  Innersten,  heimlich 
oder  offenkundig,  überall  und  zu  allen  Zeiten  bewundert, 
mit  einem  Wort:  Paganini  ist  zu  Nizza  gestorben." 


8*  115 


Berichte  von  Zeitgenossen 

Um  das  Bild  dieses  seltsamen  Mannes  in  Einzelheiten 
noch  schärfer  umrissen  hervortreten  zu  lassen  und  die 
Wirkung  seiner  Erscheinung  anzudeuten,  die  wir  Nachge- 
borene ja  leider  nicht  mehr  erleben,  sondern  nur  noch  aus 
den  Schilderungen  von  Zeitgenossen  nachzufühlen  im- 
stande sind,  mögen  aufjer  den  schon  früher  zitierten  von 
Spohr,  Heine,  Börne,  hier  noch  einige  Urteile  Plab 
finden,  die  erkennen  lassen,  da&  auch  die  Grö|ten  seiner 
Zeit  sich  Paganinis  Zauber  nicht  zu  entziehen  vermochten. 
Zuvor  sei  noch  einer  sehr  interessanten,  heutzutage  kaum 
mehr  auftreibbaren  Studie  Erwähnung  getan,  die  ein  bekann- 
ter Pariser  Physiologe,  Dr.  B  e  n  n  a  t  i  i ,  bei  des  Künstlers 
Erscheinen  in  Paris  1831  der  dortigen  Akademie  als 
„Notice  physiologique"  eingereicht  hat.  Er  sucht  darin 
das  Phänomen  Paganini,  das  er  als  eine  Art  Naturwunder 
anspricht,  auf  wissenschaftlichem  Wege  zu  erklären.  „Ich 
will  nicht  seine  Gesichtszüge  analysieren,"  beginnt  Dr. 
Bennatti,  „ich  will  auch  nicht  sprechen  von  den  bei  ihm  stark 
ausgeprägten  Beulen  auf  der  Stirn,  die  die  musikalische  Be- 
gabung sofort  andeuten,  ich  will  nur  von  seiner  körperlichen 
Beschaffenheit  als  Ganzes  ausgehen,  die  dazu  angetan, 
man  kann  sagen,  geradezu  prädestiniert  ist,  ihn  den  er- 
reichten, erstaunlichen  Grad  von  Meisterschaft  auf  seinem 

116 


Instrument  erklimmen  zu  lassen.  Hierbei  werde  ich  dann 
hoffentlich  die  Richtigkeit  der  von  mir  aufgestellten  Theorie 
belegen  können,  da|  die  Vollkommenheit  des  berühmten 
Geigers  weniger  das  Ergebnis  seines  unsinnigen  Dbens 
ist,  wie  man  behauptet,  als  der  eigenartigen  Beschaffen- 
heit seines  Körpers.  Zweifellos  bedurfte  es  zahlreicher, 
mühsamer  Versuche,  um  diese  neue  und  unbegreifliche 
Kunstfertigkeit  zu  erringen,  in  der  ihm  auch  nicht  an- 
nähernd einer  gleichkommt;  aber  sein  Genie  war  schon 
ohnedies  früher  vorhanden.  Bei  Paganini  mußte  sich, 
um  das  entstehen  zu  lassen,  was  er  heute  ist,  vollkommene 
musikalische  Intelligenz  mit  Organen  von  größler  Sensi- 
bilität verbinden.  Sein  Talent  hätte  ihn  einen  erlesenen 
Komponisten,  einen  sehr  verdienten  Musiker  werden 
lassen  können,  aber  ohne  sein  erstaunliches  rhythmisches 
Gefühl  und  die  Beschaffenheit  seines  Körpers,  seiner 
Schultern,  Arme  und  Hände,  hätte  er  niemals  dieser  un- 
vergleichliche Virtuose  werden  können,  den  wir  heute  in 
ihm  bewundern. 

Paganini  ist  blaß,  schlank  und  von  mittlerer  Größe. 
Er  zählt  erst  47  Jahre,  aber  seine  Magerkeit  und  das  Fehlen 
der  Zähne,  das  seinen  Mund  einfallen  und  sein  Kinn  schär- 
fer hervortreten  läßt,  verleiht  ihm  ein  weit  älteres  Aus- 
sehen. Sein  übermäßig  großer  Kopf,  der  auf  einem  langen, 
dünnen  Hals  sißt,  steht  auf  den  ersten  Blick  in  argem  Miß- 
verhältnis zu  seinen  dürren  Gliedern.  Eine  hohe,  breite, 
eckige  Stirn,  eine  sehr  charakteristische  Adlernase,  vol- 
lendet geschwungene  Augenbrauen,  ein  geistvoller,  bos- 
haft zuckender  Mund,  der  an  den  Voltaires  ein  wenig  ge- 
mahnt, große,  stark  abstehende  Ohren,  lange,  schwarze 
Haare,  die  unordentlich  auf  die  Schultern  herabhängen, 
und  zu  der  blassen  Gesichtsfarbe  in  scharfem  Kontrast 

117 


stehen,  verleihen  Paganini  ein  ungewöhnliches  Aussehen, 
das  in  gewissem  Grade  bereits  die  Originalität  seines 
Genies  wiederspiegelt.  Man  hat  zu  Unrecht  behauptet, 
da§  der  Ausdruck  physischen  Schmerzes  den  Zügen  Pa- 
ganinis  etwas  Verlegenes,  Wehmütiges,  eingeprägt  hat, 
hervorgerufen  durch  üble  Lebenserfahrungen.  Ich  gestehe, 
daß  mir  mein  Umgang  mit  Paganini  niemals  ein  derartiges 
Bild  von  ihm  erweckt  hat;  ich  fand  ihn  immer  heiter,  geist- 
reich, ausgelassen  im  Kreis  von  Freunden  oder  in  kind- 
lichen Spielen  mit  seinem  niedlichen,  kleinen  Achille.  Und 
ich  kann  mit  mehr  Berechtigung  über  Paganini  urteilen  als 
irgend  sonst  jemand,  da  ich  seit  mehr  als  zehn  Jahren  zu 
seinen  Vertrauten  zähle  und  tausendfach  in  der  Lage  war, 
ihn  zu  beobachten,  zunächst  in  Italien,  vor  allem  aber  in 
Wien,  wo  ich  ihn  monatelang  ärztlich  behandelte;  nichts 
Physiologisches  aus  seinem  Leben  ist  mir  fremd.  Ich  bin 
überzeugt,  daß  es  nur  einem  Freunde  gelingen  konnte, 
sowohl  in  seinen  gesunden  Tagen,  wie  während  seiner 
früheren  Krankheiten,  die  zur  Beurteilung  seiner  körper- 
lichen Konstitution  erforderlichen  Einzelheiten  in  Erfah- 
rung zu  bringen.  Kein  anderer  wäre  vor  allem  zur  Un- 
tersuchung seiner  Organe,  der  Einrichtungen  seines  Kör- 
pers und  seiner  Gliedmaßen  vorgedrungen,  und  es  hätte 
ihm  somit  jede  Grundlage  gefehlt  für  den  Versuch,  sich  von 
dem  Phänomen,  das  der  erstaunliche  Mechanismus  seines 
Spiels  darstellt,  Rechenschaft  abzulegen.  Doch  ehe  ich 
von  diesem  Mechanismus  selbst  spreche,  in  dem  meiner 
Ansicht  nach  zum  großen  Teil  das  Geheimnis  beruht, 
dessen  sich  Paganini  rühmt,  will  ich  diese  wichtigeren  Fra- 
gen berühren. 

Paganini  war  nicht  schwindsüchtig,  wie  man  lange  ge- 
fürchtet hat.    Er  ist  so  mager,  nicht  weil  er  tuberkulös  ist, 

118 


sondern  seiner  Naturanlage  nach.  Die  linke  Schulter  ist 
höher  als  die  andere,  was,  wenn  er  aufgerichtet  steht  und  die 
Arme  hängen  lä&t,  die  rechte  Seite  viel  länger  erscheinen 
lä&t.  Man  kann  an  ihm  die  Dehnbarkeit  der  kapseiförmi- 
gen Sehnenstränge  der  beiden  Schultern  beobachten,  das 
Nachlassen  der  Muskelbänder,  die  das  Handgelenk  mit 
dem  Vorderarm,  die  Handwurzel  mit  der  Mittelhand  und 
die  Glieder  unter  einander  verbinden,  wodurch  ihm  das 
Beugen  eines  Gelenks  nach  allen  Richtungen  ermöglicht 
wird  .  .  .  Die  Hand  ist  nicht  grö&er  als  eine  normale;  aber 
durch  die  Dehnbarkeit,  die  all  ihren  Teilen  eigen  ist, 
verdoppelt  sie  ihre  Spannungsmöglichkeit.  So  kann  er 
z.  B.,  ohne  die  Lage  der  Hand  zu  verändern,  die  vorderen 
Glieder  der  Finger  der  linken  Hand,  die  die  Saiten  berührt, 
seitlich  umbiegen,  senkrecht  zur  natürlichen  Gelenkbewe- 
gung, und  zwar  mit  spielender  Leichtigkeit,  Sicherheit  und 
Schnelligkeit.  Die  Kunst  Paganinis  beruht  im  Grunde  auf 
den  ihm  von  Natur  verliehenen  Körpergaben,  die  er  durch 
unermüdliches  üben  förderte  und  ausbaute.  —  Sein 
Kleinhirn  ist  von  abnormer  Grö&e.  Der  Gehörsinn  ist  bei 
ihm  erstaunlich  entwickelt:  er  hört  selbst  im  Flüsterton  Ge- 
sprochenes auf  gro&e  Entfernung,  und  die  Empfindlichkeit 
seines  Trommelfells  ist  so  fein,  da&  er  tatsächilch  Schmerz 
empfindet,  wenn  in  seiner  Nähe  oder  gar  seitlich  von  ihm 
laut  gesprochen  wird.  Er  ist  daher  gezwungen,  seinem 
Partner  in  der  Unterhaltung  möglichst  gerade  gegenüber 
zu  stehen.  Die  Einwirkung  ist  noch  um  vieles  stärker  beim 
linken  Ohr,  das  beim  Spiel  der  Geige  am  nächsten  ist. 
Seine  Ohren  sind  in  der  Tat  zur  Aufnahme  der  Schall- 
wellen vortrefflich  gebaut;  die  Muschel  ist  weit  und  tief, 
die  Vorsprünge  und  Kanten  sind  scharf  herausgearbeitet. 
Man    kann    unmöglich    ein    in    allen    Teilen    besser    pro- 

119 


portioniertes  und  schärfer  ausgebildetes  Ohr  antreffen. 
Paganinis  Feinheit  des  Gehörs  übertrifft  jede  Vor- 
stellung. Mitten  in  dem  betäubenden  Lärm  der  Schlag- 
insfrumente  eines  vollbesefeten  Orchesters  genügt  ihm 
zum  Stimmen  seiner  Geige  ein  leises  Berühren  mit  dem 
Finger,  und  er  bemerkt  unter  gleichen  Umständen 
mit  derselben  Sicherheit  das  Verslimmtsein  eines  der  we- 
niger geräuschvollen  Insfrumente,  und  zwar  auf  eine  un- 
glaubliche Entfernung.  Des  Oftern  hat  er  in  verblüffender 
Weise  gezeigt,  w  i  e  musikalisch  er  ist,  indem  er  auf  einer 
verstimmten  Geige  richtig  spielte. 

Die  Musik  durchdringt  Paganini;  wir  wissen  von  ihm, 
dafj  im  Alter  von  fünf  Jahren  das  Läuten  der  Glocken  bei 
ihm  zeitweise  eine  freudige  Erregung,  zeitweise  eine  selt- 
same Melancholie  auslöste,  er  konnte  vor  allem  in  der 
Kirche  die  Klänge  der  Orgel  nicht  hören,  ohne  bis  zu 
Tränen  gerührt  zu  sein.  Er  mag  noch  so  leidend  oder  elend 
sein,  der  erste  Bogenstrich  wirkt  wie  ein  elektrischer  Funke, 
der  ihm  neues  Leben  verleiht,  all  seine  Nerven  schwingen 
mit  den  Saiten  seiner  Geige,  und  sein  Verstand  vermag 
nur  noch  die  Regungen  seiner  Seele  in  Musik  zum  Er- 
klingen zu  bringen;  er  und  seine  Geige  sind  dann  Eins! 
Er  lebt  nur  noch  durch  seine  Violine,  in  ihr  ruht  seine  Seele, 
von  hier  aus  spricht  sie  zu  uns,  von  hier  aus  herrscht  sie 
uneingeschränkt,  und  dann  zwingt  sie  den  Körper  Paga- 
ninis, im  Bann  einer  himmelstürmenden  Kraftanspannung, 
zur  Entfaltung  all  jener  Zaubertöne,  die  in  ihm  verborgen 
schlummern." 


120 


Franz  Schubert  und  Bauernfeld  (Wien,  1828): 
„Nach  dem  achten  Konzert,"  erzählt  Bauernfeld,  „hatte 
er  schon  über  20  000  Gulden  verdient.  Nur  ein  Konzert 
muBte  er  verlegen,  weil  im  Tiergarten  zu  Schönbrunn  zum 
erstenmal  eine  Giraffe  zu  sehen  war,  was  ganz  Wien  auf 
die  Beine  brachte.  Denn  eine  Giraffe  ging  den  Wienern 
doch  noch  über  Paganini.  Die  fünf  Gulden,  die  dieser 
Konzert-Korsar  verlangte,  waren  mir  unerschwinglich;  da| 
ihn  S  ch  u  b  e  r  t  hören  mu&le,  verstand  sich  von  selbst, 
aber  er  wollte  ihn  durchaus  nicht  wieder  hören  ohne  mich; 
er  ward  ernstlich  böse,  als  ich  mich  weigerte,  die  Karte  von 
ihm  anzunehmen.  „Dummes  Zeug,"  rief  er  aus,  „ich  hab 
ihn  schon  einmal  gehört  und  mich  geärgert,  da&  du  nicht 
dabei  warst!  Ich  sage  dir,  so  ein  Kerl  kommt  nicht  wieder! 
Und  ich  hab  jefet  Geld  wie  Häckerling;  komm  also."  Da- 
mit zog  er  mich  fort.  —  Wir  hörten  den  infernalisch-himm- 
lischen Geiger  und  waren  nicht  minder  entzückt  von  seinem 
wunderbaren  Adagio,  als  höchlich  erstaunt  über  seine  son- 
stigen Teufelskünsie,  auch  nicht  wenig  humoristisch  erbaut 
durch  die  unglaublichen  Krabfü&e  der  dämonischen  Ge- 
stalt, die  einer  an  Drähten  gezogenen,  mageren,  schwarzen 
Puppe  glich." 


Meyerbeer   (Berlin,   1829): 
,Wo  unser  Denken  aufhört,  da  fängt  Paganini  an!" 


Holte i  (Berlin,  1829): 
„Du  regst  der  Seele  Tiefen,  rufst  ein  Sehnen 
Aus  stillem  Busen  an  das  Licht  hervor; 


121 


Wir  glauben  dir,  wir  bringen  unsre  Tränen, 
Da  trifft  ein  Mitlaut  das  bewegte  Ohr;   — 
Du  spielst  mit  uns  wie  mit  den  bunten  Tönen, 
Du  ziehst  uns  an,  du  stoßest  uns  zurüde, 
Und  deine  Kunst  will  uns  nicht  mehr  versöhnen, 
Aus  deinen  Klängen  spricht  kein  heitres  Glück. 
Gewalt'ge  Klagen  deines  eignen  Lebens 
Vernehmen  wir  aus  dieser  Meisterschaft: 
Du  stehst  am  Ziele  jedes  ird'schen  Strebens, 
Doch  ohne  Freude  scheint  die  Riesenkraft." 


Goethe-Zelter   (Berlin— Weimar,    1829). 

Zelter  an  Goethe,  1.  Mai: 

„Es  ist  außerordentlich,  was  der  Mann  leistet  und  da- 
bei muß  bemerkt  werden:  daß  die  Wirkung  seines  Spieles 
ganz  allgemein  erwünscht  und  andern  Virtuosen  auf  sei- 
nem Instrument  ganz  unbegreiflich  ist.  Sein  Wesen  ist 
also  mehr  als  Musik,  ohne  höhere  Musik  zu  sein  .  .  . 
In  jedem  Falle  aber  ist  er  ein  vollkommener  Meister  seines 
Instruments  in  h  ö  ch  s  t  e  r  Potenz,  insofern  was  ihm  auch 
nach  bestem  Willen  nicht  gelingt,  wie  eine  kecke  Variation 
herauskommt." 

Goethe  (nachdem  er  Paganini  in  Weimar  gehört) 

an  Zelter  am  13.  November: 
„Was  die  Aufmerksamkeil  an  diesem  Virtuosen  so  in 
Beschlag  nimmt,  mag  eine  Vermischung  sein  des  Grillen- 
haften mit  der   Sehnsucht  nach   Ungebundenheit.     Es  ist 
eine  Manier    aber    ohne  Manier;    denn    es  führt   wie  ein 

122 


Faden,  der  immer  dünner  wird,  ins  Nichts.  Es  leckert  nach 
Musik,  wie  eine  nachgemachte  Auster  gepfeffert  und  ge- 
säuert verschluckt  wird." 


Robert  Schumann  (Frankfurt  a.  Main,  1830): 
„Als  ich  Paganini  zuerst  hören  sollte,  meinte  ich,  er 
würde  mit  einem  nie  dagewesenen  Tone  anfangen.  Dann 
begann  er  und  so  dünn,  so  klein!  Wie  er  nun  locker,  kaum 
sichtbar  seine  Magnetketten  in  die  Massen  wirft,  so 
schwankten  diese  herüber  und  hinüber.  Nun  wurden  die 
Ringe  wunderbarer,  verschlungener;  die  Menschen  dräng- 
ten sich  enger;  nun  schnürte  er  immer  fester  an,  bis  sie 
nach  und  nach  wie  zu  einem  einzigen  zusammenschmol- 
zen, dem  Meister  sich  gleichwiegend  gegenüberzustellen, 
als  eines  vom  andern  zu  empfangen." 

„Paganini   ist  der  Wendepunkt   der   Virtuosität." 


Franz  Liszt  (Paris,   1840): 
Nekrolog   auf  Paganini. 

(In  der  „Gazette  musicale"  widmete  Liszt  dem  Dahin- 
geschiedenen einen  Nachruf,  der  als  Zeugnis  echten  und 
hohen  Künstlertums  unvergänglich  bleiben  wird.  Er  selbst 
sollte  später  dieser  Erbe  Paganinis,  dieser  „Künstler  der  Zu- 
kunft" werden,  und  das  großherzige  „Genie  oblige"  ward 
zur  Devise  seines  Lebens.) 

„Paganinis  Lebensflamme  ist  erloschen;  mit  ihm 
schwand  eines  jener  Prachtgebilde,  wie  sie  die  Natur  uns 
nur  zu  schenken  scheint,  um  sie  eiligst  wieder  zurückzufor- 

123 


dem  —  eine  Wundererscheinung,  wie  sie  das  Reich  der 
Kunst  nur  einmal,  dieses  einzige  Mal  gesehen. 

Die  unerreichbare,  nicht  zu  überflügelnde  Größe  sei- 
nes Genies  schreckt  selbst  die  ihm  Nachstrebenden.  Ihm 
wird  keiner  folgen,  seinem  Ruhm  kein  anderer  ebenbürtig 
zur  Seite  gestellt  werden  können.  Sein  Name  wird  nie 
im  Zusammenhang  mit  anderen  genannt  werden.  Denn 
welches  Künstlers  Ruhm  ist  von  solch  schattenlosem 
Sonnenglanz  bestrahlt,  wer  ist  nach  dem  begeisterten, 
ungeteilten  Urteil  der  Welt  Herrscher  im  Reiche  der  Kunst 
auf  einsamer  Höhe,  gleich  ihm? 

Als  Paganini,  vierzig  Jahre  alt,  nachdem  er  seinem 
Talent  die  denkbar  größte  Vollkommenheit  abgerungen 
hatte,  vor  die  Öffentlichkeit  trat,  da  staunte  ihn  die  Welt 
wie  eine  übernatürliche  Erscheinung  an.  Das  Aufsehen, 
das  er  erregte,  war  so  außerordentlich,  der  Zauber,  den 
er  auf  die  Phantasie  seiner  Hörer  ausübte,  so  gewaltig, 
daß  diese  sich  nicht  mit  einer  natürlichen  Erklärung  zu- 
frieden geben  wollte.  Alte  Hexen-  und  Spukgeschichten 
des  Mittelalters  tauchten  vor  ihr  auf,  man  suchte  das 
Wunderbare  seines  Spiels  aus  seiner  Vergangenheit  zu 
erklären,  das  Unerhörte  seines  Genies  auf  übernatürliche 
Weise  zu  begreifen,  ja  man  munkelte,  daß  er  seine  Seele 
dem  Bösen  verschrieben,  und  daß  jene  vierte  Saite,  der 
er  so  zauberische  Weisen  entlockte,  der  Darm  seines  Wei- 
bes sei,  das  er  eigenhändig  erwürgt  habe. 

Er  durchreiste  ganz  Europa.  Überall  streute  die  durch 
sein  Spiel  herbeigelockte  Menge  begeistert  Gold  auf  sei- 
nen Weg.  Anderen  bedeutenden  Instrumentalkünstlern 
glaubte  man  seitdem  das  größte  Lob  dadurch  spenden 
zu  können,  daß  man  ihnen  Paganinis  Namen  beilegte.  Es 
gab  jeßt  Paganinis  des  Klaviers,  des  Kontrabasses,  der 

124 


Guitarre.  Die  Violinisien  gaben  sich  die  undenklichste 
Mühe,  ihm  sein  Geheimnis  abzulauschen.  Im  Schwei&e 
ihres  Angesichts  arbeiteten  sie  an  den  Schwierigkeiten 
herum,  die  er  spielend  geschaffen,  ohne  dadurch,  da  das 
Publikum  für  sie  nur  ein  mitleidiges  Lächeln  übrig  hatte, 
bekannt  zu  werden  und  aus  ihrem  untergeordneten  Rang 
aufzusteigen.  So  genofe  Paganinis  Ehrgeiz,  falls  er  über- 
haupt welchen  besa|,  das  seltene  Glück,  in  unerreichten 
Höhen  wandeln  zu  dürfen,  ohne  durch  Ungerechtigkeit 
oder  Gleichgültigkeit  beunruhigt  zu  werden.  Nicht  einmal 
das  Hinabsteigen  seines  Gestirns  zum  Rand  des  Grabes 
ward  verdunkelt  von  dem  lästigen  Schatten  eines  Erben 
seines  Ruhmes. 

Doch  wer,  der  nicht  selbst  Zeuge  davon  war,  wird  es 
glauben,  dafe  dieses  Talent,  dem  die  Welt  so  verschwen- 
derisch spendete,  was  sie  oft  der  Gröfje  versagt:  Ruhm 
und  Reichtum,  da&  dieser  Mann,  dem  soviel  Begeisterung 
entgegenjauchzte,  sich  nicht  traulich  zu  Menschen  ge- 
sellte? Niemand  ahnte,  was  in  seinem  Herzen  vorging; 
sein  reichbegnadetes  Leben  verklärte  nie  das  eines  ande- 
ren, keine  Gemeinschaft  des  Geistes  oder  des  Herzens 
verband  ihn  mit  seinen  Erdenbrüdern:  fremd  blieb  er  jeder 
Neigung,  fremd  jeder  Leidenschaft,  fremd  selbst  seinem 
eigenen  Genius;  denn  was  ist  der  Genius  anderes,  als  die 
der  Menschenseele  ihren  Gott  offenbarende  Priestermacht? 
Paganinis  Gott  aber  ist  nie  ein  anderer  gewesen,  als  stets 
sein  eigenes  düster  trauriges  Ich! 

Nur  zaghaft  und  mit  Widerstreben  spreche  ich  diese 
harten  Worte  aus.  Denn  ich  weil,  ob  man  Tote  tadelt 
oder  Lebende  lobt,  immer  mu|  man  schlechten  Dankes 
gewärtig  sein.     Stets  folgt  unter  dem  Vorwand,  die  Hei- 

125 


ligkeit  der  Gruft  respektieren  zu  müssen,  bei  dem  Urteil 
über  einen  Menschen  auf  die  Lüge  der  Verkeßerung  un- 
mittelbar der  Trug  der  Apotheose,  und  man  führt  dann 
regelmäßig  einige  Taten  der  Wohltätigkeit  an,  um  dadurch 
alle  Anschuldigungen  zu  entkräften.  Doch  was  sind  ver- 
einzelte Fälle  gegen  das  Zeugnis  eines  ganzen  Lebens? 
Es  ist  für  den  Menschen  ebenso  schwer  nur  Böses  zu  tun, 
wie  nur  Gutes.  Ich  werfe  daher  die  Frage  auf,  wobei  ich 
das  Wort  Egoismus  hier  nicht  in  seiner  eigentlichen,  son- 
dern in  einer  umfassenderen  Bedeutung  gebrauche  und 
es  mehr  auf  den  Künstler  wie  den  Menschen  beziehe:  ist 
es  unbegründet,  den  Ausganspunkt,  wie  den  Endzweck 
Paganinis  in  kaltem  Egoismus  zu  ersehen? 

Wie  dem  auch  sei  —  Friede  seinem  Andenken!  Er 
war  groß.  Jede  Größe  trägt  ihre  eigene  Schuldentlastung 
in  sich  selbst.  Wissen  wir  denn,  um  welchen  Preis  der 
Mensch  seine  Größe  erkauft?  Wird  die  Lücke,  die  Paga- 
ninis Tod  gerissen,  bald  sich  wieder  schließen?  Sind  die 
Haupt-  und  Nebenmotive,  denen  er  seine  Herrscherstel- 
lung,  die  ich  ihm  freudig  zuerkenne,  verdankte,  derartig, 
daß  sie  sich  wiederholen  können?  Wird  die  von  ihm  er- 
oberte künstlerische  Königswürde  in  andere  Hände  über- 
gehen? Wird  es  noch  einen  zweiten  Künstlerkönig  geben? 

Ich  sage  es  ohne  Zögern,  kein  zweiter  Paganini  wird 
uns  erstehen.  Das  wunderbare  Zusammentreffen  eines 
gewaltigen  Talentes  mit  den  zu  einer  glänzenden  Apo- 
theose geeigneten  äußeren  Umständen  wird  in  der  Kunst- 
geschichte ein  Einzelfall  bleiben.  Wenn  ein  Künstler  es 
jeßt  wie  Paganini  versuchen  wollte,  mit  absichtlich  umge- 
worfener Hülle  von  etwas  Geheimnisvollem  die  Geister 
in  Erstaunen  zu  verseßen,  so  würde  er  keine  Überraschung 

126 


mehr  erzielen,  und  die  Erinnerung  an  Paganini  würde  ihn, 
selbst  wenn  er  ein  unschätzbares  Talent  besäße,  zum  Char- 
latan  und  Plagiator  stempeln.  Überdies  verlangt  das 
Publikum  jeßt  von  einem  „Lieblingskünstler"  etwas  ganz 
anderes,  und  nur  auf  einem  dem  Paganinis  entgegenge- 
sefeten  Wege  würde  dieser  ähnlichen  Ruhm  und  Macht  er- 
ringen können. 

Der  Künstler,  welcher  sich  die  Kraft  zutraut,  nach  Pa- 
ganinis Erbe  zu  streben,  darf  sich  nur  eine  Aufgabe 
stellen:  die  Kunst  nicht  als  beguemes  Mittel  für  eigen- 
nüfeige  Zwecke  und  unfruchtbare  Berühmtheit  aufzufassen, 
sondern  als  eine  heilige  Macht,  welche  die  Menschen  um- 
faßt; das  eigene  Leben  zu  jener  hohen  Würde  heranzu- 
bilden, die  dem  Talent  als  Ideal  vorschwebt;  den  Künst- 
lern das  Verständnis  zu  erschließen  für  das,  was  sie  sollen 
und  können;  die  öffentliche  Meinung  zu  beherrschen  durch 
das  Übergewicht,  welches  ein  edles,  hochsinniges  Leben 
verleiht  und  in  den  Herzen  der  Mens  chen  die 
dem  Guten  so  nahverwandte  Begeisterung 
für  das  Schöne  zu  entzünden  und  zu  nähren! 

Diese  Aufgabe  ist  zwar  schwer,  doch  nicht  unlösbar. 
Jedem  Streben  steht  ein  breiter  Weg  offen,  und  jeder,  der 
seine  Kunst  dem  heiligen  Dienst  einer  Überzeugung,  einer 
Erkenntnis  weiht,  darf  eines  teilnahmsvollen  Verständ- 
nisses sicher  sein. 

Wir  alle  ahnen  eine  Umgestaltung  unserer  sozialen 
Verhältnisse.  Ohne  die  Bedeutung  des  Künstlers  hierfür 
übertreiben  und  ohne,  wie  so  häufig,  seine  Mission  mit 
großtönenden  Worten  verkünden  zu  wollen,  glauben  wir 
doch  die  feste  Überzeugung  hegen  zu  dürfen,  daß  auch 
ihm  von  der  Vorsehung  eine  Bestimmung  als  Mitarbeiter 
an  dem  neuen,  edlen  Werk  zuerkannt  wurde. 

127 


Möge  der  Künstler  der  Zukunft  froh  und  freudig  auf 
eine  eitle,  egoistische  Rolle  verzichten,  die  hoffentlich  in 
Paganini  ihren  legten  glanzvollen  Repräsentanten  beses- 
sen hat;  möge  er  sein  Ziel  i  n  und  nicht  a  u  |  e  r  sich 
sefeen  und  ihm  Virtuosität  Mittel,  nie  Zweck  sein.  Stets 
möge  er  eingedenk  sein,  da&,  obwohl  es  hei&t:  „Noblesse 
oblige",  in  weit  höherem  Grad  als  der  Adel: 
„Genie   oblige!" 


128 


DER  KUNSTLER 


Der  Virtuose 

Paganini  bedeutet  den  Gipfel  des  Virtuosentums,  zu- 
gleich aber  auch  seinen  Wendepunkt.  Mit  genialem 
Scharfblick  griff  er  die  technischen  Errungenschaften  seiner 
Vorgänger,  deren  tastende  Versuche,  neue  Wege  zu  wan- 
deln, wieder  auf  und  schuf  sich  auf  dieser  Grundlage  einen 
eigenen  Stil,  eine  ganz  neue  Technik.  Zwar  waren  gewiij 
einzelne  der  von  Antonio  Lolli  oder  dessen  allerdings  in 
übelste  Charlatanerie  ausartenden  Nachfolgern  erfundenen 
Kunststückchen,  die  einst  die  Welt  in  Staunen  verseht  hat- 
ten, nicht  zu  verachten,  was  aber  Paganini  nun  bot,  stellte 
doch  alles  Vorangegangene  tief  in  den  Schatten;  diesem 
Riesen  gegenüber  mu|  alles  andere  zwergenhaft  erschei- 
nen. Dank  des  selten  glücklichen  Zusammentreffens  einer 
anormalen  Begabung  mit  einer  zu  deren  Verwertung  ge- 
radezu prädestinierten  körperlichen  Konstitution  gelang  es 
diesem  SproB  aus  Genieland,  in  kühnem  Ansturm  gleich 
den  Gipfel  zu  erklimmen.  Paganini  hat  die  Entwicklungs- 
möglichkeiten der  Violintechnik  restlos  erschöpft  und  sei- 
nem Instrument  die  lebten  Geheimnisse  entlockt.  Seinen 
Nachfolgern  blieb  bis  zum  heutigen  Tag  auf  technischem 
Gebiet  nichts  mehr  zu  entdecken  übrig.  Dies  ist  die  unver- 
gängliche Tat  des  Virtuosen  Paganini. 

9*  131 


Doch  diese  allein  hätte  nicht  genügt,  Europa  jahrelang 
in  fanatische  Erregung  zu  versefeen.  Die  Wirkung  dieses 
Zauberers  auf  die  Massen  wurzelt  außer  in  der  faszinieren- 
den und  verblüffenden  Art  seines  Spiels  in  dem  seltsamen 
Rahmen  seiner  Persönlichkeit.  Das  Unheimliche  seiner 
schon  von  Natur  phantastisch-tragikomischen  Erscheinung 
war  durch  raffinierte  Reklame  und  geschickte  Ausnüfeung 
der  für  ihn  besonders  günstigen  Zeitverhältnisse  noch  ge- 
steigert, und  das  Publikum  zahlte  die  teuren  Eintrittspreise 
zu  seinen  Konzerten  wahrhaftig  nicht  nur,  um  sein  uner- 
hörtes Geigenspiel  zu  hören,  sondern  um  dieses  sagenum- 
wobene Wellwunder  leibhaftig  vor  sich  zu  sehen.  Die 
menschliche  Neugierde  war  der  unwiderstehlichste  Werber 
für  seine  Konzerte,  und  Paganini  verstand  es  vortrefflich,  sie 
immer  aufs  Neue  anzureizen.  So  wirkte  alles  zusammen, 
um  diesem  Künstler  einen  zuvor  ungeahnten  und  auch  nie- 
mals sich  wiederholenden  Triumphzug  durch  die  Welt  zu 
ermöglichen.  Das  Virtuosentum  stand  hier  im  Zenith.  Über- 
boten konnte  Paganini  als  Virtuose  niemals  werden,  ja 
kaum  jemals  erreicht,  da  ein  glückliches  Zusammentreffen 
so  vieler  günstiger  Vorbedingungen,  wie  bei  ihm,  schwerlich 
wiederkehren  dürfte;  das  Virtuosentum  war  daher  mit  Pa- 
ganini auch  an  einem  entscheidenden  Wendepunkt  ange- 
langt. Auf  seiner  Fährte,  deren  künstlerischer  Schwer- 
punkt im  rein  Technischen  ruhte,  konnten  nur  schwächliche 
Nachahmer  gedeihen,  die,  da  ihnen  ihres  Vorbilds  Genie 
und  Persönlichkeit  mangelte,  entweder  beim  Publikum 
keinen  Anklang  fanden  oder  zu  leeren  Possenreißern  her- 
absanken. Nur  auf  einer  ganz  anderen  Grundlage  konnte 
nach  Paganini  ein  Virtuose  ähnliche  Triumphe  erringen: 
Dies  gelang  ein  Jahrzehnt  später  Franz  Liszt,  dem  Be- 
gründer des  modernen,  veredelten  Virtuosentums,  zu  dem 

132 


der  Anstoß  jedoch,  wie  wir  bereits  früher  dargelegt  haben, 
auch  indirekt  Paganini  zu  danken  ist. 

Doch  der  Einfluß  Paganinis  in  der  Welt  der  Geige  war 
ein  zwiefacher.  Neben  seinen  unvergänglichen  Verdiensten 
um  die  Vollendung  der  Technik  steht  als  Schattenseite  das 
verderbliche  Vorbild,  die  gefährliche  Lockung,  die  seine 
beispiellose  Ruhmesbahn  einer  Unmenge  junger  Geiger 
bietet.  Die  gro&e  Schar  der  unkünstlerischen,  nufelosen 
„Nur-Techniker"  fällt  Paganini  zur  Last,  ohne  da&  man  ihn 
natürlich  dafür  verantwortlich  machen  darf.  „Zahlreiche 
junge  Künstler,"  sagt  Joseph  J  o  a  ch  i  m  im  Hinblick  auf 
Paganini,  „wiegen  sich,  verlockt  durch  dessen  unerhörte  Er- 
folge, in  der  Hoffnung,  zu  ähnlicher  Berühmtheit  gelangen 
zu  können,  wenn  sie  nur  seine  verführerische  Technik  nach- 
ahmen. Ehe  sie  eine  gesunde,  ernste  Basis  für  die  unent- 
behrlichen Erfordernisse  eines  guten  Spiels  gelegt  haben, 
beginnen  sie  mit  wahrer  Wollust  rein  technische  Studien, 
vernachlässigen  die  Reinheit  und  Schönheit  des  Tones  und 
der  Intonation  und  gehen  des  großen  Stils  im  allgemeinen 
verlustig.  Sie  verlieren  dabei  die  Aufmerksamkeit  für  die 
Haupt-  und  Grundregeln  ihrer  Kunst,  und  die  traurigen  Fol- 
gen davon  machen  sich  noch  in  unseren  Tagen  bei  einer 
großen  Anzahl  Geigern  fühlbar.  Was  bei  Paganini  nur  ein 
Mittel  war,  sein  Ziel  zu  erreichen,  wird  bei  jenen  die  Haupt- 
sache und  dadurch  eine  Grimasse,  eine  Karikatur." 

Da  Paganini  seinen  Plan,  eine  Violinschule  aufzuzeich- 
nen, leider  nicht  ausgeführt  und  keinen  einzigen  Schüler 
(denn  der  unbedeutende  Sivori  ist  als  solcher  kaum  zu 
zählen)  hinterlassen  hat,  so  sind  wir,  zumal  von  seinen  Kom- 
positionen nur  ein  kleiner  Bruchteil  bekannt  ist,  in  der 
Hauptsache  auf  Beobachtungen  von  Augenzeugen  ange- 
wiesen, wenn  wir  ein  Bild  seiner  Spielweise  rekonstruieren 

133 


und    das  von  ihm    gewonnene  Neuland    der  Violintechnik 
rekognoszieren  wollen. 

Eine  sehr  anschauliche  Vorstellung  von  Paganinis 
Kunstfertigkeit  gewinnt  man  aus  der  eingehenden  Be- 
sprechung, die  der  Pariser  Musikkritiker  F.  J.  Felis  nach 
des  Künstlers  erstem  Auftreten  am  Strand  der  Seine  in 
seiner  Zeitschrift  „Revue  musicale"  (1831,  Nr.  6]  gegeben 
hat:  „Paganini  lieg  sich  zunächst  mit  seinem  ersten  Konzert 
hören,  das  für  das  Orchester  in  Es,  für  die  Sologeige  aber 
in  D  gesefel  ist,  wobei  das  Instrument  dann  einen  halben  Ton 
höher  gestimmt  wird.  Hierdurch  erzielt  Paganini  glanz- 
vollere Töne  und  kann  technische  Schwierigkeiten  überwin- 
den, die  ihm  in  der  wirklichen  Es-dur-Tonarl  unüberwind- 
lich wären,  da  ihm  Leersaifen  jefet  Möglichkeiten  bieten, 
deren  er  sonst  beraubt  gewesen  wäre.  Wenn  man  ihn  so 
dastehen  sieht,  das  Schwergewicht  ganz  auf  einer  Hüfte, 
wenn  man  die  Haltung  seines  rechten  Armes  und  seiner 
Hand  ganz  am  Frosch  des  Bogens  erblickt,  so  meint  man 
unwillkürlich,  daß  die  Bogenführung  recht  linkisch  ausfallen 
und  der  rechte  Arm  ganz  steif  sein  müsse,  aber  bald  er- 
kennt man,  dafj  Arm  und  Bogen  sich  mit  gleichmäßiger 
Geschmeidigkeit  bewegen,  und  daß  das,  was  man  zuerst 
für  ein  Gebrechen  hielt,  auf  sorgfältigsten  Studien  alles 
dessen  beruht,  was  zur  Hervorbringung  der  vom  Künstler 
angestrebten  Effekte  am  förderlichsten  ist.  Der  Bogen 
schien  von  normaler  Länge,  doch  war  der  Rücken  infolge 
einer  etwas  stärkeren  Spannung,  als  der  üblichen,  etwas 
weniger  eingebogen.  Wahrscheinlich  beabsichtigt  der 
Künstler  dadurch  das  Zurückprallen  des  Bogens  beim 
Staccato  leichter  zu  machen,  da  er  ihn  in  ganz  anderer 
Weise  als  die  übrigen  Geiger  auf  die  Saiten  peitscht  und 
wirft.  —  Seine  Hände  sind  groß,  dürr  und  sehnig,  und  all 

134 


seine  Finger  besifeen  infolge  rastlosen  Trainierens  eine  Ge- 
lenkigkeit und  Geschicklichkeit,  von  der  man  sich  keinen 
Begriff  machen  kann.  Der  linke  Daumen  klappt  sich  nach 
Belieben  bis  in  die  Handfläche  um,  falls  dies  zur  Hervor- 
bringung einiger  Effekte  beim  Übergreifen  notwendig  ist. 
Infolge  dieser  Gelenkigkeit  scheint  Paganini  diesen  Finger 
auch  über  dem  Griffbrett  der  Geige  zusammenkrampfen  zu 
können,  um  ihn  beim  Zupfen  der  vierten  Saite  zu  benufeen. 
Der  Ton,  den  er  dem  Instrument  entlockt,  ist  im  allgemeinen 
schön  und  rein,  ohne  besonders  gro&  zu  sein,  mit  Aus- 
nahme von  wenigen  Effektstellen,  an  denen  er  ersichtlich 
seine  ganze  Kraft  zur  Erzielung  einer  ungewöhnlichen  Wir- 
kung zusammenrafft.  Doch  was  diese  Seite  seines  Talents 
besonders  auszeichnet,  ist  die  Mannigfaltigkeit  des  Ton- 
klangs, die  er  aus  den  Saiten  hervorzaubert  durch  Mittel, 
die  seine  Entdeckung  sind,  oder  die  vielmehr,  nachdem  sie 
andere  bereits  aufgefunden  hatten,  wieder  vernachlässigt 
worden  waren,  da  man  ihre  Tragweite  nicht  erkannt  hatte. 
So  spielen  die  Flageolettöne,  die  man  immer  viel  mehr  als 
einen  kuriosen,  minderwertigen  Effekt,  wie  als  ein  wirkliches 
Hilfsmittel  für  den  Geiger  ansah,  in  Paganinis  Spiel  eine 
wichtige  Rolle.  Und  zwar  bedient  er  sich  ihrer  nicht  nur  an 
vereinzelten  Effektstellen,  sondern  als  künstlerisches  Mit- 
tel, Intervalle  zu  ermöglichen,  die  selbst  eine  noch  so  gro&e 
wohlausgebildete  Hand  nicht  zu  spannen  vermöchte.  Da- 
bei findet  er  diese  Nebentöne  nicht  etwa  nur  an  bestimm- 
ten Stellen  jeder  Saite,  sondern  in  allen  Lagen  und  mit 
einer  Schnelligkeit,  die  ans  Wunderbare  grenzt,  wenn  man 
bedenkt,  dafe  bei  allen  derartigen  Veränderungen  der 
Handhaltung  ein  Finger  sich  mit  ganz  besonderer  Kraft  auf 
die  Saiten  aufdrücken  mulj,  um  dort  die  Funktion  des  Gei- 
gensattels zu  übernehmen,  ohne  indes  die  Gelenkigkeit  der 

135 


anderen  Finger  zu  beeinträchtigen.  Aber  das  ist  noch  nicht 
alles:  vor  Paganini  lie£  sich  kein  Mensch  träumen,  dafj  es 
möglich  wäre,  au&er  den  einfachen  Flageolettönen  auch 
solche  in  Doppelgriffen  der  Terz,  Quinte,  Sexte  auszuführen 
und  da|  man  schließlich  sogar  natürliche  mit  Flageolettönen 
in  Oktavengängen  zusammenklingen  lassen  kann.  All  diese 
Wunderdinge  führt  Paganini  in  allen  Lagen  seines  Instru- 
ments mit  verblüffender  Leichtigkeit  aus,  und  sie  sind  ihm 
so  vertraut  geworden,  da£  sie  für  ihn  nur  noch  Effektmittel 
bedeuten,  die  er  ständig  zur  Hand  hat.  -—  Ein  ganz  neuer 
eigenartiger  Effekt  bei  ihm  ist  das  zitternde  Vibrato  der 
Saite,  das  er  im  Gesang  verwertet.  Dieser  ähnelt  deutlich 
dem  der  menschlichen  Stimme,  namentlich  auf  den  drei 
lefeten  Saiten;  leider  ist  damit  häufig  bei  ihm  eine  rut- 
schende Bewegung  der  Hand  verbunden,  vergleichbar  dem 
Ziehen  der  Töne  beim  menschlichen  Gesang,  das  man  mit 
Recht  an  der  Methode  einiger  Sänger  tadelt  und  als  ge- 
schmacklos empfindet.  —  Das  Zupfen  der  Saiten  wurde  in 
Paganinis  Spiel  häufig  angewandt,  und  er  besa|  darin  eine 
wunderbare  Geschicklichkeit. 

Noch  ein  Wort  über  das  Technische  bei  diesem  unver- 
gleichlichen Künstler.  Was  er  auf  der  Geige  ausführt,  hat 
so  wenig  Beziehungen  zu  dem,  was  man  im  allgemeinen  auf 
diesem  Instrument  leistet,  da&  er  nur  durch  eine  ganz  be- 
sondere Methode  dahin  gelangt  sein  kann,  auch  sein  Fin- 
gersab  ähnelt  in  nichts  dem  üblichen  Schulgebrauch.  Häufig 
greift  er  mit  einem  Finger  in  die  Rechte  eines  anderen  ein, 
noch  häufiger  bedient  er  sich  ein  und  desselben  Fingers  für 
mehrere  Noten,  fast  nie  beendet  er  seine  Triller,  und  er 
führt  sie,  was  anderen  Geigern  unbekannt  ist,  in  vielen 
Lagen  mit  dem  kleinen  Finger  aus.  — 

Die  Doppelgriffgänge  im  Glöckchenrondo  und  die  An- 

136 


Wendung  des  Springbogens  sind  etwas  vollkommen  Neues 
und  haben  nichts  mehr  von  der  gebräuchlichen  Form  eines 
Violinkonzerts.  Zweierlei  ist  dabei  an  Paganinis  Ausführung 
dieser  Dinge  besonders  zu  beachten:  die  ungetrübte  Rein- 
heit der  Doppelgriffe  —  dieser  Klippe  selbst  der  geschick- 
testen Geiger  —  auch  bei  in  rasender  Geschwindigkeit  aus- 
geführten Stücken,  und  die  fabelhafte  Sicherheit,  mit  der 
der  Bogen  immer  senkrecht  auf  die  Saiten  fällt,  wie  gro& 
auch  die  Intervalle  sein  mögen.  In  diesem  einzigen  win- 
zigen Bruchteil  von  Paganinis  Kunst  steckt  die  übungszeit 
eines  ganzen  Lebens. 

Die  Violine  ist  in  Paganinis  Händen  nicht  mehr  das 
Instrument  Tartinis  oder  Viottis;  sie  ist  etwas  vollständig 
anderes,  mit  einem  neuen  Ziel.  Eine  für  die  Wunder  dieses 
einzigartigen  Spiels  besonders  günstige  Körperbeschaffen- 
heit genügt  nicht  zur  Erlangung  und  Erklärung  solcher 
Resultate:  dazu  gehörten  in  gleichem  Mag  ununterbrochene, 
angestrengte  gründliche  Studien,  ein  zum  Entdecken  der 
Geheimnisse  des  Instrumentes  fähiger  Instinkt  und  diese 
unerschütterliche  Willenskraft,  die  einzig  jedes  Hindernis 
siegreich  überwinden  kann." 

Noch  ausführlicher  als  Felis  in  diesen  interessanten 
Schilderungen  geht  der  Kapellmeister  Karl  Guhr  in 
Frankfurt  a.  Main  dem  Phänomen  Paganini  zu  Leibe  und 
sucht,  begünstigt  durch  den  mehrere  Monate  währenden 
dortigen  Aufenthalt  des  Künstlers  (1829),  durch  sorgfältige 
Studien  und  Beobachtungen  die  Wunder  seines  Spiels  zu 
erkunden  und  das  Neue,  Unerhörte,  worin  sich  Paganini 
von  allen  Meistern  der  Violine  absondert,  zu  erforschen. 
Wie  unermüdlich  und  gewissenhaft  Guhr  dabei  zu  Werke 
ging,  beweist  die  Tatsache,  da&  es  ihm  sogar  möglich 
wurde,  zwei  Paganinische  Kompositionen  nach  dem  Ge- 

137 


dächinis  aufzuzeichnen.  Als  Frucht  dieser  Bemühungen  ver- 
öffentlichte er  1831  eine  längere  mit  zahlreichen  Notenbei- 
spielen versehene  Abhandlung:  „über  Paganinis 
Kunst,  die  Violine  zu  spiele n."  *)  Ihre  wesent- 
lichsten Resultate  seien  hier  kurz  zusammengefaßt: 

Paganini  benufete  möglichst  dünne  Saiten  (hierdurch 
erklärt  sich  auch  sein  verhältnismäßig  kleiner  Ton),  da  dies 
für  sein  Flageolefspiel,  das  Pizzicato  der  linken  Hand  und 
das  von  ihm  angewandte  Höherstimmen  der  Saiten  um  einen 
halben  Ton,  ja  das  G  zuweilen  um  eine  kleine  Terz,  erfor- 
derlich war.  Von  den  anderen  Meistern  der  Geige  unter- 
scheidet er  sich  hauptsächlich  durch:  1.  die  besondere  Stim- 
mung seines  Instruments,  2.  die  eigentümliche  Bogenführung, 
3.  das  Pizzicato  der  linken  Hand  in  Verbindung  mit  dem 
Spiel  mit  dem  Bogen,  4.  häufige  Anwendung  des  Flageolefs 
in  einfachen  wie  Doppeltönen,  5.  das  Spiel  auf  einer  Saite, 
6.  Nachahmung  des  Zusammenspiels  mehrerer  Instrumente. 

Häufig  ereignete  es  sich,  daß  Violinspieler,  die  während 
eines  Konzertes  Paganinis  Geige  untersuchten,  kopfschüt- 
telnd das  „verstimmte"  Instrument  zurückgaben.  Doch  es 
war  nicht  verstimmt,  sondern  nur  eigenartig  gestimmt.  Pa- 
ganini griff  hier  auf  eine  Methode  der  Stimmung  zu- 
rück, die  schon  in  der  zweiten  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts 
der  Salzburgische  Kapellmeister  Franz  Heinrich  Biber  zur 
Erzielung  eigenartiger  Klangwirkungen  versucht  haben  soll. 
Die  eigentümliche  Stimmung  ermöglichte  es  ihm,  Passagen 
und  Akkordfolgen,  die  in  der  Tonart,  in  der  die  Komposi- 
tion  gesell  war,   unmöglich   ausführbar   gewesen   wären, 


*)  Diese  auch  heutigentags  für  jeden  Geiger  noch  interessante 
Schrift  ist  im  Verlag  5.  Schott's  Soehne  erschienen,  der  sie  mir  zusammen 
mit  seinen  übrigen  zahlreichen  Paganini-Publikationen  für  meine  Arbeit 
freundlichst  zur  Verfügung  stellte. 

138 


mit  Leichtigkeit  zu  spielen.  So  war  z.  B.  bei  den  Stücken 
für  die  G-Saite  diese  stets  in  B  statt  G  gestimmt,  wodurch 
die  Schwierigkeiten  der  Applikatur  sich  wesentlich  verrin- 
gerten. Die  Lösung  des  vielerörterten  „Geheimnisses",  das 
Paganini  gehütet  haben  soll,  dürfte  wohl  am  ehesten  hier 
zu  suchen  sein.  Bei  Werken  mit  Orchester  waren  die  Sai- 
ten seiner  Geige  stets  einen  halben  Ton  höher  gestimmt, 
als  die  seiner  Begleiter,  dadurch  war  es  ihm  möglich,  in  den 
glänzenderen  und  für  die  Flageolettöne  günstigeren  Ton- 
arten A  und  D-dur  zu  spielen,  während  das  Orchester  ihn 
in  den  weniger  hellen  Tonarten  B  und  Es-dur  begleitete. 
Ob  Paganini  während  eines  Stückes  durch  einen  einzigen 
Ruck  des  Wirbels  die  Saiten  zuweilen  umgestimmt  hat,  wie 
viele  berichten,  ist  nicht  einwandfrei  nachgewiesen.  Der 
Gefahr,  daß  die  heraufgestimmten  Saiten  sehr  bald  von 
selbst  in  der  Stimmung  nachließen,  begegnet  er  durch  sorg- 
fältiges Einstimmen  der  Saiten  für  den  gewünschten  Ton, 
ehe  er  sie  in  Gebrauch  nahm. 

Paganinis  Bogenführung  hatte  bei  der  Wieder- 
gabe von  Passagen  etwas  eigentümlich  Werfendes  und 
Springendes.  Die  Gesefee  vom  Auf-  und  Herabstreichen 
umkehrend,  trug  er  Auftakte  mit  dem  Niederstrich,  Nieder- 
schläge mit  dem  Aufstrich  vor.  Der  rechte  Arm  liegt  ganz 
fest  am  Körper  und  bewegt  sich  beinahe  niemals.  Freien 
Spielraum  hat  nur  das  sehr  gekrümmte  Handgelenk,  das  sich 
äußerst  leicht  bewegt  und  mit  der  größten  Schnelligkeit  die 
elastischen  Bewegungen  des  Bogens  leitet.  Nur  bei  stark 
herausgerissenen  Akkorden,  wobei  der  Unterteil  des  Bo- 
gens nahe  am  Frosch  gebraucht  wird,  hebt  er  die  Hand 
und  den  Vorderarm  etwas  höher  und  den  Ellbogen  vom 
Körper  ab.  Im  „Perpetuum  mobile"  spielte  er  ganze  Par- 
tien mit  einem  Bogenstrich,  das  staccato  auf-  und  abwärts 

139 


in  unglaublicher  Vollendung.  Dabei  wurde  meist  nicht 
jede  Note  durch  einen  eigenen  Druck  oder  Sto|  der  Arm- 
muskeln hervorgehoben,  vielmehr  hüpfte  der  einmal  auf  die 
Saite  geworfene  Bogen  bei  stetiger  Fortführung  des  Armes, 
gewisserma|en  vermöge  seiner  eigenen  oder  der  Saite 
Elastizität  auf  und  nieder,  wie  ein  über  den  Wasserspiegel 
geschleudertes  Steinchen. 

Ebenso  kunstvoll  erwies  sich  Paganinis  A  p  p  1  i  k  a  - 
t  u  r  der  linken  Hand. .  Hier  bildete  er  das  in  der  früheren 
italienischen  Schule  häufig  angewendete,  später  vernach- 
lässigte Pizzicato  in  Verbindung  mit  dem  Bogenspiel  zu 
höchster  Vollendung  aus.  Seine  au|erordentlich  geschmei- 
dige Hand  ermöglichte  es  ihm  z.  B.,  mit  den  drei  Vorder- 
fingern der  Linken  den  Ba&  zu  kneipen  (hierbei  bewährte 
sich  vor  allem  die  Wahl  dünner,  leichter  in  Schwingung  zu 
versehender  Saiten),  während  die  beiden  anderen  auf  den 
oberen  Saiten  eine  Melodie  spielten.  Durch  eigenartiges 
Aufsehen  der  Finger  auf  Saite  und  Griffbrett  und  zeit- 
weiliges Liegenlassen  bei  Cantabilestellen  gab  er  dem 
Ton  etwas  wehmütig  Klagendes. 

Im  Flageoletspiel  leistete  er  Ungeahntes  und 
baute  es  in  einfachen  und  Doppelflageolettönen,  Doppel- 
trillern, chromatischen  Gängen  u.  s.  w.  bis  zur  Grenze  des 
Unmöglichen  aus,  wobei  die  unbedingte  Reinheit  der  Into- 
nation und  die  Staunen  erregende  Sicherheit  der  Aus- 
führung den  hier  leicht  peinlichen  Eindruck  des  Gekünstel- 
ten gar  nicht  aufkommen  lie&en. 

Das  Spiel  auf  der  G-Saite  vereinfachte  sich, 
wie  schon  erwähnt,  durch  Heraufstimmen  auf  B  oder  gar  H. 
Überhaupt  war  bei  dieser  in  erster  Linie  reinen  Effekt- 
leistung vieles  auf  die  Verblüffung  des  Hörers  angelegt 
und  in  Wirklichkeit  lange  nicht  so  gefährlich,  wie  es  sich 

140 


anliefe.  Auf  die  Menge  verfehlten  diese  Kompositionen,  die 
meist  mit  einem  Rezitativ  beginnen,  dann  ein  Thema  brin- 
gen und  mit  Variationen  endigen,  nie  ihre  Wirkung,  und 
diese  Spezialität  des  Spielens  auf  einer  Saite  hat  dem 
Künstler  zuerst  Wellruf  verschafft. 

Was  den  Virtuosen  Paganini  stets  über  alle  Vorgänger 
und  Nachahmer  hinaushob  und  auch  weniger  künstlerische 
Seiten  seines  Spiels  verklärte  und  genußreich  machte,  war 
der  geniale  Hauch,  der  über  allem  lag,  was  er  begann,  und 
jeden,  selbst  den  vorurteilsvoll  Widerstrebendsten,  in  seinen 
Bann  zwang.  — 


Es  dürfte  reizvoll  sein,  vorstehenden,  auf  Schilderungen 
von  Zeitgenossen  Paganinis  gestuften  Betrachtungen  das 
Urteil  eines  heutigen  Meisters  der  Geige  gegenüberzustel- 
len, der  als  Autorität  gerade  auf  technischem  Gebiet  hierfür 
als  der  berufenste  erscheinen  dürfte.  Herr  Professor 
Ottokar  Sevcik  war  so  liebenswürdig,  mir  seine  An- 
sicht über  die  Bedeutung  Paganinis  in  nachfolgendem 
Schreiben  zur  Verfügung  zu  stellen: 

„Es  liegt  außerhalb  meiner  Kräfte,  über  Paganinis 
Kunsterscheinung  mich  schöner,  interessanter  und  poeti- 
scher zu  äußern,  als  es  mein  Freund  Paul  Stoeving  in  seinem 
Werk  „Von  der  Violine"  getan  hat.  Man  liest  dort,  daß 
auch  vor  Paganini  schon  alles  im  Keime  dagewesen  ist,  und 
daß  der  Vater  aller  Geigenvirtuosen  —  „die  erste  Skizze, 
welche  die  Natur  von  Paganini  machte"  —  ein  gewisser 
Antonio  Lolli  aus  Bergamo  war,  der  zwar  nicht  ein  Haydn- 
sches  Quartett  im  Takt  zu  Ende  zu  führen  vermochte,  aber 
mit    seinen    verrückten    Oktaven-,  Terzen-,  Sexten-  und 

141 


Dezimen-Läufen  und  -Trillern  Sensation  machte  und  jung 
und  alt  in  allen  Teilen  Europas  berauschte. 

Man  liest  dort  ferner,  dafe  Paganini  sich  um  die  Er- 
weiterung der  Violintechnik  hauptsächlich  durch  folgende 
Beiträge  verdient  machte:  „eine  ausgedehnte  Anwendung 
des  Staccato  a  ricochet  (geworfenes  Staccato),  der  ein- 
fachen und  Doppel-FIageolettöne,  Pizzicato  für  die  linke 
Hand,  untermischt  mit  col  arco;  sowie  Bravourkunststücke 
auf  einer  Saite,  ungewöhnliche  Spannungen  und  neue 
Effekte  in  Terzen-,  Sexten-,  Oktaven-,  Dezimen-  und  ver- 
minderte Septimenakkord-Passagen." 

Paganini  wirkte  auf  die  Zuhörer  faszinierend  und  ver- 
stand es,  sie  durch  manchen  Trick  in  höchste  Spannung  zu 
versefeen.  Ein  solcher  war,  da&  er  einige  der  Programm- 
Nummern  mitUmstimmung  der  Saiten  spielte,  andere  wieder 
in  der  Normal-Stimmung.  Seine  meisten  Kompositionen  sind 
nämlich,  schon  um  die  natürlichen  Flageolettöne  und  das 
Pizzicato  am  besten  anweden  zu  können,  in  den  Tonarten 
G,  D,  A  geschrieben.  Bei  der  harmonischen  Einfachheit 
der  Kompositionen  hätte  aber  das  Immerwiederkehren  der- 
selben Tonarten,  derselben  Akkorde  und  Klangwirkungen 
selbst  auf  den  Hörer  der  damaligen  Zeit  monoton  wirken 
müssen.  Genial  wie  Paganini  war,  wu&te  er  auch  hier  Ab- 
hilfe zu  schaffen.  Er  schrieb  z.  B.  zu  einem  Violinstück,  das 
in  D  komponiert  war,  die  Orchesterbegleitung  in  Es.  Wenn 
er  das  Werk  dann  vortrug,  so  brauchte  er  seine  Violine  nur 
um  einen  halben  Ton  höher  zu  stimmen,  um  seinen  Part 
auch  in  Es  spielen  zu  können.  So  spielte  er  sein  „I.  Kon- 
zert" und  „Le  Streghe"  in  Es  (anstatt  in  D),  „Le  Carnaval 
de  Venise"  und  „I  Palpiti"  in  B  (statt  in  A)  und  die  „Moses- 
Variationen"  in  Es-moll  (statt  in  C-moll).  Durch  das  Höher- 
stimmen der  Geige  bei  einzelnen  Stücken  eines  Konzert- 

142 


abends  bewirkte  er  verschiedene  Klangfarben  des  Instru- 
ments, Mannigfaltigkeit  der  Tonarten  und  schärferes  Kon- 
trastieren der  Programmnummern. 

Paganinis  beste  Werke  sind  seine  genialen  24  Ca- 
pricen,  welche  die  Essenz  der  Paganinischen  Technik  ent- 
halten und  den  Geigern  aller  Zeiten  eine  harte  Nu£  zu 
knacken  geben  werden.  Von  klassischem  Werte  ist  sein 
„Molo  perpetuo"  (op.  11)  und  ebenfalls  von  Bedeutung 
sind  seine  beiden  Violinkonzerte.  Die  Musik  hat  freilich 
später  andere  Wege  eingeschlagen  und  auch  unsere  Vio- 
lintechnik mußte  sich  den  modernen  Anforderungen  an- 
passen. Wie  würde  Paganini  —  wenn  man  ihm  den  Vio- 
linpart eines  unserer  modernsten  Violinkonzerte  vorgelegt 
hätte  —  staunen,  daß  aus  dem  Samen,  den  er  gesäet,  so 
abnormale  Früchte  entsprießen,  und  wie  würde  er  uns  Gei- 
ger bedauern,  Geiger,  die  vor  der  Notwendigkeit  stehen 
—  Tonleitern  in  Ganztönen  zu  studieren. 

Aus  dem  Facsimile  zum  X.  Konzert  Paganinis  in  Lon- 
don 1832*)  ist  zu  erörtern,  daß  Paganini  noch  ein  drittes 
Konzert  „Gran  Concerto  in  due  parte"  geschrieben  hat, 
das  verloren  gegangen  zu  sein  scheint. 

Mit  dem  Wunsche,  daß  Sie  das  Glück  haben,  auch 
dieses  verlorene  Konzert  aufzufinden,  zeichne  als 

Ihr  ergebener 

Ot.  Sevcik." 


*)  Siehe  die  Wiedergabe  des  von  Professor  Sevcik  gütigst  zur  Ver- 
fügung gestellten  Blattes  auf  S.  20  des  Bilderteils. 

14') 


Der  Komponist 

Noch  ehe  der  Name  Paganini  außerhalb  der  italieni- 
schen Grenzpfähle  einen  Klang  hatte,  ehe  man  von 
ihm  als  Geiger  etwas  wu&te,  erregte  ein  Notenheft  „Ven- 
tiguattro  caprici  per  violino  solo,  dedicaii  agli  artisti  da 
Nicolo  Paganini"  überall  größtes  Aufsehen.  Niemand 
wollte  glauben,  daß  es  einen  Geiger  auf  Erden  gäbe,  der 
derartiges  auf  seinem  Instrumente  auszuführen  imstande 
sei,  ja,  man  war  geneigt,  das  Ganze  für  eine  Mystifikation 
zu  halten.  Und  erst  die  Berichte  von  Augen-  und  Ohren- 
zeugen, die  in  Italien  den  Verfasser  dieses  Werkes  das  für 
unmöglich  Gehaltene  mit  spielender  Leichtigkeit  hatten 
ausführen  sehen,  liefen  die  Zweifler  verstummen,  die  sich 
aber  erst  als  überführt  bekannten,  nachdem  Paganini  selbst 
auf  der  Bildfläche  erschienen  war. 

In  der  Tat  brachten  diese  24  Capricen  für  damalige 
Zeit  Unerhörtes,  enthalten  sie  doch  bereits  den  Extrakt 
von  Paganinis  technischen  Zaubersäfeen.  Sie  sind  sein 
erstes  und  zugleich  bestes  Werk,  das  bis  heutigen  Tages 
noch  als  Bibel  aller  Geiger  Geltung  hat.  Strofet  es  auch 
von  technischen  Schwierigkeiten  und  bravourösem  Raffi- 
nement, so  weht  uns  daraus  doch  der  lebendige  Hauch 
eines  echten,  reichen  Komponisten  entgegen.  Dies  be- 
zeugt schon  der  Umstand,  da&  dieses  opus  1  —  ganz  ab- 

144 


gesehen  von  Franz  L  i  s  z  t ,  den  wohl  das  Technische 
zunächst  angelockt  haben  mag  —  stets  andere  Meister 
gereizt  hat,  ihre  Kraft  an  seinem  Inhalt  zu  befeuern.  So 
haben  Männer  wie  Robert  Schumann  und  Johan- 
nes Brahms  Themen  daraus  eigener  Bearbeitung  für 
würdig  befunden.  Ersterer  schrieb  1832  seine  „Studien 
für  das  Pianoforte  nach  Capricen  Paganinis"  (op.  3)  und 
ein  Jahr  später  „Eludes  de  Concert  d'apres  des  Caprices 
de  P."  (op.  10),  durch  die  er,  wie  er  selbst  sagt,  im  Gegen- 
safe zu  Franz  Liszts  inzwischen  erschienenen,  hauptsächlich 
das  Virtuosische  berücksichtigenden  Bravourstudien,  mehr 
die  poetische  Seite  jener  Komposition  zur  Anschauung  ge- 
bracht wissen  wollte.  Er  ist  dabei  von  dem  „schönen, 
zarten"  Thema  des  zweiten  Stückes  während  der  Arbeit 
so  begeistert,  da|  er  es  für  hinreichend  erachtete,  „Paga- 
nini  eine  erste  Stelle  unter  den  neueren  italienischen  Kom- 
ponisten zu  sichern".  Und  Brahms,  der  seinem  op.  35  das 
Thema  von  Paganinis  vierundzwanzigster  Caprice  zu- 
grundelegt und  auch  in  der  Variationenführung  wiederholt 
dessen  Einfluß  erliegt  (man  vergleiche  Variation  1  und  13 
mit  Paganinis  zweiter  Caprice,  die  achte  Variation  des 
zweiten  Heftes  mit  der  ersten  Caprice)  urteilt  über  des 
Genuesers  Erstlingswerk,  da£  es  „eine  eben  so  starke  Be- 
gabung zur  Komposition  im  allgemeinen,  wie  für  die  Vio- 
line im  besonderen  erkennen  lasse." 

In  den  späteren  Werken  Paganinis  wird  der  Kompo- 
nist, dessen  Genie  zwar  überall,  bald  hier,  bald  da,  in  Ein- 
zelheiten hindurchblifet,  immer  stärker  von  dem  Virtuosen, 
dem  technische  Tausendkünsteleien  wertvoller  erscheinen, 
in  den  Hintergrund  gedrängt.  Da&  sie  trofedem,  wenn  e  r 
sie  zum  Vortrag  brachte,  auch  als  Komposition  nachhal- 
tigeren Anklang  fanden,   ist  das  Verdienst  seines  faszi- 

10  Kapp,   Paganini.  145 


nierenden  Spieles,  das  über  sie  ein  Feuer  verbreitete,  das 
in  den  Notenköpfen  an  sich  nicht  steckt.  Der  Zahn  der  Zeit 
und  die  Wandlungen  des  musikalischen  Geschmacks  haben 
in  ihre  Reihen  manche  Lücke  gerissen.  Von  größerer  Be- 
deutung erscheinen  heute  noch  Paganinis  beide  Violin- 
konzerte mit  Orchester;  das  „Allegro  de  Concert"  des 
ersten  und  die  „Campanella"  des  zweiten  —  die  übrigens 
in  Liszts  Bearbeitung  eine  beliebte  Glanznummer  unserer 
Pianisten  geworden  ist  —  werden  auch  heute  noch  häufig 
im  Konzertsaal  vorgetragen.  Auch  die  Orchesterbehand- 
lung dieser  Stücke  ist  schwungvoll  und  glänzend,  ohne 
lärmend  zu  werden.  Einzelne  Instrumente,  wie  z.  B.  die 
grofee  Trommel,  verwendet  Paganini  mit  ungewöhnlichem 
Geschick  und  erzielt  dadurch  manch  glücklichen  Effekt.  Der 
geniale  Blick  für  das,  was  wirkt,  ist  überhaupt  eines  der 
Hauptmerkmale  auch  des  Komponisten  Paganini.  So 
lä|t  er  z.  B.  in  seinen  berühmten  Moses-Variationen  (nach 
einem  Thema  Rossinis)  die  begleitende  grofje  Trommel 
nicht  einfach  wie  der  Originalkomponist  die  starken  Takt- 
teile markieren,  sondern  unter  Beachtung  des  melodischen 
Nachdrucks  zuweilen  auch  auf  dem  schwachen  Taktteil  ein- 
greifen, was  die  Wirkung  sehr  steigert.  Als  man  ihn  wegen 
des  Werkes  beglückwünschte,  jemand  aber  hinzufügte, 
Rossini  hätte  ihm  da  allerdings  auch  ein  sehr  schönes 
Thema  geliefert,  antwortete  er  stolz:  „Gleichviel,  meinen 
Trommelschlag  hat  er  doch  nicht  gefunden!" 

Die  wahre  Bedeutung  Paganinis,  seine  kunstgeschicht- 
liche Mission  liegt  nicht  in  den  Kompositionen,  die  er  hin- 
terlassen hat,  sondern  in  den  Anregungen,  die  er  durch 
seine  Werke  gegeben,  in  der  künstlerischen  Revolution,  die 
sein  Erscheinen  überhaupt  hervorgerufen  hat.  Er  ist  nicht 
nur  der  Begründer  und  Vollender  einer  ganz  neuen  Violin- 

146 


kunst,  sondern  von  ihm  ging,  wie  wir  schon  früher  ausge- 
führt haben,  jener  zündende  Funke  aus,  der  in  der  Brust 
des  jungen  Titanen  Liszt  Flammen  schlug  und  zur  Um- 
wälzung der  Welt  des  Klaviers  geführt  hat.  Selbst  ein  hell- 
leuchtender Komet,  dessen  Glanz  allerdings  mit  seinem 
Scheiden  erlosch,  ward  Paganini  ein  Wecker  neuen  Le- 
bens im  Reiche  der  Kunst,  die  eigenen  Früchte  seines 
Genius  mochten  verblassen,  ihr  Samen  aber  blieb  zeu- 
gungsfähig in  alle  Zukunft. 

* 

Zu  Lebzeiten  Paganinis  erschienen  überhaupt  nur 
fünf  Werke  von  ihm  im  Druck,  nämlich:  op.  1:  „24  Ca- 
p  r  i  c  c  i";  op.  2:  Sechs  Sonaten  für  Violine  und 
Guitarre  (dedicati  al  signor  delle  Piane);  op.  3: 
Sechs  Sonaten  für  Violine  und  Guitarre 
(dedicati  alla  Ragazza  Eleonora);  op.  4:  Drei  Quar- 
tette für  Violine,  Viola,  Guitarre  und  Vio- 
loncello (dedicati  alle  amatrici;  op.  5:  Drei  Quar- 
tette (wie  op.  4).  Die  Echtheit  dieser  legieren  leugnete 
Paganini  ab.  Aufeer  diesen  segelten  zahlreiche  unechte 
Konzertstücke  unter  des  Künstlers  Flagge,  die  irgend  ein 
geschickter  Spekulant,  um  die  Begeisterung  des  Publi- 
kums auszunü&en,  auf  den  Markt  brachte.  —  Nach  Paga- 
ninis Tode  erschienen  dann  bei  Schönenberger  in  Paris 
und  bei  Schott  in  Mainz  als  „Oeuvres  posihumes" 
die  Werke  op.  6  bis  op.  14.  Der  ganze  übrige,  sehr  um- 
fangreiche Nachlaß  blieb,  abgesehen  von  wenigen  kleine- 
ren ohne  opus-Zahl  aufgetauchten  Stückchen,  bis  heute 
unveröffentlicht.  Dessen  Schicksale  und  Inhalt  werden  uns 
später  noch  beschäftigen.  Hier  folge  nun  ein  Überblick 
über  s  ä  m  1 1  i  ch  e  von  Paganini  noch  vorhandenen 
Werke,  beginnend  mit  den  im  Druck  vorliegenden. 

10*  1 47 


Gedruckte  Werke  Paganinis 

Op.  1  Vierundzwanzig     Capricen     für     die 

Violine  allein  (siehe  oben). 

Op.  2  u.  3  Je  sechs  Sonaten  für  Violine  und  Guitarre. 

Mit  „Sonaten"    haben    diese    unbedeutenden 

Musikstücke  in  Variationenform    nichts  zu  tun. 

Die  Armut  an  Erfindung  kontrastiert  seltsam  mit 

den  Capricen. 

Op.  4  u.  5  Je  drei  Quartette  für  Violine,  Bratsche, 
Guitarre  und  Cello.  Jedes  besteht  aus  vier 
Sähen,  bieten  keinerlei  Interesse. 

Op.  6  Erstes  Konzert  (Es-dur)  für  Violine  und 
Orchester. 

In  der  äu&eren  Form  folgt  dieses  1811  kompo- 
nierte, schwungvolle  Stück  noch  ganz  der  her- 
kömmlichen Weise,  bietet  aber  in  Einzelheiten 
(Flageolet,  Spiel  auf  einer  Saite  u.  a.)  schon 
sehr  viel  früher  Ungekanntes.  Gleich  der  Schluß 
des  A 1 1  e  g  r  o  brachte  durch  die  raffinierte  Ver- 
einigung von  Flageolet  und  Pizzicato  die  Be- 
sucher von  Paganinis  Konzerten,  die  sich  der- 
artiges gar  nicht  zu  erklären  vermochten,  au&er 
,  Fassung.  Das  Adagio  ist  ein  Zwiegespräch 
zwischen  einer  Saite  und  den  drei  übrigen,  das 

148 


ein  Gebet  eines  Gefangenen  zur  Vorsehung 
um  Befreiung  ausdrücken  soll.  Paganini  wurde 
hierzu  durch  den  italienischen  Schauspieler 
Demarini  angeregt.  Ein  feuriges  Rondo  mit 
einem  pikanten  Thema  beschließt  das  Werk. 
Hierin  ri&  Paganini  durch  Flageolei-Doppel- 
griffe,  die  an  dieser  Stelle  zum  überhaupt  ersten- 
mal  auftreten,  und  ein  eigenartiges  Staccato- 
spiel  mit  Springbogen  die  Hörer  zum  Taumel  hin. 

Op.  7         Zweites    Konzert    (H-moll)    für    Violine 
und  Orchester. 

Der  erste  Sab  ist  ein  technischer  Hexensabbath, 
in  dem  das  ganze  Feuerwerk  seiner  Kunstfertig- 
keiten, gipfelnd  in  seinem  berühmten  Doppel- 
triller in  Terzen,  losgelassen  wird,  es  bleibt 
eine  reine  Bravourleistung.  Das  Adagio  ist 
in  schroffstem  Gegensafe  dazu  von  schlichtester 
Einfachheit,  ein  gefühlvolles  Cantabile.  Den 
Schlug  bildet  das  weltberühmte  Glöckchen- 
rondo.     (Liszts  „Campanella".) 

Op.  8         LeStreghe.     (Hexenvariaiionen.) 

Sehr  schwierige  Bravourvariationen  über  ein 
Thema  aus  dem  SüBmayerschen  Ballet  „Le 
Nozze  di  Benevento".  (Über  die  Entstehung 
des  Werkes  siehe  S.  15  dieses  Buches.) 

Op.  9  Variationen      über      „Heil      dir      im 

S  i  e  g  er  kr  anz". 

Mit  diesen  sehr  effektvollen,  mit  Schwierigkei- 
ten geradezu  überladenen  Variationen,  in  denen 
namentlich  sein  Pizzicato  und  seine  Bogen- 
führung  brillierten,  brachte  Paganini  in  Berlin 
1829  dem  König  Friedrich  Wilhelm  III.  eine  be- 
sondere Huldigung  dar. 

149 


Op.  10        Variationen     über    „Carneval     von 
V  en  e  d  i  g". 

Zwanzig  nicht  immer  sehr  geschmackvolle,  oft 
die  Grenze  des  Marktschreierischen  streifende 
Variationen  über  das  Volkslied  „O  Mamma". 

Op.  11        Moto  perpetuo.  Konzertallegro  für  Violine 
und  Orchester. 

Eine  unübertreffliche  Bogensiudie,  die  neben 
jedem  der  zahllosen  moti  perpefui  mit  Ehren  be- 
stehen kann. 

Op.  12  Nonpiumesta.  Thema  mit  Variationen. 
Das  Thema  ist  Rossinis  Oper  Ceneren- 
t  o  1  a  entnommen.  Die  Variationen  sind  tech- 
nisch sehr  interessant,  so  ist  die  dritte  ganz  in 
Oktavengängen,  die  vierte  ein  Echospiel  zwi- 
schen Volltönen  und  Flageolet. 

Op.  13  Di  tanti  palpiti.  Thema  mit  Variationen. 
In  dieser  Fantasie  über  die  Arie  aus  Rossinis 
„Tancred"  wurde  die  G-Saite  in  der  zweiten 
Variation  aufs  tiefe  B  umgestimmt  und  die  dritte 
bringt  in  Terzengängen  und  Kombinationen  von 
natürlichen  und  Flageolettönen  neue  Effekte. 

Op.  14        Etüde  in  60  Variationen  über  das  Lied 
„Barucaba"  für  Violine  und  Guitarre. 

Paganini  wollte  hier  unter  Zugrundelegung 
eines  genuesischen  Volksliedes  über  die  ver- 
schiedenen technischen  Kunstfertigkeiten  seines 
Spiels  je  eine  Variation  schreiben.  Es  ist  eines 
seiner  lebten  Werke,  im  Februar  1835  in  Genua 
aufgezeichnet  und  seinem  Freunde  Germi  ge- 
widmet. 


150 


Werke  ohne  Opus-Zahl 

Variations    de   Bravoure    sur    un    fheme   de 
„Mois  e". 

Variationen  auf  der  G-Saite    über    ein  Thema    aus 
Rossinis  „Moses". 
Nel  cor  piu  non  mi  sento. 

Introduktion  und  Variationen  über  eine  Arie  aus  der 
Oper  „La  Molinara"  von  Paesiello,  das  unter  Paga- 
ninis  beste  Stücke  zählt. 
Duo    merveille. 

Unbedeutendes    Gesangsstückchen     mit     Pizzicato 
der  linken  Hand. 
Trois  airs  varies. 

Kleine   leichtere  Stücke   für   die   G-Saite   nach   Art 
der  Moses-Variationen. 
Les  Charmes  de  Padoue. 

Larghetto  et  Presto  en  6/4  unbedeutende 

Sonate  en  la  majeur,  [  kleinere  Gelegenheils- 

Caprice  d'adieu  ä  son  Stückchen, 

am  i  Eli  a  s  o  n.    (1831.) 


151 


Der  ungedruckte  musikalische  Nachlaß 

Paganinis  Sohn  und  Enkel  widersefeten  sich  der  Ver- 
öffentlichung dieser  Stücke  trofe  zahlreicher  Bitten  von 
Musikfreunden.  Sie  beabsichtigten  den  ganzen  Nachlaß  an 
einen  Sammler  zu  verkaufen  und  fürchteten,  dadurch  den 
Preis  zu  sehr  zu  drücken.  Doch  trofe  eifrigster  Bemühun- 
gen wollte  sich  kein  Liebhaber  für  diese  Schabe  finden. 
Vergeblich  wurden  sie  der  Geburtsstadt  des  Künstlers,  die 
schon  seine  Geige  besaß,  angeboten.  Der  geforderte  Preis 
von  100  000  Lire  erschien  den  Stadivätern  zu  hoch.  Es 
wurde  eine  Kommission  ernannt,  die  in  der  Villa  Gajone 
den  Nachlaß  Paganinis  einer  sorgfältigen  Prüfung  unter- 
ziehen sollte.  Deren  Urteil  lautete,  soweit  die  musikalischen 
Stücke  in  Frage  kamen:  Von  den  86  unedierten  Manuskrip- 
ten haben  nur  3  wirklichen  Wert,  7  sind  weniger  bedeutend, 
4  mittelmäßig,  19  von  ganz  geringem  Wert  und  der  Rest 
gänzlich  bedeutungslos!  Hierauf  lehnte  die  Stadt  Genua 
den  Ankauf  des  Nachlasses  ab.  Derselbe  kam  schließlich  im 
Februar  1910  in  Florenz  zur  öffentlichen  Versteigerung. 
Während  die  persönlichen  Reliquien  sich  in  alle  Winde  zer- 
streuten, wurde  der  handschriftliche  Nachlaß  en  bloc  vom 
Kunstantiquariat  Jos.  Baer  in  Frankfurt  a.  Main  erworben, 
während  der  gesamte  musikalische  Nachlaß  für  17  500  Fr.  (!) 
von  dem  Antiquariat  Leo  S.  Olschki  in  Florenz  erstanden 

152 


wurde,  von  wo  er  schließlich  in  das  Musikhistorische  Museum 
inCöln  überging.  In  Olschkis  Kunstzeitschrift  „Bibliofilia"  er- 
schien damals  eine  eingehende  Beschreibung  des  ganzen 
Materials,  der  wir  uns  mit  folgender  Aufstellung  im  wesent- 
lichen anschlie&en. 

I.  Kompositionen  für  Violine  und  Orchester 

Pot-Pourri. 

Die  Aufschrift  Mr.  Habenek  deutet  auf  Paganinis  Pa- 
riser Aufenthalt.    Das  Stück  besteht  aus:  Introduzione; 
Maestoso;  Andantino  (mit  Variationen);  Finale,  Allegro. 
Sonata  Militär  e. 

Introduzione  —  Moderato  —  Maestoso  —  Andante 
con  Variazioni  —  Finale. 
St.   Patricks    day. 

(Die  Solo-Stimme  fehlt.) 
Sonata    sulla    preghiera    de    Pietro    l'Ere- 
m  i  t  o    (oder  Mose  in  Egitto). 
(Die  Solo-Stimme  fehlt.) 
Sonata    amorosa    e    galante. 

Das   12   Manuskriptseiten   umfassende   Werk   ist  in 
London  entstanden  und  besteht  aus  zwei  Säfeen:  Alle- 
gro giusto  und  Adagio  cantabile.    Sehr  effektvoll. 
Sonatina   e   Polacchetta   con   variazioni. 

Graziöses,  mittelschweres  Stück  aus  der  Pariser  Zeit. 
Als   Begleitinstrumente    sind    angegeben    2   Violinen, 
2  Clarinetten,  Cello  und  Bafe  und  für  die  canzonetta 
Bratsche. 
Maestosa    Suonata    sentimentale. 

Eines  der  besten  Werke  Paganinis,  das  mit  seinen 
Variationen  über  Haydns  österreichische  Volkshymne 
ein  Gegenstück  zu  op.  9  (Heil  dir  im  Siegerkranz)  bil- 

153 


det.    Es  besteht  aus  Introduzione  —  Allegro  agitato  — 
Inno  (Tema  con  variazioni).    38  Seiten  Partitur. 
Polacca    con    variazioni. 

Kurzes  Adagio,  dem  die  Polacca  mit  4  Variationen 
folgt.    Effeklsfück. 
Suonata    con    cingue    variazioni. 

Konzertstück,   bestehend   aus  Adagio  —  Thema  mit 
5  Variationen  —  Presto.    Sehr  schwer. 
La  Primavera. 

Introduzione  —  Larghetto  cantabile  —  Variazione  — 
Recitativo  —  Tema  con  variazioni. 
Napoleon. 

Wie  das  „rote  Buch"  dartut,  hie&  diese  an  tech- 
nischen Schwierigkeiten  überladene  Sonate  für  die 
G-Saile  ursprünglich  „Prima  Sonata  con  Va- 
riazioni per  la  4a  cord a".  (Über  die  Ent- 
stehung des  Werkes  in  Lucca  siehe  Seite  12  dieses 
Buches.)  Introduzione  —  Andantino  giocoso  —  3  Va- 
riazioni —  Finale. 
Maria  Luisa.  Sonata  con  variazioni  für  die  G-Saite. 
Mit  Begleitung  von  2  Violinen,  viola  cello,  Ba§,  2  Oboen 
und  2  Hörnern. 
Suonata   Varsavia. 

Allegro  vivo  —  Sostenuto  Recitativo  —  Allegro  — 
Tema  Polacco  (Andantino  mit  7  Variationen)  —  Einale 
(Presto). 
Tarantella. 

Brillante  Fantasie  über  diesen  neapolitanischen  Tanz. 
Balletto    campestre. 

Als  Untertitel  fügte  Paganini  dem  Manuskript  hinzu: 
„Variationen  über  ein  komisches  Thema".  Introduzione 
—  Andante  maestoso  —  Tema  —  49    bizarre   Varia- 

154 


tionen  —  Finale,     überladen    mit    allen    erdenklichen 
technischen  Finessen. 

Sonata  per  la  gran  Viola. 

Introduzione  —  Larghetio  mit  Recitativ  der  Viola 
solo  —  Presto  —  Andante  sostenuto  e  cantabile  — 
Tema  con  variazioni  —  stretta  finale.  —  Entstanden 
London,  April  1834. 

La  Tempesta.     (Der  Seesturm.) 

Nur  die  Solo-Stellen  sind  von  Paganini,  das  Übrige 
von  Panny.  —  Preludio  di  turbine  —  Primo  Tempo  — 
Principio  di  tempesta  —  Preghiera  —  Allarme  mari- 
timo  —  Gran  tempesta  —  Allarme  massimo  —  Calma 
—  Finale  con  variazioni. 

Le  Couvent  de  S.  Bernhard  (Pendule). 

Tonmalerei.  Sonnette  —  Andante  Sonnolento  — 
Larghetto  (Pendule)  —  Minuetto  —  L'aurora  —  Mae- 
stoso con  variazioni  —  Rondo. 

Sonata    appassionata. 

Introduzione  —  Larghetto  appassionata  —  Allegro 
vivace  —  Variazioni  —  Finale. 

II.  Kompositionen  für  Violine  solo 

Cantabile  (in  C-dur). 

Leichtes    Stückchen    im    Stil    Bellinis    mit    Klavier- 
begleitung. 
Cantabile  e  Valfe. 

Mit  Guitarrenbegleitung,  Camillo  Sivori  gewidmet. 
Sonata  a  Violino  solo. 

Adagio  —  Allegro,    aus   der  Kapellmeisterzeit   von 
Lucca,  Marie  Elise  gewidmet. 
Paganini  ä  M.  Henry. 

Larghetto  —  Allegro  moderato  —  Piu  morso.  (Ohne 
näheren  Titel.) 

155 


Tre    Rilornelli   per   Violino    e   Basso. 

Jedes    Ritornell    besteht    aus    einem    einzigen    Safe 
(Allegro). 
Tre   Duetti    per   Violino    e    Violoncello. 

Im  Manuskript  als  opus  1  bezeichnet  und  „gli  Ama- 

iori"  gewidmet. 

* 

Nicht  im  NachlaS  befinden  sich  die  (jedoch  gleichfalls 
erhaltenen,  aber  vor  der  Auktion  bereits  in  Privatbesib 
übergegangenen)  wichtigen  Manuskripte: 

III.  Konzert  in  E  (Violinstimme  15  Seiten,  Partitur  128  Seiten). 

IV.  „        „C(  „  12      „     ). 
V                     A(  15  ) 

III.  Kompositionen  für  Guitarre  solo 

Gran   Sonata  per   Chitarra. 

Allegro  risoluto  —  Romance  piu  tosto  largo  —  An- 

dantino  variato,  scherzando. 
Minuetto    per    Chitarra   dedicato   alla   Signorina 

Dida. 
Chitarra  Marziale. 

Composizioni    varie    per    Chitarra. 
M  i  n  u  e  1 1  i  alla  gentillisima  Signora  Emilia. 
G  h  i  r  i  b  i  z  z  i  (Grillen). 
Sonata  per  Chitarra. 
M  i  n  u  e  1 1  i  per  la  Signora  Marina. 
Minuetto  alla  Signora  Dida. 

Due  Minuetti  per  Chitarra,  Viola  e  Violino. 
Tre  Minuetti  ed  un  Walfe  per  Chitarra. 
Sinfonia  Lodovisia  per  Chitarra. 

Außerdem  noch  zahlreiche  kleinere,  unbedeutende  Mi- 
nuetti u.  s.  w. 

156 


IV.  Duette  für  Violine  und  Guitarre 

Sechs  Duette.    Jedes  aus  zwei  Säfeen  bestehend. 
Sonata    concertata   dedicata   alla  signora   Emilia 

di  Negro. 
Canzonetta. 
Duetto    amoros  o. 

Tonmalerei,  enthaltend  folgende  Säfee:  Principio  — 

Preghiera  —  Acconsentito  —  Timidezza  —   Conten- 

tezza  —  Lite  —  Pace  —  Leguali  d'amore  —  Notizia 

della  partenza.  (!) 
Centone  di  sonate  per  Violino   e  Chitarra. 

V.  Terzette  für  Bogeninstrumente  und  Guitarre 

Terzetto    per   Violino,   Violoncello    e    Chi- 
tarra (C-dur).     London,  4.  August  1833. 
Allegro  con  brio  —  Minuetto  —  Andante  —  Rondo. 

Due  Terzetti  per  due  Violini  e  Chitarra  (in 
Fis  und  As). 

Terzetto  concertante  per  Viola,   Chitarra 
e  Violoncello. 
Allegro  —  Adagio  —  Walfe  a  Rondo. 

Seren  ata  per  Viola,  Violoncello  e  Chitarra 
dedicata  a  Madamigella  Dominica  Paganini  da  suo 
Fratello  Niccolö. 

VI.  Quartette  für  Bogeninstrumente  und  Guitarre 

Quartetto  II  per  Violino,  Viola,  Chitarra  e  Violoncello. 
[Germi  gewidmet.) 

Allegro  moderato  (G-dur)    —    Minuetto  (G-dur)   — 
Larghetto  (A~dur)  —  Polacca  (G-dur). 

157 


Ouarteito  XV  in  der  Guitarrenstimme,  Variationen  über 

„God  save  the  King". 
Quarietli  IX,  X,  XII,  XIII,  XIV  dedicati  al  suo  amico  il 

sig.  avvocato  Luigi  Germi.    Jedes  viersäfeig. 
Quarieiio  VII  dedicato  a  Sua  Excellenza  la  Signora 

Marchesa  Calierina  Raggi. 
Ouarteito   VIII   dedicato   a  S.  E.   il   Signor   Marchese 

Filippo  Carega. 

VII.  Verschiedenes 

Tr  e  Q  u  arietti  per  dueViolini,  Viola  e  Vio- 
loncello dedicati  a  S.  M.  il  Re  di  Sardegna  e  Duca 
di  Genova. 

Ghiribizzo  vocale.  Einzige  Gesangskomposition 
Paganinis. 


158 


Bibliographie 


I.  Bücher 

(chronologisch  nach  dem  Erscheinungsjahr.) 

C.  Guhr  :    über  P.'s  Kunst,  die  Violine  zu  spielen.    1829. 
Harrys:    P.    in    seinem  Reisewagen    u.    s.   w.     Braun- 
schweig 1830. 
G.  Imbert  de  Laphalegue:     Nolice  sur  le  celebre 

Violinist  N.  P.    Paris  1830. 
J.  M.  Schottky:    P.'s  Leben  und  Treiben.    Prag  1830. 

(Neudruck  1909.) 
C.  Julius  Schüfe:     Leben,    Charakter    und  Kunst    des 

Ritters  N.  P.    Illmenau  1830. 
L.  V  i  n  e  t  a  :    N.  P.  Leben  und  Charakter  (nach  Schoflky). 

Hamburg  1830. 
G.  E.  A  n  d  e  r  s  :    N.  P.  sa  vie,  sa  personne  et  quelgues  mot 

sur  son  secret.    Paris  1831. 
C.  Benn  atti :  Notice  physiologique  sur  P.  Bruxellesl831. 
J.  M.  Fayolle:    P.  et  Beriot  u.  s.  w.    Paris  1831. 
Desverges    et    Varin:     P.  en  Allemagne    apropos 

anecdotiques  en  1  acte.    Paris  1831. 
E.  S.:    Biografical  sketch  of     N.  P.    London  1831. 
OttavioBoschetti:    AI  celebratissimo  Barone  Ca- 

valiere  N.  P.    Parma  1835. 
G.  Nicolai:    Arabesken    für    Musikfreunde   von    N.  P. 

Leipzig  1835. 

159 


D  u  b  o  u  r  g  :     The  Violin.     London  1837. 

O.  Donoghue:    P.  ä  Boulogne  sur  mer.    Paris  o.  J. 

E.  O  r  1 1  e  p  p  :     Gro&es  Instrumental-  und  Vokalkonzert. 

Musikal.  Anthologie.     Stuttgart  1841. 
A.  Kestner:  Römische  Studien  (P.  in  Italien).  Berlin  1850. 
G.  Conestabile:    Vita  di  N.  P.  da  Genova.    Perugia 

1851.    (317  S.) 
Fetis:     N.  P.  Notice  biographigue.     Paris  1851. 
M.  et  L.  Escudier:     Aus  dem  Leben  P.'s.     Paris  und 

Leipzig  1856. 
O.  Hedouins:  Mosaigue.  Peintres.    Musiciens.    Valen- 

ciennes  1856. 
L.  Ell  er:    Erinnerungen  an  P.    Dresden  1864. 
O.  B  r  u  n  i :     N.  P.  celebre  violinista  Genovese.    Firenze 

1873. 
E.  P  o  1  k  o  :    P.  und  die  Geigenbauer  (auch  italienisch,  Mai- 
land 1876).     Leipzig  1875. 
L.    P  h  i  p  s  o  n  :      Biographicais    skeiches    of    celebrated 

Violinist.     London  1877. 
A.  Niggli:    N.  P.    Leipzig  1882. 

Bouffier  :    Die  Violine  und  ihre  Virtuosen.    Berlin  1890. 
A.  K  o  h  u  t :    Aus  dem  Zauberlande  PolyhYmnias.    Berlin 

1892. 
L.  Phipson:    Famous  Violinists.    London  1896. 
A.  E  h  r  1  i  ch  :    Berühmte  Geiger  aller  Zeiten.    Leipzig  1897. 
—     —      Die  Geige  in  Wahrheit  und  Fabel.    Leipzig  o.  J. 
J.  Gerzfeld:    P.'s  Geige  (russisch).    Riga  1898. 
Anna   Comtesse    de    Bremont:     Great   VirtuosL 

o.  O.  u.  J. 
W.  H  o  1  m  e  s  :    Notes  upon  notes.    London  o.  J. 
G.  T.  F  e  r  r  i  s  :    Sketches  of  great  Violinist.    London  o.  L 
E.  Krone:    Studium  der  24  Capricen.    Mainz  1900. 

160 


E.  H  u  b  b  a  r  d  :  Little  journeys  to  the  home  of  great 
musiciens.    New- York  1903. 

J.  v.  Wasielewski:  Die  Violine  und  ihre  Meister.  Leip- 
zig 1903. 

Goby  Eberhardl:  Mein  System  des  Ubens.  Dres- 
den 1907. 

Paul  Stoeving:     Von  der  Violine.    Berlin  1907. 

J.  G.  Prodhomme:  P.  (Les  Musiciens  celebres). 
Paris  1908. 

A.  Bonaventura:    N.  P.    Modena  1911. 

Julius    Kapp:     N.  P.     Eine    Biographie.     Berlin    1913. 

IL  Einzelne  wichtigere  Aufsätze 

A.  B  a  c  h  m  a  n  n:  N.  P.  Sa  vie,  ses  oeuvres  et  son  influence. 

Mercure  musical  1907  No.  12  und  1908  No.  1. 
A.  Bonaventura:  Gli  Autografi  di  N.  P.  Bibliofilia  1910. 
G.  E  b  e  r  h  a  r  d  t :  N.  P.    Bühne  u.  Welt  1906. 
Fiorentino:  P.  und  seine  Werke.     Wiener  Abendpost 

19.  III.  52. 
G  e  r  m  i  :    Unbekannte  Briefe  P.'s  an  Germi.    N.  Bad.  Lan- 

desztg.  22.  IV.  09. 
A.  Manassero:     Nuovi    Documenti    di    N.  P.     Nuovo 

Anthologia  Febr.  1910. 
C.  M  e  c  k  e  1 :    P.  und  Spohr,  ein  Vergleich.    N.  Zeitschrift 

für  Musik  1901. 
G.  N.:    Altes  und  Neues  über  P.    Das  Orchester  juni/Aug. 

1885. 
S  f.  S  t  r  a  1 1  o  n  :  N.  P.  his   Iif e   and   worcks.    The  Strand 

Dez.  1904. 

—  —    Paganiniana.     Musical  World  Dez.   1907. 

—  —  Die  Paganini-Ausstellung  in  Turin.  Das  Orchester 
5.  VI.  1898. 

11   Kapp,  Paganini.  161 


Namenregister 


Anders,  G.  E.    109. 

B  a  e  r  ,  Jos.  Antiquariat  152. 
Bauernfeld,  Ed.  v.  121. 
Bennatti,  Dr.  116—120. 
Berlin  38-41. 
B  e  r  1  i  o  z  ,    Hektor    44.    64. 

72/73.  77-83.  110-115. 
B  i  a  n  c  h  i ,   Anlonia  25  -  30. 

104. 
ß  o  e  r  n  e ,  Ludwig  53. 
Br  ah  m  s  ,  Joh.  145 
Brüssel  65. 

C  h  o  p  i  n  ,  Fr.  64 
Ciandelli,  G.  24.  41. 
Costa,  G.  2. 

D  o  n  i  z  e  1 1  i ,  G.  47. 

Ferrara  24/25. 
Fetis,  E.  J.  55.  134-37. 
Florenz  12-14 
Frankfurt  a/M.  48.  137. 


Friedrich  Wilhelm  III. 
von  Preußen  40/41.  149. 

Genua  1/2.  26.  72.  86. 
G  er  m  i ,  L.  150. 
G  i  r  e  1 1  i  4. 

Goethe,  J.  W.  v.  122/23 
Guhr,  Carl  48.  137-41. 

Hamburg  48. 
rlaydn,  Jos.  33.  153. 
Heine,  H.  48-51. 
Hoffmann,  E.  T.  A.  31. 
Holtei,  Fr.  121/22. 

Janin,  J.  68/69.  78-80,  112. 
Joachim,  J.  133. 

Kreuzer,  R.  16. 

Lafont,  Ch.  19/20. 
Laporte  (Impressario)  61. 
Li  p  i  n  sk  i ,  J.  22. 


11* 


163 


Liszt,  Franz  54/55.  64.  104. 

113.    123-28.    133/33.    145. 

147.   149. 
Lolli,  A.  131.  141. 
London  61.  82. 
Loveday,D.  75-77.  83. 
Lucca  4.  8/9 ff. 
Lyser,  P.  48. 

Mailand  15/16.  19. 

M  a  r  i  e  M  1  i  s  e ,  Herzogin  v. 

Toskana  8-11.  12-14. 
Marie   Luise,    Gro&her- 

zogin  v.  Parma  71/72. 
Marie    Pauline    Borg- 

hese  12. 
M  e  y  e  r  b  e  e  r  ,    G.    38.    39. 

121. 

Napoleon  I.  8. 
Neapel  23/24. 

d'Orligue,  J.  110. 

Paer,  F.  4. 

P  a  g  a  n  i  n  i ,  Antonio  (Va- 
ter) 2/3.  101. 

—  Theresa    (Mutter)    2. 

101-03. 

-  A  c  h  i  1 1  e  (Sohn)  26.  27. 

29.    46/47.    77.   81.    82. 
86.  105/06.  152. 


P  a  1 1  e  r  i  n  i  (Tänzerin)  24/25. 
Panny  37.  155. 
Parma  3/4.  71.  86. 
Paris   45.   52-61.   63-65. 

68/69.  73-75. 
P  i  a  c  e  n  z  a  72. 

R  e  1 1  s  f  a  b ,  L.  39/40. 
Rom  23. 
R  o  1 1  a  ,  A.  3/4. 
Rossini,    G.    22/23.    114. 
146.  150.  151. 

Schubert,  Franz,  121. 
Schumann,  Rob.   123. 

145. 
S  c  h  o  1 1  k  y  ,  J.  38. 
Sevcik,  O.  141-43. 
Si  vor  i ,  C.  133.  155. 
Spohr,  L  20/21. 
S  p  o  n  t  i  n  i ,  G.  29. 
Sioe ving,  P.  141. 
Sü&maYer,   Fz.   15.    149. 

Venedig  20/21.  25. 

W  a  t  s  o  n  ,  MU3  66/67. 
Wien  30-37. 

Zelter  122. 


164 


Verzeichnis  der  Abbildungen 

Seife 
Paganini,  Lithographie  von  Fr.  Hahn  (Titelbild) 

Paganinis  Geburtshaus  in  Genua 1 

Ein  Konzert  Paganinis,  Gemälde  von  Gatti  (1804)  .    .  1 

Paganini,  Zeichnung  von  Jean  Ingres  (1819)  ....  2 

Paganini,  Gemälde  von  Isola 3 

Paganini,  Bleistiftzeichnung  eines  unbekannten  Künst- 
lers    3 

Paganini,  Porträt  eines  unbekannten  Malers  ....  4 

Gioacchino  Rossini,  Stich  von  A.  H.  Payne    ....  4 

Paganini,  Lithographie  von  Kriehuber  (1828)  ....  5 

Paganini,  Gemälde  von  I.  H.  Jacob 6 

Paganini,  Zeichnung  von  J.  P.  Lyser 7 

Paganini    mit    einem  Freund,    einem  Mädchen    nach- 
steigend      8 

Karikatur    auf    die  Wiener  Konzerte,    Zeichnung  von 

J.  P.  Lyser 9 

Karikatur  auf  die  Berliner  Konzerte,  Lithographie  von 

Ad.  Schrödter  (1829) 9 

Seite  aus  einem  Brief  konzeptbuch  vom  Jahre  1829  .     .  10 

Paganini,  Zeichnung  von  F.  Krüger  (1829) 11 

Paganini,  Zeichnung    nach    dem  Leben   von  A.  Krug 

(1829/30) 11 

165 


Seite 

Programm  eines  Konzerts  in  Breslau  am  28.  Juli  1829  12 

Paganini,  Lithographie  von  Karl  Begas  (1830)     ...  12 

Paganini  in  Weimar 13 

Ritter  Nicolo  Paganini,  der  erste  Violinspieler  seiner 
Zeit,    auf  dem  National-Theater  in  Nürnberg,    den 

9.  Nov.  1829 14 

Paganini,  Lithographie  von  G.  Nehrlich 15 

Krönung  Paganinis  nach  einem  Konzert  in  München, 

November   1829 16 

Paganini  auf  der  Konzertprobe  in  Stuttgart  am  7.  De- 
zember  1829 16 

Paganini,  Gemälde  von  J.  B.  Siber  (1830) 17 

„Le  violon  de  Cremone",  Aguarell  von  Porterlet      .    .  18 
Paganini  im  Gefängnis,  Lithographie  von  Louis  Bou- 

langer,   Paris  (1832) 18 

Paganini,  Bleistiftzeichnung  von  Naudet  (1831)    ...  19 

Franz  Liszt,  Zeichnung  von  Jean  Ingres 19 

„The  Modern  Orpheus",    englische    Karikatur    unbe- 
kannter Hand 20 

Zwei  Londoner  Programme 20 

Paganini,  Gemälde  von  G.  Patten  (1832) 21 

Paganini,    Lithographie  eines  unbekannten  englischen 

Künstlers 22 

Karikatur  unbekannter  Hand  auf  Paganinis  Londoner 

Auftreten       23 

Brief  Paganinis  an  seinen  Sohn  Achille  vom  6.  Mai 

1834 24 

Brief  Paganinis  an  Berlioz  und  dessen  Danksagung 

für  die  ihm  gespendeten  20  000  Franken    ....  25 

Hector  Berlioz,  Lithograpie  von  Prinzhofer     ....  26 

Paganini,  Statuette  von  J.  P.  Dantan  (1837)    ....  27 

166 


Seite 

Paganini,  Gemälde  von  Eugene  Delacroix 27 

Paganini,  Lithographie  von  Leon  Noel 28 

Paganini,  Silhouette  von  Albert  Edouard 29 

Das  „Casino  Paganini"   in  Paris 29 

Zettel  von  Paganinis  Sterbelager 30 

Paganinis  lebte  Worte,  von  seinem  Sohn  Achille  be- 
glaubigt     31 

Sterbehaus  in  Nizza 32 

Grabdenkmal  in  Parma 32 

Paganinis   Violine 33 

Paganinis  rechte  Hand 33 

Das  berühmte  „Rote  Buch" 34 

Zwei  Textseiten  aus  dem  Roten  Buch 35 

Violinstimme  aus  „Le  streghe" 36 

Unveröffentlichte    Guitarrenstimme    zum    „Movimento 
perpetuo",  der  als  op.  1 1  veröffentlichten  Sonate 

für  Violine  und  Orchester 37 

Titelblatt  einer  Sonate  für  Guitarre  und  Violine      .    .  38 
Titelblatt    des    noch    unveröffentlichten    „Cantabile  e 

Valb"  für   Violine  und   Guitarre 39 

Aus  dem  unveröffentlichten  „Maestosa  Suonata  senti- 
mentale" für  Violine  und  Orchester 40 

Aus  der  unveröffentlichten  „Suonata  Varsavia"  ...  40 


167 


Paganinis  Geburtshaus  in  Genua 


Ein  Konzert  Paganinis 

Gemälde  von   Gatti,   1804 


Zeichnung  von  Jean  Ingres 

1819 


Gemälde  von  Isola 

im  Städtischen  Museum  zu  Genua 


Bleistiftzeichnung  eines  unbekannten  Künstlers 


Porträt  eines  unbekannten  Malers 


Gioacchino  Rossini 

Stich  von  A.  H.  Payne 


Lithographie  von  Kriehuber 


Wien,   1828 


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Gemälde  von  J.  H.  Jacob 

Lithographie  von  L.  Rados 


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Zeichnung  von  J.  P.  Lyser 


Paganini  mit  einem  Freund,  einem  Mädchen  nachsteigend 


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Karikatur  auf  die  Wiener  Konzerte 

Zeichnung  von  J.  P.  Lyser 


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Karikatur  auf  die  Berliner  Konzerte 

Lithographie  von  Ad.  Schrödter,  Berlin,  1829 


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Seite  aus  einem  Briefkonzeptbuch  Paganinis  vom  Jahre  1829 
(aus  dem  unveröffentlichten  Nachlaß) 


II 


Zeichnung  von  F.  Krüger 

Berlin,   1829 
Stich  von  C.  F.  Weber 


Zeichnung  nach  dem  Leben 

von  A.  Krug 

1829/30 


SMfnftiifl,   btn  28.  Sali  1820 

Vt  Ät-nijl    yiruf:)4f  rrftc  Genf trfmrtflft ,    XJMg)   AaiftTl  rrftrrtrtc&l.ij.  Jtammtr  Blttueft  ort  ÄrttfT  iff, 

§>iicolp  f  apiini 


Mi    flu   bobin 


(in  jit»ci(c§  ©outtrt 

in  t>tr  Kula  £fopo(i)ino 


6  r  fl  t  t    «Mit. 

I )  ©omfpnit  ren  SVttbprtn  in  C  (ffti'trr  Sdp.) 

J)  ©rpfrp1  lEpnctrt  für  bir  IBiplinr,  tpmppiutt  unb  rptd/trdd.tn  ppn  9titp!p  ■Td.idnini. 

3)  änbanfr  &fr  cnmfrnir 

4)  Sfbdjip  unb  Spnbp  (mit  bim  (Jlprfitin)  tomppmrt  nnb  (WJrttajn  ppn  Stippl»  fananinL 


3  »  f  i  t  t  r    Z  b  t  i  [. 

1}  Scherzo  bir  cnmfrnn  ppn  3?rtrbprrn. 

?)  Bandtfaim  iibrr  raS  3btmJ  bis  föfbftS.  aus  brr  Cprt  fttlti  ppn  Staffini,  rpmppnirt  unb  auf 

*rr  G-5dittrrrd.ttPda.tn  ppn  SRir p I o  $aa,ani'ni. 
4)  fietrr  5af  bir  Änmrbpnir 
3)  SSdridtipntn  iibit  bo»  Jbtnu:    .,nui  cor  piu  non  rni  scnio,"  pbni  Jliipmbajniinini  bt(  Crdxfttr», 

furtir  ificlmi  oUnir  grifft  unb  prtJ,tttdd,tn  rpn  Eitrlc  Tda,anui[. 

Cinlürartni  ■<  !  SlNl  in  btn  cddl,  unb  in  I  Mtblt  in  ga/  Jut  bdb  Ifbpt.  fmb  in  btn  Sund    unb  •Hurlt 
bdliblunarn  bft  fjtrttn  Prurtart  unb  i\rn'ltt  unb  um  Ginddna.f  |u  babrn. 

Anfang  ?  U&r.    8ntc  9  UOr.    Bit  Garn  Wirt)  um  5  Ut>r  gföffn«. 


Programm  eines  Konzerts  in  Breslau 
am  28.  Juli  1829 


Lithographie  von  Karl  Begas 

Aus  der  Erinnerung  gezeichnet,  1830 


13 


Pa  <5*a.iiini,  in  Weimar. 


Pa^anini  in  Weimar 


14 


TUlteT  Xicolo    PacfaTvmi 

der  er-ste     "Violinspieler   semer  Zeit 


m    Rational     Theater    in    j\um6ery    Jen  Q  J,r,v    t8QQ- 


15 


Lithographie  von  G.  Nehrlich 


i6 


Krönung  Paganinis  nach  einem  Konzert  in  München 
November  1829 


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Paganini  auf  der  Konzertprobe  in  Stuttgart  am  7.  Dezember  1829 


17 


Gemälde  (nach  der  Natur)  von  J.  B.  Siber 

Lithographie  von   M.  Hütz,  Frankfurt,  1830 


i8 


,Le  violon  de  Cr£mone" 

Aquarell  von  Poterlet 


Paganini  im  Gefängnis 

Lithographie  von  Louis  Boulanger,  Paris,  1832 


Bleistiftzeichnung  von  Xaudet 


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Franz  Liszt 

Zeichnung  von  Jean  Ingres 


„The  Modern  Orpheus" 

Opera  House,  June  3C1,  1831 
Englische  Karikatur  unbekannter  Hand 


szäwöiT" 


ZlSLVm  &  poslti^eljr  bis  3LAST 

CONCERT 

TH1S  BVKNIrVG. 
Friday,  Jtaljr  27,  1832, 

rAVOCSITE   PIECES: 

-r-riiMA  .»r  -  -  /in-.,..;.. 

I  O  »TINA.  s«i  Plfrrii  \LiA.  '   Tbn«  afcatt  "     rT.~~*~U 

■LaJaWVD  ALLKUlO  <M  <ra  «ms  Coaaw  ,  ia  B  Hb*». 
oanpoed  «ad  f  b»  ■■>»»■  i   I  y 

siouom  rjiOMmrz. 

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Dom  .»i»  ■»HALf-figT  ICTtTI  OCUKX.  «•  Cw»  u  tmvmtmt  < 

BpseBfs.PitSs  Sd.GaIlexies2« 


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Zwei  Londoner  Programme 

zum  sechsten  Konzert  am  27.  Juli  1832  zum  zehnten  Konzert  am  14.  August  iS 


Gemälde  von  G.  Patten 

London,  1832 


Lithographie  eines  unbekannten  englischen  Künstlers 


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23 


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Karikatur  unbekannter  Hand  auf  Paganinis  Londoner  Auftreten 

(aus  Joseph  Joachims  Nachlaß) 


24 


Brief  Paganinis  an  seinen  Sohn  Achille  vom  6.  Mai  1834 
(aus  dem  unveröffentlichten  Nachlaß) 


25 


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Brief  Paganinis  an  Berlioz  und  dessen  Danksagun| 
für  die  ihm  gespendeten  20000  Franken 


26 


Hector  Berlioz 

Lithographie  von  Prinzhofer 


27 


Statuette  von  J.  P.  Dan  tan 

Paris,   1837 


Gemälde  von  Eugene  Delacroix 


28 


Lithographie  von  L6on  Noel 


29 


Silhouette  von  Albert  Edouard 


Das  „Casino  Paganini"  in  Paris 

Lithographie  von  G.  Laviron,   1837 


3° 


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Zettel  von  Paganinis  Sterbelager 
(aus  dem  unveröffentlichten  Nachlai3) 


31 


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Pa^aninis  letzte  Worte 
von  seinem  Sohn  Achille  beglaubigt 


32 


Sterbehaus  in  Nizza 


Grabdenkmal  in  Parma 


33 


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Paganinis  Violine,  aufbewahrt  im 
Städtischen    Museum    in    Genua 


Paganinis  rechte  Hand 


34 


Das  berühmte  „Rote  Buch" 
(aus  dem  unveröffentlichten  Nachlaß) 


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Violinstimme  aus  „Le  streghe" 

Mailand  1813 


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41$ 
P2K18 
1913 


Kapp,   Julius 

Pagam'ni   1.   und  2.   Aufl. 


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